Oberstdorf. Vierschanzentournee Richard Freitag geht als Weltcup-Führender an den Start

Richard Freitag gilt unter den Experten als Topfavorit, An­dreas Wellinger als zweiter Trumpf, und Markus Eisenbichler nimmt die Rolle als Edeljoker ein: Das stärkste deutsche Skisprung-Trio der Geschichte lässt bei der 66. Vierschanzentournee auf den lang ersehnten Titel hoffen. Neu-Bayer Freitag und die Ur-Bayern Wellinger und Eisenbichler haben beste Chancen, die 16 Jahre dauernde Durststrecke der DSV-Adler zu beenden und die Nachfolge von Sven Hannawald anzutreten.

„Wir haben eine sehr gute Situation, und die wollen wir nutzen. Wir haben uns bei der Tournee oft genug die Hörner abgestoßen“, sagt Bundestrainer Werner Schuster vor dem ersten Höhepunkt der Saison, der am Freitag mit der Qualifikation in Oberstdorf (16.30 Uhr/ARD und Eurosport) beginnt. Schuster ist seit zehn Jahren Bundestrainer, er führte das deutsche Skispringen aus dem Tal an die Spitze, doch bei der Tournee schmierten seine Schützlinge regelmäßig ab. Nun sind die Aussichten so gut wie nie zuvor.

Sogar der Topfavorit kommt erstmals in der Schuster-Ära aus Deutschland: Richard Freitag (26), der im Sommer von Sachsen nach Oberstdorf zog, ist vor seiner Haustür Sieganwärter Nummer eins. „Ich weiß, dass ich zurzeit ziemlich gut drauf bin. Ich lasse das einfach auf mich zukommen“, sagt Freitag, der im Weltcup zuletzt fünfmal in Folge auf dem Podest stand und dreimal gewann. Mehr geht (fast) nicht mehr.

Freitag ist der erste Deutsche seit Martin Schmitt vor 17 Jahren, der im Gelben Trikot zur Tournee reist. Kein Wunder, dass Zuschauerzahlen wie zu den goldenen Zeiten von Hannawald und Schmitt erwartet werden. Allein für die Qualifikation in Oberstdorf sind bereits mehr als 15.000 Tickets verkauft.

Sollte Freitag patzen, gibt es ja auch noch Andreas Wellinger. Der zweifache Vizeweltmeister aus Ruhpolding ist die Nummer zwei im Gesamtweltcup. „Ich weiß, dass ich vorne mitspringen kann“, sagt der 22-Jährige, der Anfang Dezember in Nischni Tagil siegte. Komplettiert wird das Dreigestirn vom WM-Dritten Markus Eisenbichler (26). Von „drei Rennpferden“ im deutschen Stall spricht Hannawald, der als Eurosport-Experte die Tournee begleiten wird.

Experte Hannawald warnt vor bösen Überraschungen

Hannawald „hofft sehr“, dass endlich ein deutscher Springer in seine Fußstapfen tritt. Doch gleichzeitig warnt der 43-Jährige: „Ich weiß auch, dass andere mit den Füßen scharren, vielleicht den Trainingsschwerpunkt Richtung Tournee gesetzt haben, die dann auftauen können“, sagt Hannawald im „sid“-Interview: „Und wenn in Oberstdorf auf einmal einer auftaucht, dann gucken erst einmal alle, und ehe sie realisiert haben, wieso, weshalb, warum, sind wir in Bischofshofen, und schon gibt es einen anderen Sieger.“

Überraschungen haben bei der Tournee durchaus Tradition. Die Österreicher Thomas Diethart und Stefan Kraft, zwei der vier letzten Sieger, waren ohne jeden Weltcup-Sieg in die Tournee gegangen. Kraft gilt dank seiner Erfahrung auch jetzt als Siegkandidat. „Wir werden uns wehren und beißen, damit wir ein schönes Duell bei der Tournee haben“, sagt der Doppelweltmeister in Richtung der Deutschen.

Zum Favoritenkreis gehört natürlich Titelverteidiger Kamil Stoch. Im Vorjahr war der Pole zur Tournee in mäßiger Form, holte dann aber mit nur einem Tagessieg in Bischofshofen den Gesamterfolg. Nun wirkt er gefestigter – ihn zu schlagen wird schwer.

Der Norweger Daniel André Tande. griff schon im Vorjahr nach dem Tourneesieg – doch dann verabschiedete sich im finalen Durchgang in Bischofshofen die Bindung seines rechten Skis. Tande vermied einen schweren Sturz und rettete sich auf das Gesamtpodium, war damit aber unter Wert geschlagen. Diesmal scheint mehr möglich: Unter den starken Norwegern ist er der stärkste.

Andere große Namen dürften dagegen keine Rolle spielen. Rückkehrer Gregor Schlierenzauer ist nur noch ein Abziehbild großer Zeiten. Gleiches gilt für den Slowenen Peter Prevc. Vor zwei Jahren war er Peter, der Große. Nun ist der 25-Jährige das große Rätsel. Nicht eine Top-10-Platzierung gab es im Olympia-Winter bislang für den Slowenen, er wirkt müde und kraftlos,

Mit am Start ist auch Noriaki Kasai. Der bald 46-jährige Japaner wird beim Auftakt in Oberstdorf maximal die Qualifikation überstehen. Aber: Wer „Nori“ nicht die Daumen drückt, der hat das Skispringen nie geliebt.