Bischofshofen. Der Pole gewinnt als zweiter Springer alle Wettbewerbe der deutsch-österreichischenVierschanzentournee – Wellinger wird Gesamtzweiter

Die engen Gassen Bischofshofens waren in Rot und Weiß getüncht. Das sieht auf österreichischem Boden normal aus, die Skispringernation hatte bereits häufig Grund zur Freude in der Vergangenheit. Doch die Menschen, die nach dem Finale der 66. Vierschanzentournee vor dem Café Las Vegas ausgelassen feierten, sprachen kein Deutsch mit alpenländischem Dialekt. Sie schrien ihre Begeisterung auf Polnisch heraus, wahlweise auch auf Englisch, sofern in die Münder unter den riesigen Zipfelmützen noch nicht genügend Alkohol geflossen war. „Kamil is the best in the world“, brüllten sie glücklich jedem Entgegenkommenden zu, „Kamil ist der Beste der Welt.“ Gleich in welcher Sprache: Dem gab’s an diesem Abend nichts entgegenzusetzen.

Der Beste der Welt. Ein sehr großer Begriff, der diesmal in rot-weißer polnischer Ekstase aber seine Berechtigung hatte. Als Sven Hannawald einige Stunden zuvor im Auslauf der Paul-Außerleitner-Schanze stand und wie ein Kampfrichter beim Boxen die Hand von Kamil Stoch nach oben riss, da hatte das auch eine besondere Symbolik. „Kamil hat das nach vier Tagessiegen in einem Winter verdient,“ drückte die inzwischen 43 Jahre alte deutsche Sportlegende damit aus, „er hat mich ja schließlich eingeholt. Willkommen in unserem exklusiven Club“, sagte also Hannawald zu Stoch, „jetzt muss ich mich nicht mehr allein unterhalten.“ Und König Kamil, der nunmehr Größte, grinste zufrieden.

Hannawald mag nicht die Vergleiche der Größten seiner Zunft, zu unterschiedlich seien die Bedingungen in der jeweiligen Ära gewesen. Wer wolle da schon abwägen, warum nur ein Springer das Anrecht auf die Auszeichnung als Bester der Besten haben soll? Weil Simon Ammann (Schweiz) viermal Olympiasieger war, Janne Ahonen (Finnland) fünfmal die Vierschanzentournee gewann und Adam Malysz (Polen) viermal den Weltcup? Weil Jens Weißflog (Oberwiesenthal), Thomas Morgenstern (Österreich), Espen Bredesen (Norwegen), Matti Nykänen (Finnland) und Stoch Erster bei Olympia, bei der WM, bei der Tournee und im Gesamtweltcup waren? Oder weil Hannawald 2002 als Erster mit dem Tournee-Grand-Slam diese Leistungskonstanz aufwies, die vielen Wintersportlern wichtiger ist als Überraschungsmomente, die Olympia-Gold bringen können? Hannawald war bei der Vierschanzentournee der Pionier, Stoch ist der Nachzügler. All diese Athleten haben ihrem Sport etwas gegeben. Was sich mit Sicherheit aber sagen lässt: Der Pole ist der kompletteste von ihnen.

„Das Talent hat mir Gott gegeben“, sagte Kamil Stoch, 30 Jahre alt, seit sieben Jahren mit Ewa verheiratet und in der Heimat mit Beliebtheitswerten zwischen Johannes Paul II. und Robert Lewandowski ausgestattet. „Aber um erfolgreich zu sein, musste ich immer hart arbeiten.“ Von Oberstdorf bis Bischofshofen stellte er das immer wieder in den Vordergrund, zumal mit jedem Sprung der Druck größer geworden sei. Dem konnte er sich nur mit einem Abenteuerbuch und Pokerrunden entziehen, weil er ein perfekt funktionierendes Team um sich hat. Stoch nach dem großen Triumph: „Ich möchte Danke sagen an meine Trainer, meine Teamkollegen, an die Betreuer und auch an meine Frau. Ohne euch alle wäre das niemals möglich gewesen.“ Nur kurz danach wurde er auch noch als Polens Sportler des Jahres ausgezeichnet.

Womöglich wäre es auch nicht zur Einstellung des Hannawald-Rekords gekommen, hätte Stoch über acht Sprünge einen gleichwertigen Konkurrenten gehabt, werden nun einige denken. Das mochte nach dem Springen in Innsbruck am Donnerstag, als Richard Freitag bei der Landung stürzte, sogar stimmen, ändert aber nichts an der sportlichen Exzellenz des Polen. „Ein außergewöhnlicher Sportler und ein toller Botschafter. Sein Probedurchgang in Bischofshofen auf 139,5 Meter war der absolute Wahnsinn. Ich glaube, ich habe in meinem Leben noch nie einen besseren Skisprung gesehen“, sagte Bundestrainer Werner Schuster, „aber Richard Freitag ist für mich mit Kamil im springerischen Bereich auf Augenhöhe.“

Bei der Skiflug-Weltmeisterschaft in zwei Wochen in Oberstdorf und den Olympischen Winterspielen im südkoreanischen Pyeongchang (9. bis 25. Februar) werden Freitag nach hoffentlich erfolgter Genesung und der überglückliche Tournee-Gesamtzweite Andreas Wellinger („Ein geiler Scheiß“) dem Polen alles abverlangen. Im letzten Springen war Wellinger Dritter geworden. Den sichtlich geschafften Stoch interessierten die nächsten Highlights dagegen noch nicht, viel zu erschöpft war der 30-Jährige nach seinem vierten Einzelerfolg. „Ich ruhe mich jetzt erst mal aus“, sagte der zweimalige Olympiasieger. „Ich wollte nur meine besten Sprünge zeigen, ich habe nie auf den Sieg geschaut. Aber klar, das ist eine große Ehre für mich, eine große Ehre für das gesamte Team.“

Bundestrainer Schuster blickte bei seinem Tournee-Fazit mit Bezug auf die Platzierungen von Markus Eisenbichler (7.), Karl Geiger (11.), Stephan Leyhe (13.) und dem erst 18 Jahre alten Constantin Schmid (18.) sogar noch über diese Saison hinaus: „Wir werden diese Generation unterstützen, damit wir in den nächsten Jahren die Tournee einmal gewinnen.“ Das genügt Schuster schon. Es muss ja nicht gleich wieder der Beste der Welt werden.