Hamburg. Der HSV-Trainer vermisst bei der Niederlage gegen Frankfurt Profis, die Verantwortung übernehmen. Stürmer schießen zu wenig Tore

Schön war die Videosession am Mittwoch im Volksparkstadion für die HSV-Profis nicht. „20 Minuten des Grauens“, Untertitel: „Wie werfe ich ein Spiel weg?“, wurde vorgeführt. Nein, das war wahrlich kein Unterhaltungsprogramm. Trainer Markus Gisdol zeigte stattdessen, was er nie mehr sehen will. „Meist machen wir es so, dass die Spieler in den Videositzungen Vorschläge bekommen“, erzählte er am Tag nach der 1:2-Niederlage gegen Eintracht Frankfurt. „Ich möchte aber auch hören, wie sie eine Situation einschätzen.“

„Extrem zum Kotzen“, schätzte Dennis Diekmeier die Situation ein.

Und traf damit die Befindlichkeit beim HSV am Tag danach ziemlich genau. 15 Punkte nach 16 Spielen ist die Bilanz eines Abstiegskandidaten. Mit dem Auswärtsspiel in Mönchengladbach am Freitag (20.30 Uhr/ZDF und Liveticker abendblatt.de) vor der Brust droht wieder einmal ein Überwintern auf einem direkten Abstiegsplatz. Gleich nach der Winterpause folgt ein Auswärtsspiel in Augsburg, dann kommt der 1. FC Köln, der gar nichts mehr zu verlieren hat, dann geht es nach Leipzig. Die Sorgen werden in den kommenden Monaten kaum kleiner.

„Ich beschäftige mich im Moment nur mit dem nächsten Spiel in Mönchengladbach und ziehe noch keine Hinrundenbilanz“, behauptete Gisdol jedoch. „Wir müssen jetzt also die Köpfe wieder freizurren, um uns die verlorenen Punkte zurückzuholen.“

Das sonst gern gezeigte Gisdol-Grinsen war nicht mehr zu sehen, zu sehr hatte die Pleite gegen die Eintracht das Mark des Trainers erschüttert. All die vorhanden geglaubte Stabilität nach drei Zu-null-Spielen in Folge hatte sich als Fata Morgana erwiesen. „Wir hatten in der ersten Halbzeit eine Phase drin, die wir uns so nicht erlauben können und die wir zuletzt auch nicht mehr hatten“, kritisierte Gisdol. „Wir haben uns nach den Fehlern zum 1:1 aus dem Tritt bringen lassen und total den Faden verloren.“ Vorstandschef Heribert Bruchhagen nannte es „vogelwild“.

Dennis Diekmeier, Walace und Torwart Christian Mathenia patzten nacheinander vor Frankfurts 1:1 durch Julian Wolf (16.). Die frühe Führung nach dem Kopfballtreffer von Kyriakos Papadopoulos (11.) war dahin – und auch jegliche Ordnung im HSV-Spiel. Dass die Eintracht „nur“ noch das 2:1 durch Mijat Gacinovic (24.) erzielte, war reines Glück. „Ich erwarte in solch einer Phase, dass Spieler auf dem Platz Verantwortung übernehmen und die Sache kurz sortieren“, erklärte Gisdol. „Das hatten wir nicht.“ Die eigentlich erfahrenen „Führungsspieler“ wie Mergim Mavraj, Aaron Hunt oder Filip Kostic gingen mit unter, „Papa“ grätschte voller Einsatz durch die Gegend, seine Vorderleute organisieren konnte er auch nicht. Erstmals klagte Gisdol diese Führungsdefizite auf dem Platz öffentlich an, ohne Namen zu nennen. „Das 1:1 hat uns völlig aus der Bahn geworfen“, gab Hunt das Offensichtliche zu.

Erst Albin Ekdal brachte nach seiner Einwechslung für den völlig desolaten Walace wieder Ordnung ins Spiel und machte so die gute zweite Hälfte möglich. „Wir wissen alle, dass Albin ein sehr guter Spieler ist“, erklärte der Trainer. Es wissen aber auch alle, wie fragil der Rücken des Schweden ist.

Trotzdem hätte es mindestens zu einem Punkt reichen können. Die zweite Halbzeit brachte Dauerdruck, Einbahnstraßenfußball und 20 Torschüsse – ohne Ertrag. „Seit ich in Hamburg bin, habe ich noch kein Spiel erlebt, in dem wir mehr oder bessere Torchancen hatten“, behauptete Sportchef Jens Todt. Die fehlende Durchschlagskraft im Angriff ist ein Problem. Insgesamt schießt der HSV zu wenig Tore. Wenn die beiden besten Schützen lediglich zwei Treffer erzielt haben, ist alles gesagt. „Dass wir aus unseren Möglichkeiten zu wenig Tore erzielen, ist entscheidend“, sagte Gisdol. „Wir hätten mehr Punkte geholt, wenn wir ein, zwei Spieler hätten, die jetzt sechs Tore haben.“

Wie Michael Gregoritsch in Augsburg, zum Beispiel. Aber das ist ein anderes Thema. Vor der Saison hatte Gisdol gemeinsam mit Todt entschieden, auf Bobby Wood zu setzen, der Österreicher durfte deshalb gehen. Hinterher ist jeder klüger. „Wir haben Spieler, die das Potenzial haben, Tore zu machen“, erklärte der Trainer und denkt dabei sicherlich auch an Fiete Arp, der sich erneut eine Großchance erarbeitete, aber am glänzenden Lukas Hradecky im Frankfurter Tor scheiterte. Natürlich hat der Coach schon das Wort „Knipser“ auf seinen Wunschzettel zum Fest geschrieben. Ob man für den Angriff nachbessern solle? „Das müssen wir noch besprechen.“

Denn erst einmal ist Mönchengladbach. „Dort müssen wir alles raushauen, was geht, und uns die verlorenen Punkte zurückholen“, forderte Mathenia. Dort will der HSV auch wieder zum konsequenten Kampf-Fußball zurückkehren, der in der letzten Rückrunde den Klassenerhalt brachte. „Wir müssen vielleicht ein bisschen mehr Gift in unser Spiel reinbringen, mehr von den unschönen Dingen wie noch intensivere Zweikämpfe“, kündigte Gisdol an. „Gefährlich an unserer Situation ist, dass wir besser spielen als letztes Jahr, aber nicht die Punkte einfahren, die wir mit unserer Leistung verdienen würden.

Vor einem Jahr stand der HSV nach 16 Spieltagen mit 13 Punkten da. In einer Saison, in der es in Darmstadt und Ingolstadt zwei designierte Absteiger gab. Das ist in diesem Jahr nicht der Fall, selbst der abgeschlagene 1. FC Köln hat ausreichend gutes Potenzial für die Liga. Bruchhagen hatte vor der prekären Situation schon vor der Saison gewarnt: Mindestens zehn Vereine würden ausschließlich gegen den Abstieg spielen, und der HSV gehöre wieder dazu.

Das wollte kaum einer hören – aber so ist es gekommen.