Innsbruck. Der beste DSV-Springer stürzt in Innsbruck, kann die Vierschanzentournee nicht mehr gewinnen. Start in Bischofshofen fraglich

Als Kamil Stoch in der in die Jahre gekommenen Sporthalle der Pädagogischen Hochschule von Innsbruck auf der Empore Platz nahm, um zum dritten Mal bei dieser Vierschanzentournee Journalisten von seinem Tagessieg vorzuschwärmen, da machte der Pole einen bedrückten Eindruck. Es war etwas anders als zuvor in Oberstdorf und Garmisch-Partenkirchen, genauer gesagt gleich neben ihm zu seiner rechten Seite. Dort fehlte nämlich als Zweitplatzierter diesmal Richard Freitag.

Der einzige Skispringer, der Stoch den Gesamtsieg noch irgendwie hätte entreißen können, war zeitgleich zur Untersuchung seiner Hüfte in einem Innsbrucker Krankenhaus. Und auch wenn den Polen nur noch ein ähnliches Missgeschick von seiner Titelverteidigung abhalten könnte, empfand er angesichts der Sturzes seines ärgsten Konkurrenten keine Genugtuung: „Es ist nicht leicht, darüber zu reden“, sagte Stoch, „es ist traurig, man wünscht keinem Konkurrenten einen Sturz. Hoffentlich kommt Richard schnell und auf dem höchsten Level wieder.“

Das Bild, das Polens Volksheld noch immer vor dem geistigen Auge hatte: wie Richard Freitag vor der Sturzlinie der Bergiselschanze rücklings im Schnee lag, die Arme über dem Kopf zusammengeführt, die Skier vom Körper abstehend. Im Wissen, dass es das war mit der Tourneewertung. In Ungewissheit, welche Verletzungen der Grund für die Schmerzen sein könnten. Werner Schuster klang zynisch: „Zum Glück hat er nicht über das Knie berichtet“, sagte der Bundestrainer.

Nach ersten Untersuchungen gab Mark Dorfmüller, Teamarzt der deutschen Skispringer, vorsichtig Entwarnung. „Aktuell ist es okay, er hat halt noch Schmerzen. Er kann noch nicht richtig belasten. Man muss noch mal den Tag abwarten, wie es sich morgen entwickelt“, sagte er. „Für die erste Diagnostik kann ich jetzt mal Entwarnung geben, aber wir müssen mal schauen, wie es sich weiterentwickelt“, fügte er an. Weitere Untersuchungen sollen am Freitag in Bischofshofen vorgenommen werden. Dann soll geprüft werden, ob der Weltcup-Gesamtführende noch Schmerzen hat. Um am Sonnabend im Abschlussspringen der Tournee (17 Uhr/ARD und Eurosport) starten zu dürfen, müsste Freitag am Freitag (17 Uhr) die Qualifikation bestreiten.

Dem überragenden Stoch ist Platz eins unter normalen Voraussetzungen kaum mehr zu nehmen. Knapp 65 Punkte liegt der Pole (833,2) nun vor Andreas Wellinger, der bei diesiger Sicht und im Dauerregen von Innsbruck Tagesdritter wurde. Aber das war nur eine Nebensächlichkeit.

„Diese Schanze ist für eine solche Wettkampfführung nicht geeignet“, hatte Schuster sogleich einen Schuldigen an der Tragödie ausgemacht: den technischen Delegierten Geir Steinar Loeng. Der Norweger, der im Sinne der Show weite Sprünge liebt, war schon für das Frauenspringen Mitte Dezember in Hinterzarten zuständig, bei dem sich Svenja Würth das Kreuzband gerissen hat und ihren Olympia-Traum beenden musste. Zu viel Anlauf für diese äußeren Bedingungen, zu viel Risiko für die Gesundheit der Topstars. „Meine Kritik ist sachlich, und ich würde sie auch noch 17-mal wiederholen“, sagte Schuster und beharrte auf seiner Meinung, auch wenn Freitags Sturz die Ausnahme blieb. Der Bundestrainer befand sich zudem in der Klemme: Einerseits musste er Freitag alles riskieren lassen, um die Chance auf den Gesamtsieg zu erhalten; andererseits hätte er auch den Anlauf von sich aus verkürzen können. „Die FIS übt da sehr starken Druck auf uns Trainer aus, weil Richard dann 95 Prozent der Schanzenweite springen muss.“ In Innsbruck beträgt diese 130 Meter, 123,5 Meter wären also nötig gewesen, um drastische Punktabzüge zu umgehen. Schusters Trainerkollege bei den Polen, Stefan Horngacher, ließ Kamil Stoch kurz danach eine Luke tiefer starten: Der Doppel-Olympiasieger segelte trotzdem auf 130 Meter, landete ebenfalls auf des Messers Schneide, hielt sich aber auf den Skiern und vermied einen Sturz. „Solche Entscheidungen überlasse ich dem Werner und der Jury“, erklärte der Tagesweiteste Andreas Wellinger (133 Meter) auf die Frage, warum der Gedanke einer Anlaufverkürzung bei den Springern selbst nicht aufkam.

Wellinger war froh, endlich mal wieder zwei zusammenhängende Sprünge zu seiner Zufriedenheit absolviert zu haben. „Das gibt Selbstvertrauen“, sagte der 22-Jährige. Allerdings: Den Führenden Stoch könne niemand mehr einholen: „65 Punkte Vorsprung? Kamil kann sich nur noch selbst schlagen. Aber das wird nicht passieren.“ Gewinnt er auch Bischofshofen, wäre Stoch nach Sven Hannawald der zweite Athlet, der den Grand Slam, also alle vier Springen, gewinnt.