Hamburg. Präsident Oke Göttlich soll heute für vier Jahre gewählt werden. Davor legt er das Amt aber erst einmal nieder

An diesem Donnerstag beweist der FC St. Pauli wieder einmal, dass er immer noch der etwas andere Verein im deutschen Profifußball ist. Der seit drei Jahren als Präsident amtierende Oke Göttlich (41) wird auf der Mitgliederversammlung des Clubs in der Messehalle A3 von diesem ehrenamtlichen Posten zurücktreten. Während im Normalfall eine solche Ankündigung helle Aufregung hervorrufen würde, wird sie beim FC St. Pauli mit der höchstmöglichen Gelassenheit zur Kenntnis genommen. Denn noch am selben Abend wird derselbe Oke Göttlich – sofern bei der Versammlung alles nach Plan läuft – wieder Präsident des FC St. Pauli sein.

Das Ganze wird auch nicht das Ergebnis eines radikalen Sinneswandels bei dem Hamburger Musikunternehmer innerhalb weniger Stunden sein, sondern folgt einer vor Wochen mit dem Aufsichtsrat ausgedachten Strategie. Am 16. November 2014 waren Göttlich und auch seine vier Vizepräsidenten Joachim Pawlik, Jochen Winand, Thomas Happe und Reinher Karl für vier Jahre gewählt worden, hätten sich also erst 2018 wieder dem Votum der Mitglieder stellen müssen.

Mitte 2018 muss die Fan-Anleihe zurückgezahlt werden

Nun aber kamen zwei Dinge zusammen. Happe und Karl erklärten, dass sie aufgrund beruflicher und privater Belastung für eine weitere Amtszeit nicht zur Verfügung stehen. Zudem haben Aufsichtsrat und Präsidium in gemeinsamen Gesprächen erkannt, dass der Verein in den kommenden Jahren „weitreichende strategische Entscheidungen“ zu treffen hat, um den FC St. Pauli innerhalb des deutschen Profifußballs wettbewerbsfähig zu halten. Dazu bedürfe es personeller Kontinuität.

Was also lag näher, als die Präsidiumswahlen ein Jahr vorzuziehen, Happe und Karl mit allen Ehren zu verabschieden und mit drei bewährten und zwei neuen Führungskräften die anstehenden Aufgaben anzugehen? Dass dazu erst einmal der Weg des Rücktritts gewählt werden muss, scheint niemanden ernsthaft zu stören. Nennenswerte Proteste gegen dieses Vorgehen waren bisher nicht zu vernehmen und sind an diesem Abend auch nicht zu erwarten. Die Wiederwahl von Göttlich, Pawlik und Winand sowie die Neuwahl der von Göttlich ausgesuchten Kandidaten Christiane Hollander und Carsten Höltkemeyer gelten als sicher.

Welches genau die weitreichenden strategischen Entscheidungen sind, die jetzt eine Neuwahl geboten erscheinen lassen, haben Aufsichtsrat und Präsidium noch nicht benannt. Fest steht jedenfalls, dass im kommenden Sommer die vor sechs Jahren aufgelegte Fan-Anleihe von insgesamt acht Millionen Euro, die planmäßig für den Neubau des Millerntor-Stadions und des Trainingszentrums an der Kollaustraße verwendet wurde, zur Rückzahlung ansteht. Hierfür hat der Kiezclub zwar Rücklagen in Höhe von mehreren Millionen Euro gebildet, die Führungskräfte rechnen aber damit, dass sie frisches Geld aufnehmen müssen, um der Rückzahlungsverpflichtung nachzukommen. Dies gilt auch für den Fall, dass einige Kleinanleger auf eine Rückzahlung ihrer Einlage verzichten sollten.

Das Präsidium muss entscheiden, ob es das nötige Kapital über eine neue Fan-Anleihe, ein Bankdarlehen oder auf anderem Wege generieren will. Auch wenn die Fan-Anleihe ein damals kaum erwarteter Erfolg war, ist die Tendenz, vorerst keine Neuauflage zu starten. Die aktuelle Fan-Anleihe war mit sechs Prozent verzinst worden, derzeit sind am Kapitalmarkt deutlich niedrigere Zinsen zu zahlen. Andererseits aber haben viele Zeichner der Fan-Anleihe bisher auf die Auszahlung der ihnen zustehenden Zinsen verzichtet. Dies ist bei Banken definitiv nicht der Fall.

Diese akuten Finanzfragen werden auch in den Zuständigkeitsbereich des neuen Vizepräsidenten Carsten Höltkemeyer fallen. Der Bankkaufmann ist beruflich als Geschäftsleiter der Barclays Bank PLC tätig und wohnt seit neun Jahren in Hamburg. Zuvor waren die Dresdner Bank und die Royal Bank of Scotland seine Arbeitgeber. „Es wird in dieser herausfordernden Zeit sehr wichtig sein, den FC St. Pauli auch weiterhin stabil zu führen“, sagt er. Dies sei ein großer Spagat, weil der Club einerseits wettbewerbsfähig bleiben müsse, andererseits aber auch seinen Werten verpflichtet sei. „Es gilt, bei diesen Zielkonflikten Lösungen zu finden, die allen gerecht werden“, sagt Höltkemeyer.

Die designierte Vizepräsidentin Christiane Hollander ist derweil seit 32 Jahren im Stadtteil St. Pauli verwurzelt und besucht nach eigenem Bekunden seit 30 Jahren die Heimspiele des Kiezclubs am Millerntor. Damals war der FC St. Pauli gerade auf dem Weg, wieder in die Bundesliga aufzusteigen. Als ausgebildete Juristin, die hauptberuflich für den Verein „Mieter helfen Mietern“ tätig ist, wird Christiane Hollander innerhalb des Präsidiums für den Bereich Recht zuständig sein, der zuvor von Reinher Karl bearbeitet wurde. Zudem ist sie bisher schon in verschiedenen Initiativen im Stadtteil und Umgebung aktiv. Erfahrung in der ehrenamtlichen Tätigkeit im Fußball sammelte sie beim SC Sternschanze, wo sie beim Aufbau einer Jugendabteilung mitwirkte. „Mir liegen auch die Mitglieder- und Fan-Angelegenheiten am Herzen“, sagt Christiane Hollander.

Angesichts des ungewöhnlichen Termins am Donnerstagabend statt eines Sonntags und des neuen Tagungsortes – Messehalle statt CCH – können auch die Verantwortlichen nur schwer einschätzen, wie viele der gut 25.000 Mitglieder zur Versammlung erscheinen werden. Die Schätzungen reichen von 600 bis 1000.