Hamburg. Kapitän Bernd Nehrig widerspricht der Debatte um „echte“ Typen und schwört seine Kollegen auf Bielefeld ein

Bernd Nehrig ist ein Mann der klaren Worte. Niemand, der sich hinter den in der Fußballbranche so weit verbreiteten leeren Worthülsen versteckt. Der 30-Jährige füllt seine Rolle als Kapitän des FC St. Pauli mit Stolz aus. Dementsprechend sauer ist der defensive Mittelfeldspieler auf sich selbst, dass er nach der Gelb-Roten Karte beim 0:4 in Fürth am vergangenen Sonntag im so wichtigen Spiel bei Arminia Bielefeld an diesem Freitag (18.30 Uhr/Sky) nicht zu Verfügung steht. „In Fürth habe ich die Mannschaft im Stich gelassen, und es fuchst mich wirklich sehr, dass ich am Freitag nicht mithelfen kann, das Blatt zum Guten zu wenden“, sagt Nehrig, der angesichts der Krise beim Kiezclub mehr denn je als Führungsspieler gefragt ist.

Bei der Krisenanalyse kommt man bei St. Pauli nicht um das Thema Führungsspieler umhin. Gerade in der Fan-szene wird Typen wie Fabian Boll, Timo Schultz, Holger Stanislawski oder Fabio Morena nachgetrauert. Spieler, die auf und neben dem Platz die DNA des Clubs gelebt und ihr letztes Hemd für die Braun-Weißen gegeben haben. Im vergangenen Sommer wurde mit Sören Gonther der langjährige Kapitän und einer der Wortführer in der Kabine freiwillig abgegeben. Eine Entscheidung, die im Umfeld des Vereins nicht jeder verstanden hat.

Doch die Menschenführung im modernen Fußball hat sich geändert. Auch beim FC St. Pauli ist die Hierarchie deutlich flacher als in der Vergangenheit. Nehrig sieht das aber nicht als Grundproblem in der schwierigen Phase. „Jeder versteht die Situation, in der wir momentan sind. Da spielt es keine Rolle, ob Jung oder Alt, Leader oder nicht. Fakt ist, das nicht nur zwei, drei, vier, fünf Leader oder ältere Spieler das Ruder rumreißen müssen, sondern der komplette Haufen“, sagt Nehrig.

Beim Kiezclub setzen sie auf das Kollektiv. Den Vorwurf, dass es in der Mannschaft zu viel Harmonie und zu wenig Reibung gibt – Stichwort Wohlfühloase, will Nehrig nicht gelten lassen. „Es bringt nichts, wenn man Reibung hat, in dem man sich bei jedem Zweikampf im Training fast auf die Fresse haut oder sich unter der Dusche an die Gurgel geht. Ein gutes Kollektiv ist wichtig“, sagt der Kapitän und ergänzt: „Aber genauso wichtig ist es, dass im Training nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen ist und man vollen Einsatz zeigt. Das ist bei uns der Fall.“

Dass all das in Bielefeld nach sechs Spielen ohne Sieg Früchte tragen muss, weiß auch Nehrig. Die Partie auf der Alm wird zum Charaktertest und Wegweiser. „Wir haben in Fürth ein richtiges Brett in die Fresse bekommen. Jeder Spieler hat so viel Stolz, dass er das am Wochenende nicht noch einmal erleben will. Es klingt doof, aber vielleicht war es gar nicht so schlecht, um mal wieder die Synapsen so zu schärfen, dass man realistisch die Situation erkennt“, erklärt Nehrig.

Dass Trainer Olaf Janßen seine Profis ob der sich wiederholenden Probleme in den Spielen nicht mehr erreicht, dem widerspricht Nehrig entschieden. „Wenn unser Trainer uns über eine Woche nicht mehr erreicht und wir Spieler das nicht auf dem Schirm haben, kannst du dich in eine Holzkiste legen und begraben. Das Training ist aber top, das Miteinander und die Fehleranalysen sind auch top, wir müssen es nur umsetzen. Das haben wir bisher nicht getan“, sagt er. Selbsterkenntnis ist bekanntlich der erste Schritt zur Besserung.