Nischni Tagil. Deutschlands Skispringer sind in Bestform. Vielleicht ist sogar ein Tourneesieg möglich.

Richard Freitag trägt neuerdings einen Oberlippenbart. Und zum ersten Mal in seiner Karriere das Gelbe Trikot des Gesamtweltcup-Spitzenreiters im Skispringen. Was beide Sachen miteinander zu tun haben? Sie sind Anzeichen dafür, dass der begnadete Flieger erwachsen geworden ist. Der 26-Jährige hat in Nischni Tagil gerade seinen sechsten Weltcup-Sieg gefeiert. Im zweiten Wettbewerb in Russland musste er sich beim ersten deutschen Doppelsieg im Skisprung-Weltcup seit 16 Jahren nur seinem Teamkollegen Andreas Wellinger geschlagen geben. Die deutschen Flieger sind zu Beginn des Olympia-Winters spitze – und Richard Freitag ist derzeit ihre Nummer 1. Pünktlich zum ersten Heim-Weltcup am kommenden Wochenende in Titisee-Neustadt.

„Die weite Reise nach Russland hat sich definitiv gelohnt. Es ist ein extrem gutes Gefühl, zum ersten Mal das gelbe Trikot zu tragen und damit in Deutschland springen zu können“, sagte Freitag nach dem besten Wochenende seiner Karriere. Der Sachse ist auf dem besten Weg, den schon seit Jahren erwarteten Durchbruch zu schaffen. Bisher war er „nur“ der Mann für einzelne große Momente wie 2015, als er überraschend beim Vierschanzentourneespringen in Innsbruck triumphierte. Nach dem ersten deutschen Einzelsieg beim Skisprung-Grand-Slam seit zwölf Jahren verschwand er jedoch wieder im Mittelmaß der Weltelite. Bis jetzt. Und dieses Mal könnte sein Auftritt auf dem Siegerpodest nicht nur ein Gastspiel sein.

Der Höhenflug hat wohl vor allem damit etwas zu tun, dass Freitag seine sächsische Heimat verlassen hat. Gemeinsam mit seiner 16 Jahre alten Schwester Selina – ebenfalls eine hochtalentierte Skispringerin – ist Freitag nach Oberstdorf gezogen. Das spart ihm die häufige Anreise zu den Trainings-Lehrgängen im Allgäu. Zudem trainiert er jetzt bei Christian Winkler, der auch für die perfekte Materialabstimmung im deutschen Team zuständig ist. Chefcoach Werner Schuster ist deshalb verhalten zuversichtlich, was die Vierschanzentournee betrifft. Die deutschen Flieger warten seit 16 Jahren auf einen Gesamtsieg.

„Es würde mir sehr viel bedeuten, wenn wir die Tournee mal gewinnen könnten“, sagt er. Vielleicht erfüllt ein Mann mit einem Oberlippenbart ja diesen Wunsch.