Ex-Basketballprofi Marvin Willoughby wird bei der Hamburger Sportgala für sein soziales Engagement als Integrationshelfer geehrt

Martina Goy

Mann, ist der Mann groß. 2,02 Meter sind für einen Basketballspieler allerdings eher Normalmaß. Aber praktisch ist die Körpergröße allemal, nicht nur im Sport. Ein Gespräch über Schwarzsein in Wilhelmsburg, Hierarchien in der Familie und warum Besser­seinwollen von innen kommen muss.

Herr Willoughby, Sie werden in ein paar Wochen 40 Jahre alt. Wie fühlt man sich als ehemaliger Leistungssportler vor diesem Datum?

Marvin Willoughby: Sie müssen besser recherchieren. Ich werde erst 26. Sieht man das etwa nicht?

Sorry. Darf ich trotzdem weiter fragen?

Na klar ... Es ist tatsächlich komisch, auf so eine Zahl zu schauen und sie mit sich selbst in Verbindung zu bringen. Andererseits merke ich an meinem Körper, dass ich nicht mehr 26 bin.

Für die Kreisliga reicht es aber noch, oder? Dort sind seit diesem Jahr zwei neue Teams gemeldet, die als Unterbau für den avisierten Bundesliga-Aufstieg der Towers dienen sollen. Es heißt, Sie spielen dort.

Nachdem ich aus Jobgründen lange fast keinen Sport gemacht habe, wollte ich es noch einmal wissen. Dabei habe ich gemerkt, dass man auch in der Kreisliga ein gewisses Niveau braucht. Man sollte regelmäßig trainieren, und der Körper muss ebenfalls mitspielen. Beides ist bei mir nicht mehr gegeben. Ich mache nur noch Fitness.

Das reicht aus, um Gewicht zu halten?

Ich habe von meinen Eltern gute Gene mitbekommen. Obwohl ich mich nicht immer gesund ernähre, ich sage nur Pizza und Limonade, nehme ich nicht zu. Das ist leider verführerisch.

Muss man als ehemaliger Leistungssportler nicht vorleben, dass ausgewogene Ernährung wichtig ist? Seit zehn Jahren engagieren Sie sich mit ihrem Verein Sport ohne Grenzen für die Integration von Kindern und Jugendlichen an Schulen. Sie sind ein Vorbild.

Vorbildsein ist nicht unbedingt mein Lieblingswort. Ich sage den Kids, ihr seid nicht schlecht, wenn ihr mal über die Stränge schlagt. Ihr müsst nur wissen, was ihr wollt. Ich gebe euch dafür Werkzeuge an die Hand. Ehrgeiz und Disziplin müsst ihr beisteuern.

Für Ihr soziales Engagement werden Sie bei der Hamburger Sportgala am heutigen Mittwoch mit dem Ehrenpreis ausgezeichnet. Was bedeuten Ihnen Ehrungen? Das Bundesverdienstkreuz haben Sie ja schon.

Ich muss korrigieren. Es war nicht das Bundesverdienstkreuz. Dafür muss man älter als 40 Jahre sein. Es ist die Medaille. Aber ich fühle mich geehrt und weiß das zu schätzen. Grundsätzlich halte ich es als Hamburger Jung mit dem Bürgermeister. Hanseaten dürfen eigentlich keine Ehrungen annehmen. Ich tue nur, was ich tun möchte. Wenn das preiswürdig ist, freue ich mich. Außerdem engagiere ich mich nicht allein. Mit meinem Freund und Partner Jan Fischer ...

... dem geschäftsführenden Gesellschafter der Towers ...

... habe ich 2006 den Verein Sport ohne Grenzen gegründet. Alles, was danach passiert ist, haben wir zusammen gemacht. Ein weiterer wichtiger Partner, der einen maßgeblichen, großen Anteil an der Entwicklung der Hamburg Towers hat, ist Tomislav Karajica. Ich bin Teamplayer. Das ist mir wichtig zu betonen. Auch wenn ich das Gesicht und der Name für unsere Projekte bin.

Ihr Vater ist Nigerianer, Ihre Mutter Deutsche. Macht ein Migrationshintergrund Ihre Arbeit glaubwürdiger?

Zumindest schadet er nicht. Ich weiß, was Außenseitersein heißt. Das fing schon in meiner Kindheit an. Ich wurde in einem Frauenhaushalt mit einer alleinerziehenden Mutter und einer Schwester groß. Und meine Jugend als Schwarzer war auch in Wilhelmsburg nicht leicht. Die Menschen dort waren an Türken und andere Ausländer gewöhnt. Schwarze wie ich waren damals in der Minderheit. Ich habe mich oft geduckt.

Welches Verhältnis haben Sie zu Ihren afrikanischen Wurzeln?

Ich war schon Ende 20, als ich das erste Mal Nigeria besucht habe. Meine Oma ist damals gestorben. Es wurde eine intensive Woche, in der ich viel gelernt habe.

Übers Fremdsein?

Über andere Kulturen. Meine Eltern haben sich getrennt, als ich noch ein Kind war. Bestimmte Handlungsweisen meines Vaters hatte ich bis dahin nicht verstanden. Erst als ich Einblicke in diese für mich neue Familienkultur erhielt, wurde mir einiges klar.

Können Sie ein Beispiel geben?

Als ich ankam, mussten mich meine jüngeren Cousins und Cousinen bedienen. Das war mir echt unangenehm. Andererseits wurde von mir erwartet, dass ich den Älteren an die Hand gehe. Diese Hierarchien innerhalb der Familie waren für mich gewöhnungsbedürftig. Heute weiß ich, so ein Netz ist dort wichtig. Familie ist der Helfer in der Not, nicht das Sozialsystem des Staates.

Was machen diese beiden Wurzelstränge mit Ihnen?

Ich bin ein afrikanischer Hamburger aus Wilhelmsburg.

Mit einem Identitätsproblem?

Gute Frage. Ich bin hier der deutsche Schwarze und in Afrika der schwarze Deutsche. Gewissermaßen sitze ich zwischen den Stühlen. Aber das ist okay. Hauptsache, ich kann frei entscheiden, was ich tun möchte.

Sie hatten eine schwierige Jugend. Warum sind Sie nicht einer von den Jugendlichen geworden, die auf die schiefe Bahn geraten?

Ich habe schon auch Blödsinn gemacht. Aber meine Mutter hat mir früh klar gemacht: Wenn du weiterkommen willst, musst du besser sein als die anderen. Du siehst anders aus, also musst du dich besonders anstrengen. Das hat mich geprägt. Und es hat funktioniert.

Ist das Ihre Botschaft an die Kids?

Klar. Aber nicht, weil ich emotional bin. Hautfarbe ist nur ein Wort. Ich kann rechnen. Wer pflegt uns, wenn wir alt sind? Wer bezahlt unsere Rente? Es müssen andere Menschen dazukommen, sonst bricht unser System auseinander. Das Deutschsein wird sich verändern, ob wir das wollen oder nicht. Wir müssen gemeinsam unseren Ehrgeiz für unsere Ziele einsetzen, sonst haben wir keine Zukunft.

Und Sport ist dafür ein Vehikel?

Ich sage sogar: Leider ist es so. Im Sport oder in der Popkultur dürfen Menschen traditionell anders sein. Das ist akzeptabel. Sogar einen schwarzen Präsidenten gab es mal. Aber das reicht zukünftig nicht mehr. Miteinander muss von innen wachsen. Vorurteilsfrei.

Inzwischen sind Sie als Geschäftsführer der Towers mehr Unternehmer denn Sozialarbeiter. Hat Sie das verändert?

Ich hoffe nicht, dass ich mich zu einem Kapitalisten verändert habe. Ja, wir haben mehr Verantwortung als früher. Unser Personalstamm ist gewachsen. Wenn etwas schief geht, hängen andere mit drin. Aber soziales Engagement ist die Basis. Alles, was wir finanziell entbehren können, fließt dorthin. Daran hat sich nichts geändert.