Hamburg. Heribert Bruchhagen zieht nach einem Jahr als Vorstandschef Bilanz: Der 69-Jährige äußert sich zur sportlichen Lage, zur angestrebten Unabhängigkeit von Investor Kühne und zu seinem Vertrag

Eigentlich war er im aktiven Ruhestand, fungierte als Sky-Experte. Doch dann rief der HSV. Am 14. Dezember 2016 trat Heribert Bruchhagen die Nachfolge von Dietmar Beiersdorfer als Vorstandschef an. Da passt es, dass es gegen den VfL Wolfsburg am letzten Spieltag der Saison 2016/17 den emotionalen Höhepunkt seiner Zeit in Hamburg zu feiern gab – den Klassenerhalt nach dem späten 2:1-Siegtor durch Luca Waldschmidt. „Es gab aber viele weitere aufregende Spiele mit späten Toren für uns, in denen wir aus einem Punkt drei Zähler gemacht haben“, erinnert sich der 69-Jährige nur zu gut an seine schwierige Mission: die Rettung des Dinos.

Herr Bruchhagen, mal ehrlich: Als Sie anfingen, hätten Sie gedacht, dass wir jetzt hier noch über Bundesliga-Fußball reden?

Heribert Bruchhagen: Es stimmt, angesichts von nur 13 Punkten zur Winterpause hatten wir die Zweite Liga sehr stark vor Augen. Ich glaube schon, dass der Aufsichtsrat dachte, ich sei auch der richtige Mann, um im Fall der Fälle das Unternehmen Wiederaufstieg anzupacken.

Aktuell hat der HSV 14 Punkte. Tabellarisch hat sich kaum etwas verändert.

Aufs Kalenderjahr bezogen haben wir jetzt schon 39 Punkte. Als ich den Spielplan sah mit vier Topteams zu Hause, gepaart mit unserer Auswärtsschwäche, war mir sofort klar, dass uns ein schweres Weihnachten bevorsteht. Ich bin mir umgekehrt aber sicher, dass wir in der Rückrunde mehr Punkte holen werden.

Dennoch: Viele Fans hatten sich einen zumindest zarten Aufschwung erhofft. Liegt das auch daran, dass die Bilanz der Sommertransfers sehr durchwachsen ausfällt?

Erstens gebe ich mir immer ein Jahr für die Bewertung eines neuen Spielers. Zweitens sind neun Punkte bis zur Pause zu vergeben, für eine Halbjahresbilanz ist es zu früh. Drittens: Das wollen Sie nicht gerne hören, aber in den nächsten fünf Jahren wird es immer einen Existenzkampf geben für alle Traditionsclubs, da bin ich sicher.

Stimmt, das hören wir nicht gerne.

Es ist doch so: Acht Mannschaften kämpfen um die Europapokalplätze, der Rest um den Klassenerhalt. Dazu zählt die Gruppierung der Traditionsvereine aus Stuttgart, Köln, Bremen, Hannover, Berlin, Frankfurt und auch Hamburg. Übrigens, der 1. FC Köln belegte in der vergangenen Saison Rang fünf.

Dennoch schienen finanzieller Aufwand und sportlicher Ertrag beim HSV in einem Missverhältnis zu stehen.

Wer einen 55-Millionen-Euro-Etat aufstellt, weckt natürlich die Erwartung, im Mittelfeld der Bundesliga zu landen. Da besteht ein Defizit bei uns seit den vergangenen fünf Jahren. Sie dürfen aber nicht außer Acht lassen, dass sich andere Clubs finanziell herangepirscht haben. Mainz bekommt elf Millionen Euro TV-Geld mehr als wir, überlegen Sie! Was Probleme bereitet, ist, dass wir trotz eines Umsatzes von mehr als 130 Millionen Euro nur gesichert 50 Millionen Euro in die Lizenzspieler-Abteilung stecken können. Wir müssen uns zwingend in den nächsten Jahren in der TV-Tabelle verbessern. Ebenso gilt es, im Bereich des Sponsorings alle Ressourcen auszuschöpfen.

Was macht Ihnen denn Hoffnung auf Besserung, wenn alle Vereine gnadenlos auf Umsatzwachstum setzen?

Wir müssen noch intensiver aus den eigenen Reihen Spieler entwickeln, die die Mannschaft stärker machen, und auf die individuelle Weiterentwicklung der vorhandenen Spieler setzen. Teambildung und mannschaftliche Geschlossenheit sind weitere Werte, mit denen Sie sich von der Konkurrenz positiv absetzen können. Erfreulich ist in dem Zusammenhang, wie erfolgreich bisher sowohl die U21 als auch die anderen Jugendteams abschneiden. Ich hoffe, dass wir daraus Nutzen ziehen können. Wenn sich ein Trainer im permanenten Existenzkampf befindet, kann er sich allerdings nur sehr bedingt Experimente mit jungen Spielern erlauben .

Ihr Auftrag war auch, die Zahlen zu verbessern. Das scheint nicht in Sicht zu sein.

Vergessen Sie nicht, wie viel Geld der HSV für Abfindungen zahlen musste in den letzten Jahren. Sicher bin ich verpflichtet worden, um vernünftige Verträge zu machen. Über allem steht jedoch der Klassenerhalt. Im vergangenen Geschäftsjahr hatte der HSV mit einem geringem Verlust geplant. Die Umstrukturierungen in der Winterpause, im Sport wie im Management, geschahen aus der Verantwortung für den Klassenerhalt und haben sich am Ende als richtig erwiesen, hatten dann aber auch Auswirkungen auf das Ergebnis.

Schließen Sie denn ein ähnliches Handeln aus im nächsten Transferfenster? Es soll ja endlich mal wieder ein schwarze Null geben.

Sie werden von mir keine dogmatischen Aussagen hören. Natürlich haben wir das Ziel eines ausgeglichenen Jahresabschlusses, am liebsten übrigens über das für die Verteilung der Fernsehgelder maßgebliche Ranking. Verbessern wir uns um drei Plätze, macht das ein Plus von sechs Millionen Euro an TV-Geld aus! Aber was ist, wenn wir jetzt drei Spiele verlieren? Über allem steht die Verantwortung für das Gesamtgeschehen. Das Durchsetzen von Zielen ergibt oft keinen Sinn, weil sich die Gegebenheiten in der Bundesliga so schnell verändern.

Wäre der HSV denn überhaupt finanziell in der Lage, aktiv zu werden?

Wir haben schon noch Möglichkeiten. Aber schauen Sie: Unsere Mannschaft hat eine gewisse Qualität mit einigen Stärken und Schwächen. Spieler zu holen, von denen wir sicher sind, dass sie das Niveau der Mannschaft anheben, liegen in einem Geldbereich, der sich in den vergangenen drei Jahren dramatisch verändert hat. Wer gibt denn im Winter einen Leistungsträger ab? Keiner. Alle haben Ziele, die höher gestellt sind. Früher gab es Vereine, die verkaufen mussten, um die Lizenz zu sichern. Diese Gruppierung gibt es nicht mehr, weil alle Clubs durch die riesigen TV-Verträge im Rahmen ihrer Planungen über eine bessere Liquidität verfügen.

Apropos Liquidität: Frisches Geld hat sich der HSV ja vor allem bei Klaus-Michael Kühne besorgt. Würde der Frankfurter Bruchhagen den HSV-Bruchhagen kritisieren für die Abhängigkeit vom Investor oder sogar Wettbewerbsverzerrung monieren?

Ach, Sie wissen doch, dass es bei den Bundesliga-Clubs viele Arten der Förderung gibt. Im Detail möchte ich darauf nicht eingehen. Das Engagement von Herrn Kühne hat dem HSV in der Vergangenheit sehr geholfen, und er wird uns hoffentlich auch in der Zukunft gewogen bleiben. Klar ist, dass dies kein unendlicher Zustand sein wird. Jeder Verein muss eine möglichst weit reichende Autarkie anstreben. Und das tun wir auch.

Wie ist Ihr Verhältnis zu Kühne derzeit?

Wir haben eine unaufgeregte, regelmäßige Kommunikation mit Herrn Kühne, der den Fußball intensiv verfolgt. Ebenso ist das Verhältnis zwischen Vorstand, Aufsichtsrat und sportlicher Leitung perfekt. Aber leider erkennt man zuweilen eine tiefe Neigung, alles rund um den HSV für chaotisch zu erklären. Wir hatten diese Woche ein riesiges Problem, weil in irgendeinem Internetbeitrag Aaron Hund statt Hunt stand, daraus ist dann eine bundesweite Agenturmeldung geworden.

Okay, das sind Peanuts. Aber stört es Sie nicht, wenn sich die Neubesetzung des Aufsichtsrats verzögert wie geschehen?

Das ist doch ein ganz normales Thema. Da konstituiert sich ein neuer Rat, das ist ein Vorgang ohne Bedeutung für den sportlichen Bereich in diesem Augenblick. Wollen Sie noch eine Wahrheit hören? Alles das, was wir beantragt haben, ist im Konsens mitgetragen worden. Warum sollte dies nicht auch mit dem neuen Aufsichtsrat so sein?

Das Imageproblem ist ein dickes Brett.

Es ist sicherlich nicht einfach, aus dem Image des aufgeregten Vereins entlassen zu werden. Also muss man damit leben. Dinge, die man nicht oder nur geringfügig ändern kann, sollte man nicht beklagen. Genau wie die Äußerungen von außen.

Aber Sie sind schon genervt davon.

Ich war über 13 Jahre Vorstandsvorsitzender in Frankfurt und werde mich bis zu meinem Ableben nie mehr zur Eintracht äußern, ich finde, das gehört sich so.

Im Sommer könnten Sie Ihren Vertrag per Option um ein Jahr verlängern. Trotz der Widerstände – wäre es Ihnen nicht viel zu langweilig, im Sommer wieder nur den Garten in Harsewinkel zu pflegen?

Die vertragliche Situation ist reine Spekulation. Jeder weiß, dass ich gerne in der Bundesliga arbeite, und ich fühle mich auch beim HSV sehr wohl.

Wann entscheiden Sie über Ihre Zukunft?

Ich habe das Gefühl, dass der Verein ordentlich geführt wird. Aber wenn man jemanden hat, von dem man glaubt, dass er dem HSV hilft, stehe ich auch keiner anderen Personalentscheidung im Weg. Das war von vornherein so verabredet.

Gesetzt den Fall, Sie bleiben, werden Sie dann auch Fiete Arp zum Saisonauftakt begrüßen können?

Das entscheidet allein der Spieler mit seinen Eltern und seinem Berater Jürgen Milewski. Aber ich bin ganz optimistisch. Hier sind alle interessiert, dass er sich im nächsten Schritt zu einem guten Bundesligaspieler entwickelt.

Und wenn er nicht verlängert, ist ein Verkauf dann keine Option?

Ein Verkauf wäre eine von mehreren Optionen, aber keine zwingende. Der BVB hat Lewandowski damals auch nicht verkauft.