Lake Louise/Essen. Viktoria Rebensburg ist nach Felix Neureuthers Verletzung die einzige große Ski-Hoffnung für Pyeongchang

Gut möglich, dass es damals eine kluge Abwehrreaktion war, sie als so junge Siegerin im übertragenen Sinn nicht auf die falsche Skipiste geraten wollte. Der Beiname Olympiasiegerin, das erklärte Viktoria Rebensburg emotional überwältigt nach ihrer Goldfahrt im Riesenslalom von Vancouver 2010, gehöre nicht so richtig zu ihr. Eine Umbenennung in Frau Olympiasiegerin ist tatsächlich ausgeblieben, das hätte sich ja auch ziemlich blöde angehört. „Ich war damals ja noch ein Mädchen“, sagt Rebensburg, nun gereifter und immer noch bodenständig. „Wenn das alles jetzt noch mal passieren würde, nähme ich es viel intensiver wahr, würde es vielleicht auch mehr genießen, weil mir damals nicht bewusst war, was es bedeutet hat.“

Das Damals liegt beinahe acht Jahre zurück, was für eine Sportlerin mit 28 schon ein großer Lebensabschnitt ist. Die beiden Läufe auf der „Franz’s Downhill“-Strecke in Whistler haben Deutschlands Sportfans erst gezeigt, dass es da noch eine andere tolle Skifahrerin neben Maria Riesch gab. Riesch gewann übrigens an gleicher Stelle, 2010 aber noch ohne den Zusatz Höfl vor ihrem Mädchennamen, Gold im Salom und in der Super-Kombination. „Es war ja mein erster Weltcupsieg überhaupt“, erinnert sich Rebensburg an ihren Triumph. Zu Beginn dieses Olympiawinters ist die Oberbayerin aus Kreuth am Tegernsee allerdings die einzige ernstzunehmende deutsche Medaillenhoffnung für die Winterspiele in Pyeongchang im Februar. Wäre diese Erwartungshaltung nicht schon erdrückend genug, hat ihr ein Kollege ungewollt noch eine zusätzliche Last aufgeladen.

Der Felix Neureuther nämlich, aber dem kann Viktoria Rebensburg natürlich nicht böse sein. Deutschlands Skistar ist durch den Kreuzbandriss und das wohl unvermeidbare Olympia-Aus bereits genug gestraft. Trotzdem haben Verbände Zielvorgaben, an Gold, Silber und Bronze hängen Fördergelder, und so recht traut man außer Rebensburg eben niemandem zu, in Südkorea Teil einer Medaillenzeremonie zu sein. Das macht sie auf einmal zur doppelten Alleinunterhalterin.

Zur Weltspitze gehört in der Regel nur, wer sein Talent im Training durch eine hohe Konkurrenzsituation ausreizen muss. Das fehlt beim Deutschen Skiverband. „Die erfolgreichen Nationen sind all die, die mehrere Athletinnen vorne dabei haben“, sagt Rebensburg, die 2014 in Sotschi Bronze folgen ließ. „Als Maria und Kati Hölzl noch dabei waren, haben wir uns in jedem Training gepusht.“ Am ehesten hätte man in diesem Winter Marlene Schmotz den Durchbruch zugetraut, doch die fällt aus dem gleichen Grund wie Neureuther lange aus. Der neue Damen-Bundestrainer Jürgen Graller („Ich hoffe, dass das ganze Damenteam durch ihn einen Aufschwung erfährt“), Lehrgänge mit den Schwedinnen und Norwegerinnen sowie 28 statt sechs Skitage im Vorjahr in der Vorbereitung haben die Sportmanagementstudentin dennoch die beiden ersten Riesenslalomrennen in Sölden und Killington (USA) gewinnen lassen. Sogar vor der anscheinend übermächtigen US-Amerikanerin Mikaela Shiffrin. „Sie hat eine gewisse Eleganz beim Fahren“, schwärmt DSV-Alpinchef Wolfgang Maier über Rebensburg. „Sie schaut aus, als müsse sie sich gar nicht anstrengen, fährt fein und unscheinbar – und zerlegt die anderen trotzdem.“

An diesem Wochenende schnallt Rebensburg die längeren Speed-Skier an und fordert die schnellsten Fahrerinnen der Welt in Lake Lindsey heraus. So wird die Strecke im kanadischen Lake Louise wegen der unzähligen Erfolge von Superstar Lindsey Vonn genannt. Abfahrten am Freitag (nach Redaktionsschluss) und Sonnabend (20.30 Uhr MEZ/Eurosport), dazu ein Super-G am Sonntag (19 Uhr): Rebensburg lotet ihre Medaillenchancen in weiteren Disziplinen neben dem Riesenslalom aus. Dank Olympia-Gold „habe ich das alles schon erlebt. Aber ich fahre nicht nach Pyeongchang, um nur dabei zu sein.“ Sondern um noch einmal Frau Olympiasiegerin zu werden.