Jerez de la Frontera. Am Donnerstag soll der Brasilianer in Jerez eintreffen, das Problem ist damit aber noch lange nicht gelöst. Ein Streik und seine Folgen

Markus Gisdol hatte gute Nachrichten am Rande des hoteleigenen Trainingsplatzes in Jerez de la Frontera zu verkünden. „Alle Spieler sind fit“, sagte der zufriedene HSV-Trainer nach der ersten Einheit des neuen Jahres. „Die Jungs haben in der Pause gut gearbeitet. Alle sind mit einem perfekten Gewicht zurückgekommen.“ Alle bis auf einen. Was ihm denn zu Walace, der seinen Urlaub eigenmächtig verlängert hatte, einfallen würde?, wurde er gefragt. „Sein Gewicht kann ich nicht beurteilen“, witzelte der Coach, dem in dieser Angelegenheit eigentlich nicht zum Spaßen zumute ist. „Ist doch klar, dass ich das nicht lustig finde. Klar ist auch, dass das nicht die richtige Einstellung ist.“

Was Gisdol zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht wusste: Auch der Alternativplan, den Brasilianer aus seiner Heimat in Bahía im Nordosten Brasilien an diesem Mittwoch einfliegen zu lassen, ist hinfällig. Er wird erst am Donnerstag ankommen, „weil vorher alles ausgebucht war“, sagte Sportchef Jens Todt, der seit Tagen die Rolle des Krisenmanagers übernehmen muss.

Kurz vor Silvester hatte Walace’ Berater Rógerio Braun Hamburgs Sportchef angerufen, um ihn um drei Tage Sonderurlaub zu bitten. Der offizielle Grund: persönliche Probleme. Der inoffizielle: Spieler und Berater verhandeln seit Tagen mit mehreren brasilianischen Clubs über eine Rückkehr an den Zuckerhut. Besonders Flamengo Rio de Janeiro hat großes Interesse am 22 Jahre alten Olympia­sieger von 2016, zudem haben Atlético Mineiro und Palmeiras angefragt. Ein angebliches Interesse von Walace’ Ex-Club Porto Alegre, von dem mehrere Medien berichtet haben, ist nach Abendblatt-Informationen erloschen.

Was aber die ganze Situation verkompliziert: Todt hatte Braun in dem Telefonat kurz vor dem Jahreswechsel gesagt, dass der HSV Walace nicht verkaufen wolle und dass er einem Sonderurlaub nicht zustimme. Walace blieb dennoch in Brasilien – und muss nun mit einer fünfstelligen Geldstrafe rechnen. Das wirkliche Problem ist allerdings weder mit einer Strafzahlung noch mit Walace’ Ankunft an diesem Donnerstag aus der Welt. „Erst einmal muss er ankommen“, sagt Gisdol. „Über die Konsequenzen habe ich mir noch keine Gedanken gemacht.“

Wer den Trainer jedoch etwas besser kennt, weiß, dass Walace’ Resozialisierung ins Mannschaftsgefüge kaum mehr möglich ist. So gibt es nicht viel, was den Coach derart auf die Palme bringt, als wenn einer aus der Gruppe ausschert. Genau vor einem Jahr hatte Gisdol Emir Spahic vom Training freigestellt und auf einen Transfer Alan Halilovics gedrängt, weil der Schwabe die beiden Bosnier als Störenfriede für das Mannschaftsklima ausgemacht hatte. Im Saisonendspurt sortierte der Coach zudem Ex-Kapitän Johan Djourou, Nabil Bahoui und Ashton Götz aus, weil ihm deren Auftreten in der Kabine nicht positiv genug war.

Und nun Walace. Nachdem der sensible Südamerikaner in der Hinrunde kaum zum Einsatz gekommen war, hatte sich sein Gemütszustand nach der Partie gegen Eintracht Frankfurt noch mal zusätzlich verschlechtert. In dem Heimspiel hatte Gisdol Walace nach nur 35 Minuten und einem folgenschweren Fehler vor dem Tor zum 1:2 ausgewechselt.

Walace’ Entscheidung, die Hamburger nach nur einem Jahr wieder zu verlassen, soll nach dieser Partie gefallen sein, auch wenn Berater Braun gegenüber dem Abendblatt bekräftigt: „Ich möchte nicht über andere Clubs sprechen. Wir werden uns zunächst mit dem HSV zusammensetzen.“

Dennoch: Die Milchmädchenrechnung klingt simpel. Walace will weg – und Gisdol will den Brasilianer im Sinne des Betriebsfriedens mitten im Abstiegskampf nicht unbedingt halten. Doch was einfach klingt, ist höchstkompliziert. Denn Flamengo will Walace, der vor nicht mal einem Jahr für 9,2 Millionen Euro aus Porto Alegre gekommen war, am liebsten nur leihen. Ein Szenario, dem der finanzschwache HSV kaum zustimmen dürfte. „Bislang haben wir ja noch nicht einmal eine offizielle Anfrage von Flamengo auf dem Tisch“, sagt Todt, dem das Interesse des Rio-Clubs aber natürlich bekannt ist.

Fußball ist ja bekanntlich ein Geschäft. Und so dürfte auch dieser Transfer trotz aller Dementis letztendlich nur eine Frage des Geldes sein. So könnte man die höchstkomplizierte Angelegenheit am Ende dann doch auf eine ganz einfache Milchmädchenrechnung runterbrechen: Zahlt Flamengo genug und findet der HSV in diesem Winter einen adäquaten Ersatz, dürfte ein Verkauf kaum aufzuhalten sein. Aus dem Umfeld Walace’ heißt es ohnehin, dass der Mittelfeldmann auf keinen Fall noch mal für den HSV spielen will.

Als Vergleichsfall – eine Etage höher im Regal – dient die Causa Ousmane Dembélé. Der Franzose hatte im Sommer eigenmächtig entschieden, nicht mehr am BVB-Training teilzunehmen, um so seinen Weg zum FC Barcelona zu erzwingen. Nach Tagen der Dementis und der Beschwichtigungen musste Dortmund Dembélé schließlich doch ziehen lassen – für 105 Millionen Euro plus 43 Millionen Euro mögliche Bonuszahlungen.

Ganz so viel wird der HSV bei einem Walace-Verkauf natürlich nicht verdienen. Immerhin: Trotz des Ärgers darf sich auch Walace schon bald auf eine gute Nachricht freuen. In Kürze wird der Fußballer zum zweiten Mal Vater. Auch er hat in den Trainingspausen gut gearbeitet.