Hamburg. Nach dem Absturz auf Rang 234 der Weltrangliste hat der Hamburger seinen früheren Trainingsgefährten Julian Reister als neuen Chefcoach verpflichtet

Es hat einige dieser Momente gegeben in der abgelaufenen Saison, in denen er sich gefragt hat, warum er sich das alles noch antut. Wenn er bei Challenger-Turnieren in der ersten Runde gegen Spieler scheiterte, die vor einigen Jahren bessere Trainingspartner gewesen wären, dann war der Frust ständiger Begleiter. Eins jedoch, das hat Tobias Kamke nie vergessen: Dass er als Tennisprofi, der sein Hobby zum Beruf gemacht hat, ein privilegiertes Leben führt. Und deshalb fiel es dem in Lübeck geborenen Hamburger auch nicht schwer, im Alter von 31 Jahren am vergangenen Montag den Reset-Knopf für seine Karriere zu drücken. „Aufzuhören war für mich nie ein Thema“, sagt er.

Nötig geworden war ein Neubeginn, weil es so wie in den vergangenen zwei Jahren nicht weitergehen konnte für den Winterhuder, der 2010 zum Newcomer des Jahres auf der ATP-Tour gewählt worden und der 2013 für Deutschland im Daviscup angetreten war. Nach sechs Jahren, in denen er kontinuierlich in den Top 100 der Welt stand, war Kamke auf eine Achterbahnfahrt durch die Rangliste gestartet, die ihn nun aus den besten 200 katapultiert hat. Grund dafür waren unglückliche Entscheidungen, die der HSV-Fan selbstkritisch eingesteht.

So hatte er sich Anfang 2015 von seinem Trainer Sascha Nensel getrennt, weil dieser sich nicht zu 100 Prozent auf ihn konzentrieren konnte. Nach einem misslungenen Ausflug ins Team von Ex-Profi Björn Phau kehrte er Ende 2015 zu Nensel zurück, um sich im Mai dieses Jahres endgültig von ihm zu verabschieden. Den Lerneffekt aus dieser Phase kann Tobias Kamke klar benennen: „Ich habe genauso gespielt, wie es mein Ranglistenplatz aussagt, und deshalb gespürt, dass ich ein Umfeld brauche, in dem ich mich zu 100 Prozent wohl fühle“, sagt er.

Dass er seine Komfortzone nicht verlasse, um seine Grenzen zu verschieben, hat man ihm schon häufiger vorgeworfen. „Ich habe es versucht, habe an der Waske-Akademie in Offenbach trainiert und mit Sascha in Peine. Aber ich brauche in der turnierfreien Zeit mein eigenes Zuhause, um runterzukommen“, sagt er. Langfristige Zufriedenheit ist ihm wichtiger als kurzfristiger Erfolg: „Das Schlimmste für mich wäre, wenn ich den Spaß am Tennis verlieren würde.“

Rund 2,2 Millionen Dollar Preisgeld hat Kamke in seiner Karriere verdient, und weil er zusätzlich seit 2013 Bundesliga spielt, konnte er den sportlichen Absturz finanziell abfedern. Deshalb, aber auch, „weil ich weiß, dass ich das Tennisspielen nicht verlernt habe“, hat er sich für einen Neuanfang entschieden. Mit seinem besten Kumpel Julian Reister (31), der seit seinem Karriereende im Oktober 2016 als Trainer arbeitet, und dem Hamburger Zweitligaspieler Tobias Hinzmann (35) hat er ein neues Trainerduo gewinnen können, zudem ist mit David Schussmüller („Die Laufprofis“) ein neuer Athletikcoach im Team. Trainiert wird komplett in Hamburg.

„Natürlich war Julian und mir bewusst, dass es anfangs komisch sein würde, weil er nun eine ganz neue Rolle hat. Früher haben wir zusammen als Spieler trainiert, jetzt ist er nur noch für mich da. Wenn unsere Freundschaft darunter leiden sollte, werden wir die Zusammenarbeit auch beenden“, sagt der Weltranglisten-234., der angesichts der ersten Eindrücke jedoch voller Zuversicht in die neue Saison startet. Am 26. Dezember geht es nach Adelaide, wo sich das Mitglied des Uhlenhorster HC bei einem Challenger-Turnier die Wettkampfhärte für die Qualifikation zu den Australian Open holen will.

Tobias Kamke, der nie durch besonderes Talent glänzte, sondern durch harte Arbeit nach oben kam, hat immer noch sportliche Träume. „Zurück in die Top 100, einen ATP-Titel gewinnen und nochmal im Daviscup antreten“ zählt er auf. Motivation sei der Weg seines Hamburger Kumpels Mischa Zverev (30), der sich nach einem tiefen Absturz sogar in die Top 30 zurückschlagen konnte. „Das zeigt mir, was möglich ist, wenn das Umfeld stimmt und man hart arbeitet“, sagt er. Das Gute sei, dass niemand mehr etwas von ihm erwarte. „Ich will die mir bleibenden drei bis fünf Jahre bestmöglich nutzen“, sagt er. Auf diesen Weg hat er sich nun gemacht.