Zagreb. Bundestrainer Christian Prokop gilt als detailverliebt und akribisch. Bei der EM muss sich zeigen, was das wert ist

Christian Prokop stand keine Sekunde still. Er lief auf und ab, und wenn er einmal stand, tippelte er ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. Der Blick war starr auf seine Mannschaft gerichtet, als diese am Donnerstagabend in Zagreb ihre erste Trainingseinheit bestritt. Als die deutschen Handballer schließlich eine Runde Fußball spielten, schob Prokop auf seinem Taktikbrett kleine Plastiksteine umher. Es war eine Mischung aus Konzentration und Anspannung, die der 39-Jährige auch am Tag darauf zeigte, wie bei der Pressekonferenz im Mannschaftshotel vor dem deutschen EM-Auftaktspiel an diesem Sonnabend gegen Montenegro (17.15 Uhr/ZDF). Prokop schien die Sätze der Journalisten in seinem Kopf erst einmal in Einzelteile zu zerlegen, bevor er selbst sprach. Ruhig und überlegt, als habe er das ganze Frage-Antwort-Szenario schon vorher im Kopf durchgespielt, um es nun abzuspulen. Bloß keine Überraschungen, auf alles vorbereitet sein.

Christian Prokop ist kein Bauchmensch. Er denkt taktisch, analytisch und ist detailverliebt. Es ist dieser Ansatz, mit dem der Bundestrainer sein Team zur Titelverteidigung führen will. Eine Art Stillstand hatte der Deutsche Handball-Bund (DHB) beim WM-Achtelfinalaus vor einem Jahr unter Bundestrainer Dagur Sigurdsson erkannt. Sigurdsson zog es kurz darauf nach Japan, ein neuer Trainer musste her. Einer mit einem neuen Ansatz. „Dagur hat die Eisenbahn wieder auf die Schiene gesetzt. Der DHB hat die Hotels, die Bundesliga die Bahnhöfe gebaut. Nun muss das Ganze logistisch in eine Richtung gebracht werden“, sagt Bob Hanning, Vizepräsident Sport des DHB. Dafür brauche es einen klugen Kopf. „Einer, der detailverliebt ist, aber auch das große Ganze sieht. Das ist für mich Christian Prokop. Er ist genau der richtige Mann für diese Phase des deutschen Handballs.“

Detailverliebt ist Prokop wirklich. Sein Team hat er einem stundenlangen Videostudium ausgesetzt. Er hat neben den eigenen die gegnerischen Spieler beobachtet. Im Nationalteam, in den Ligen und in der Champions League. „Er ist ein akribischer Arbeiter und nie unvorbereitet. Egal, ob wir Tischtennis spielen oder eine Handball-EM bestreiten“, sagt Kreisläufer Bastian Roscheck, der Prokop aus gemeinsamen Jahren bei DHfK Leipzig kennt.

Es war der Leipziger Bundesligaclub, bei dem die Karriere von Christian Prokop mächtig Fahrt aufnahm. Er führte die Leipziger 2015 ins Oberhaus und etablierte den Club im oberen Mittelfeld. Als die DHB-Auswahl 2016 Europameister wurde, saß der Vater einer vierjährigen Tochter und eines einjährigen Sohnes beim Public Viewing in Jena, wo er zuvor mit Leipzig ein Testspiel gegen die Füchse Berlin bestritten hatte. Er galt als einer der begehrtesten Trainer der Bundesliga. Dass er knapp ein Jahr später Sigurdssons Nachfolger werden würde, hätte er aber nicht im Traum gedacht. Auch das „Wie“ war kurios: Der DHB überwies eine halbe Million Euro nach Leipzig, um Prokop aus seinem Vertrag zu kaufen. Im Handball war dieser Vorgang eine kleine Sensation.

Nun also steht Prokop vor seinem ersten großen Turnier. „Ich will das von Dagur Erreichte nicht nur verwalten“, sagt er. Ohnehin ist Prokop ein anderer Typ als Sigurdsson, der Isländer mit der Aura des stoisch-coolen Siegertypen. Prokop ist ruhiger, aber von der Mannschaft wird seine kommunikative Art gelobt. Und auch vor unpopulären Entscheidungen scheut der Leipziger nicht zurück: Die Nichtberücksichtigung der Stammkräfte Finn Lemke, Rune Dahmke und Fabian Wiede sorgte für reichlich Gesprächsstoff. „Die Mischung muss stimmen“, sagt er dazu.

Die Mischung scheint eine gute zu sein: Im Tor hat Deutschland mit Andreas Wolff und Silvio Heinevetter eines der weltbesten Duos. Der Rückraum, vor allem halblinks, war lange die Problemzone. Durch den wurfgewaltigen Julius Kühn, Steffen Fäth und Paul Drux ist das Vergangenheit. Linksaußen Uwe Gensheimer ist durch sein Engagement bei Paris SG ein internationaler Star, Rechtsaußen Patrick Groetzki wirft derzeit die Rhein-Neckar Löwen in der Bundesliga Richtung dritte Meisterschaft. Und was denkt Prokop vor dem Auftaktspiel als Ergebnis stundenlanger Analysen? „Wir sind in der Lage, diese Mannschaft zu schlagen.“