Garmisch-Partenkirchen. Der Pole Kamil Stoch führt nach dem zweiten Tageserfolg die Gesamtwertung der 66. Vierschanzentournee klar an. Mittwoch geht es weiter

Es war so ein hübsches Bild, das Richard Freitag während der von der Natur erzwungenen Pause abgab. Oben auf der Olympiaschanze von Garmisch-Partenkirchen sehnten der Slowene Tilen Bartol und der Pole Kamil Stoch die Freigabe herbei, die wechselnden Winde ließen aber keine sicheren Sprünge zu. Freitag stand bereits unten, Deutschlands derzeit bester Skispringer wartete als Führender des Neujahrspringens auf die Fortsetzung des Wettbewerbs. Er lehnte sich zum Goldenen Adler herüber, den am Ende des Sprung-Grand-Slams der Beste bekommt, und lachte glücklich. Sogar die Sonne hatte sich passend dazu durch den Wolkenvorhang am Gudiberg gekämpft.

Eine Szenerie, an der sich die meisten der 21.000 Fans wohl auch nach dem vierten und letzten Springen in Bischofshofen erfreuen würden. Aber es stand ja noch Stoch oben auf dem Turm, nachdem Bartols Sieghoffnung früh auf dem Landehügel versiegt war.

Kamil Stoch, der Vorjahressieger der Tournee, hatte ja bereits bei der Wetter- und Regenlotterie beim Auftakt in Oberstdorf am Sonnabend das große Los gezogen und gewonnen. Der 30 Jahre alte Pole glitt die Spur herunter, hob ab und setzte zum Fabelflug an: Mit 139,5 Metern zog Stoch dem schwarz-rot-goldenen Tollhaus im Schanzenauslauf den Stecker. Am Ende leuchteten 283,4 Punkte für Sprünge von 135,5 und ebenjener Tagesbestweite auf der Anzeigetafel – Platz zwei für Freitag wie in Oberstdorf. „Ich bin zufrieden mit meiner Arbeit, beide Sprünge waren auf einem hohen Niveau”, sagte Olympiasieger Stoch, dem eigene Sprünge eigentlich nie wirklich gut genug sein können.

Freitag also gegen Stoch – der 26 Jahre Weltcup-Führende aus Deutschland scheint derzeit als Einziger zur Tourneehalbzeit dem Polen noch den Gesamtsieg streitig machen zu können. 11,8 Punkte trennen die beiden, oder: „sechs Meter Rückstand“, sagte Freitag nach 132 und „feinen“ 137 Metern (275,8 Punkte). „Es ist grundsätzlich noch alles offen“, wenn es nun nach Österreich geht. Allerdings entscheiden nicht bloß diese sechs Meter über den Gesamtsieg. Die Weite ist das eine, aber die besten Stilisten erhalten die höchsten Haltungsnoten, die ebenso in die Wertung eingehen wie ein Punktezuspruch oder -abzug bei Rücken- und Aufwind. „In Innsbruck sind die Abstände traditionell geringer, in Bischofshofen aber kannst du bei einem Sprung schon zehn Punkte gut machen“, hat Bundestrainer Werner Schuster die Hoffnung auf den ersten deutschen Tourneesieger seit Sven Hannawald 2002 vor dem nächsten Springen am Donnerstag (14 Uhr/live im ZDF) noch nicht aufgegeben.

Aber irgendwie hat Freitags Siegerflieger-Schnauzer, den er sich seit den drei Siegen vor Weihnachten unter der Skibrille gedeihen lässt, ein wenig von seiner Magie eingebüßt. Das spürten auch die Besucher in Garmisch-Partenkirchen, die von der Silvesternacht nicht zu verkatert waren und wie die frisch vermählten Felix Neureuther und Miriam Gössner samt Töchterchen Matilda einen Ausflug zur Schanze machten. An lautstarker Unterstützung mangelte es jedenfalls nicht.

„Ein schöner Tag“ sei das deshalb gewesen, erklärte Freitag, wenngleich Schuster die knapp zwölf Punkte als „wahnsinnig schwierig aufzuholen“ bezeichnete. Freitag wollte keinen Gedanken daran verschwenden, ob das neue Jahr genauso anfangen würde, wie das alte geendet hatte. Anders als der ein oder andere Zuschauer blieb er auch in der Analyse und Bewertung nüchtern: „Von mir kommt jetzt keine große Kampfansage“, betonte er.

Von wem allerdings sonst? Der große Favoritenkreis vor dem ersten Springen ist auf die Minimalzahl eines Duells zusammengeschrumpft, der Pole Dawid Kubacki (27) als Gesamtdritter liegt 21 Zähler hinter Freitag. Dieser betonte dennoch: „Diese Tournee lässt immer Überraschungen offen. Wir brauchen uns vorne nicht in Sicherheit zu wiegen.“

Unberechenbar scheint allerdings vor allem das Wetter zu sein: Der frühere Tournee-Sieger Peter Prevc (Slowenien) verpasste in Oberstdorf den zweiten Durchgang, das Scheitern Stefan Krafts nach dem ersten Sprung in Garmisch-Partenkirchen war sinnbildlich für ein Bild des Jammers, das die Österreicher derzeit abgeben. Kein Springer aus der noch vor wenigen Jahren so dominanten Nation schafft es auch nur unter die besten 15. Am erfolgreichsten war noch Gregor Schlierenzauer als 19., auch in der Gesamtwertung liegt er mit Rang 15 mannschaftsintern vorne.

Wellinger glaubt an Spannung bis zum letzten Sprung

Genau wie für die Norweger Daniel-André Tande und Johann Andre Forfang spielt für Andreas Wellinger sowie Markus Eisenbichler als Gesamtsiebtem beziehungsweise -achtem „die Gesamtwertung der Tournee jetzt keine Rolle mehr“. Keine Ergebnisse, die zu einer veritablen Personaldebatte führen müssten, aber von Innsbruck an geht es nur noch um Freitag und Stoch.

Wellinger: „Die zwei werden sich ein sehr, sehr spannendes Duell bis zum letzten Sprung in Bischofshofen liefern.“ Genau das wäre jedenfalls im Interesse der Zuschauer.