Hamburg. Als Bundesliga-Vorletzte gehen Trainer Gisdol und die Profis in den Winterurlaub

Am Sonnabend hatte Markus Gisdol seine Schützlinge alle noch einmal um sich versammelt. Für jeden gab es ein paar Worte und ein persönliches Paket – dann wurden sie hinaus in die Welt geschickt, um besinn­liche Weihnachtsferien zu begehen. Oder auch nicht. „Jeder Spieler hat seinen individuellen Plan mitbekommen, an dem er zu arbeiten hat“, erklärte der HSV-Trainer, „auch für mich ist Abschalten nicht möglich und auch nicht angebracht.“

15 Punkte nach 17 Spielen und damit der direkte Abstiegsplatz 17 lassen niemanden beim HSV froh und munter sein. Zu sagen, die Lage war noch nie so ernst ist angesichts der Clubhistorie falsch – aber sie ist wieder ernst, sehr ernst. „Natürlich hat man immer den Wunsch, dass man nicht zu den Betroffenen im Abstiegskampf gehört“, sagte Vorstandschef Heribert Bruchhagen, „aber die Situation hat sich nicht so dargestellt.“

Das 1:3 am Freitagabend in Mönchengladbach war der missglückte Schlussstrich unter einer missglückten Hinrunde. „Ein Spiegelbild der gesamten Serie“, sagte Gisdol. Was er meinte: Seine Mannschaft hatte einmal mehr ganz gut mitgehalten, den Gegner „geärgert“, teilweise das Spiel gemacht und stand am Ende nach individuellen Fehlern mit leeren Händen da. Spiel weggeworfen, Punkte verschenkt. Zum x-ten Mal. „Das zieht sich wie ein roter Faden durch die Saison“, klagte Gisdol.

Irgendeiner patzt immer. In Möchengladbach war es Kyriakos Papadopoulos, zuvor waren es Walace und Dennis Diekmeier und Christian Mathenia und Gideon Jung und André Hahn und, und, und. „Wir hätten sieben bis acht Punkte mehr haben können“, sagt Gisdol nicht ganz zu Unrecht. Haben sie aber nicht – und das macht die Situation so kritisch. Der Trainer wirkte vor dem Weihnachtsurlaub arg mitgenommen. Er weiß, dass der Druck auch auf ihn wächst, wenn die Ergebnisse ausbleiben. „Es geht mir total auf den Keks, wieder mit nichts dazustehen.“

Dabei hatte die Saison doch toll begonnen – dachte man. Aber schon im ersten Jubel nach acht Minuten gegen Augsburg steckte ein Grund für die Ergebnismisere der Hinrunde: Als Nicolai Müller sich nach seinem Siegtor beim Jubel das Kreuzband riss. Der torgefährlichste Spieler des Clubs, der fast an jedem Treffer der letzten Rückrunde beteiligt war, fällt praktisch für den Rest der Saison aus. „Nico ist für uns nicht zu ersetzen“, sagt Gisdol, „und planen können wir mit ihm vielleicht im April wieder, frühestens.“ Nach dem Auftaktsieg gegen Augsburg legte der HSV in Köln nach und stand für 20 Stunden auf Platz eins der Tabelle. Nur, was ein Sieg in Köln wert ist, weiß man inzwischen.

Es blieb der einzige Auswärtserfolg, lediglich ein Pünktchen erzitterte sich die Truppe noch in Freiburg. Nichts von dem Mut und dem Engagement der Heimspiele konnte sie auswärts zeigen. Die Niederlagen in Berlin, Mainz, Hannover waren ebenso selbst verschuldet wie die in Mönchengladbach. „Wir müssen eine bessere Konstanz hinlegen“, fordert Bruchhagen, „Wir haben in der Rückrunde Heimspiele gegen Teams, gegen die wir Punkte holen können. Das müssen wir dann aber auch tun.“

Der 1. FC Köln, Hannover 96, Bayer Leverkusen, Mainz 05, Hertha BSC, Schalke 04, der SC Freiburg und Borussia Mönchengladbach kommen in der Rückrunde in den Volkspark. Das sind acht Partien, also maximal 24 Punkte. Bei der herrschenden Auswärtsschwäche und Besuchen in München, Leipzig, Dortmund und Hoffenheim müssen fast all diese Heimpartien gewonnen werden, um die wegen der Dichte im Abstiegskampf wohl notwendigen 38 Zähler für den Klassenerhalt zu sammeln.

„Nie mehr“ wollte der Trainer nach dem Rettungskraftakt vom Vorjahr in eine vergleichbare Situation kommen. Jetzt ist sie da. „Nein, man kann das nicht vergleichen“, behauptet Gisdol jedoch, „es sind mehr Mannschaften unten beisammen.“ Zwischen dem Vorletzten HSV und dem Zwölften Wolfsburg liegen nur vier Zähler. Vor einem Jahr war der HSV mit 13 Punkten 16. und hatte vier Punkte Rückstand auf den 14. aus Mönchengladbach. „Letztes Jahr waren wir eigentlich schon erledigt. Die Mannschaft macht jetzt einen deutlich stabileren Eindruck“, sagt Gisdol trotz all ihrer Fehlerteufeleien, „vor einem Jahr mussten wir auch noch Spieler wechseln und den Kader verändern.“

Mergim Mavraj, Walace und Papadopoulos waren dazugekommen und trugen wesentlich zum Klassenerhalt bei. Auch in diesem Jahr scheint der Kader nicht ausreichend besetzt. Das war besonders zu spüren, als zwischen dem dritten und siebten Spieltag neben Müller auch Filip Kostic und Aaron Hunt ausfielen. „Zum Glück konnten wir Fiete Arp und Tatsuya Ito entwickeln“, sagte der Trainer, „es ist aber sehr wichtig, dass die beiden jetzt mal zwei Wochen zur Ruhe kommen.“

Mit der Option „Winterzugänge“ beschäftigt er sich in Gedanken deshalb auch. „Mir wäre wohler, wenn wir uns noch auf ein, zwei Positionen verbessern könnten.“ Geld hat der hoch verschuldete Verein dafür nicht zur Hand. Investor Kühne ansprechen oder Spieler verkaufen sind die Optionen. „Wenn sich Gelegenheiten auftun, denken wir darüber nach“, sagte Sportchef Jens Todt, „aber es ist schwer, im Winter jemanden zu finden, bei dem das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt.“

Also müssen Lösungen her, wie die vorhandenen Spieler fehlerloser werden können. Das Training intensivieren und Stresssituationen üben wäre denkbar. Ein Klassiker ist, zum Beginn der Wintervorbereitung am 1. Januar im spanischen Jerez einen neuen Konkurrenzkampf auszurufen. Auch und gerade im Tor, wo Christian Mathenia für den einen oder anderen spielentscheidenden Patzer verantwortlich war. Julian Pollersbeck hat die Chance, sich den Platz zwischen den Pfosten zu sichern, wenn er sich im Winter gut präsentiert. „Wir werden uns das in der Vorbereitung genau anschauen“, so Gisdol.

Am 13. Januar geht der Klassenkampf mit dem Spiel in Augsburg weiter. Dann kommt der inzwischen von aller Last befreit aufspielende 1. FC Köln ins Volksparkstadion und dann geht es nach Leipzig. Danach wird man klarer sehen, wohin der Weg für den HSV führt – und für seinen Trainer.