London. Kaum neue Erkenntnisse beim 0:0 zwischen England und Deutschland. Ordentliches Debüt von Halstenberg

Die Einstimmung war durchaus vielversprechend gewesen. In Schwarz-Weiß, dann später in Farbe flimmerten die Bilder vor dem Anpfiff über die Videoleinwände des Wembley-Stadions in London. Szenen von den legendärsten Duellen zwischen England und Deutschland. Dass an diesem Fußballabend frisches Bildmaterial für die Zukunft gewonnen werden würde, war allein deshalb unwahrscheinlich, weil es sich lediglich um ein freundschaftliches Testspiel handelte. Dass dann das einzig Besondere an dem Duell am Ende bleiben würde, dass es trotz einer erstaunlichen Anzahl von besten Möglichkeiten am Ende torlos blieb, war dann doch des Spektakels ein wenig zu wenig. Mindestens eine wichtige Erkenntnis nahm Bundestrainer Joachim Löw aber dennoch mit: Debütant Marcel Halstenberg, der ehemalige St.-Pauli-Profi, taugt als Alternative als Linksverteidiger.

Die Partie, vor der eine Schweigeminute zu Ehren der Opfer des Ersten und Zweiten Weltkriegs eingelegt wurde, begann mit gesteigertem Puls auf beiden Seiten. Zunächst schüttelte es Timo Werner bei einem Zusammenstoß mit dem englischen Torwart Jordan Pickford einmal kräftig durch, sodass er an der Seitenlinie behandelt werden musste. Der Leipziger nahm dann zunächst wieder seinen Platz in der Mitte einer offensiven Dreierreihe ein, in der ihn Leroy Sané und Julian Draxler flankierten. Und auch in der Defensive setzte Bundestrainer Joachim Löw auf eine Dreierkette mit dem Kapitän Mats Hummels als zentralem Glied. Kurios: Der Abwehrchef spielte mit einem löchrigen rechten Schuh. Hummels höchstpersönlich hatte vor dem Anpfiff mit einer Schere seinen Zehen den Weg aus der als allzu groß empfundenen Enge geebnet. Mit dem eher ungewöhnlichen Modell war er direkt mitten drin im Geschehen, als Tammy Abraham eine Hereingabe von Jamie Vardy um Zentimeter verpasste und Kieran Trippier einen Augenblick später ans Außennetz schoss (2. Minute).

Es blieb lange Zeit Englands einzige Torchance, denn die Deutschen – sehenswert filigran im zentralen Mittelfeld mit Rückkehrer Ilkay Gündogan und Mesut Özil – präsentierten sich zielstrebiger, ballsicherer. Immer wieder mittendrin: Sané, England-Legionär in Diensten von Manchester City. Erst schoss er ans Außennetz (8.), dann flog sein Ball kunstvoll aus 17 Metern auf die Reise geschickt an die Unterkante der Latte und tropfte vor die Linie (20.). Kein Wembley-Tor. Zwei Minuten später nahm die Chancenverwertung schon fast bizarre Züge an, als binnen Sekunden erst Werner am Torwart, dann Sané an einem auf der Linie klärenden Verteidiger und schließlich Draxler mit einem Schuss über das Tor scheiterten. Und auch Werners Alleingang aufs Tor zu machte Pickford zunichte (39.). Spätestens jetzt empörte deutsche Blicke und die Frage: Seit wann haben die Engländer einen Torwart, der nicht nur keinen Fehler macht, sondern auch noch formidabel hält.

Die schwarz-rot-goldene Führung wäre längst verdient gewesen, doch erwies sich das torlose Halbzeitergebnis dann sogar noch als ein wenig glücklich, weil zunächst Abrahams Schuss abgefälscht neben den Pfosten tropfte (42.) und dann Vardy frei vor Torwart Mac-André ter Stegen auftauchte, der Lupfer aber unpräzise geriet (45.).

Der anfängliche deutsche Elan blieb offenbar auch in der Halbzeitpause unauffindbar, denn es blieb das englische Team, das wie schon in den Minuten vor der Pause die Schwächen des Gegners aufdeckte. Einen Kopfball Vardys parierte ter Stegen reaktionsschnell (49.). Und auch in den Minuten danach musste Hummels sein beträchtlich entblößtes Hoheitsgebiet mit entschlossenen Grätschen verteidigen.

Die deutsche Mannschaft fand zu diesem Zeitpunkt offensiv kaum mehr statt. Und weil auch England so richtig kein Durchkommen mehr fand, begeisterten sich die Zuschauer eben gegenseitig. Wann immer es ein gebastelter Papierflieger von den Tribünen bis auf den Rasen schaffte, jubelten all jene, die seinen Flug gebannten Blickes verfolgt hatten. Mehr als ein halbes Dutzend unbemannter Flugobjekte lagen am Ende hübsch verteilt auf dem Spielfeld, auf dem sich sportlich nur noch bemerkenswert wenig tat. Finale Ausnahme: Sekunden vor dem Ende setzte Jesse Lingard seinen Schuss aus kurzer Distanz über das deutsche Tor.

Die DFB-Delegation wird London nicht so schnell den Rücken kehren. Erst für Sonntag steht die Weiterreise nach Köln zum Spiel am Dienstag (20.45 Uhr/ARD) gegen Frankreich an. Und zwar nicht, um dem närrischen Aufmarsch am 11.11. zu entgehen, sondern um an der Themse sich mal den wahren Sehenswürdigkeiten abseits des Fußballs zu widmen. Zumal das Mannschaftshotel der deutschen Delegation, am viel befahrenen Knotenpunkt in Convent Garden gelegen, ein idealer Ausgangspunkt für ein ausgedehntes Sightseeing ist.

England: Pickford – Stones, P. Jones (25. Gomez), Maguire – Trippier (71. Walker), D. Rose (71. Bertrand) – Dier, Livermore (86. Cork), Loftus-Cheek – Vardy (86. Lingard), Abraham (59. Rashford).
Deutschland: ter Stegen – Ginter, Hummels, Rüdiger – Kimmich, Gündogan (86. Rudy), Özil, Halstenberg – Draxler (67. Can), Werner (73. Wagner), Sané (87. Brandt).
Schiedsrichter: Raczkowski (Polen). Zuchauer: 86.000 (ausverkauft).