Hamburg. Das 1910 e. V. Museum startet die Ausstellung „Fußball in Trümmern. Der FC St. Pauli im Dritten Reich“

Christoph Nagel war am Mittwochnachmittag ein gefragter und vor allem viel beschäftigter Mann. Immer wieder huschte das Vorstandsmitglied des 1910 e. V Museums durch die Räumlichkeiten der Gegengerade im Millerntor-Stadion, stand den fleißigen Kollegen und Helfern mit Rat und Tat zur Seite, als es darum ging, Exponate, Dokumente und Schilder bestmöglich zu positionieren. Alles sollte schließlich perfekt sein, wenn am Abend die Ausstellung „Fußball in Trümmern. Der FC St. Pauli im Dritten Reich“ ihre Türen fürs Publikum öffnete. „Es ist meine erste eigens konzipierte und umgesetzte Ausstellung. Da ist man schon etwas nervös, aber auch voller Vorfreude. Zuletzt gab es für mich wenig Schlaf“, sagte Nagel.

Den Zeitpunkt für die Ausstellung haben die Initiatoren und Nagel, der gemeinsam mit den Historikern Gregor Backes und Michael Pahl seit knapp zehn Jahren zur Geschichte des FC St. Pauli forscht, mit Bedacht gewählt. „Die Ereignisse der letzten Zeit, seien es die Vorkommnisse in der Türkei, in den USA mit Donald Trump oder auch die Bundestagswahl, zeigen, dass nichts in der Geschichte unwiederholbar ist. Es ist nicht nur eine Ausstellung über eine abgehakte Vergangenheit, sondern auch über die Gegenwart. Es ist wichtig, das jetzt zu machen, um das Bewusstsein der Leute zu schärfen“, sagt Nagel.

Auf 600 Quadratmetern wird in mehr als 200 Exponaten, darunter Dokumente, Urkunden, Videos und Fotos, gezeigt, dass der FC St. Pauli nicht immer der hochpolitische und meinungsstarke Verein war, der er heute ist. Am Beispiel von acht ehemaligen St. Paulianern, darunter Ex-Präsident Wilhelm Koch, der Mitglied der NSDAP war, und Otto Wolff, dem post mortem die goldene Ehrennadel ob seiner Nazivergangenheit aberkannt wurde, werden die Haltung des Kiezclubs und seiner Spieler in der Zeit des Nationalsozialismus dokumentiert und persönliche Geschichten der Beteiligten erzählt. „Ein Verein, der sich heute so klar gegen rechts positioniert, sollte sich seiner Vergangenheit bewusst sein. Auch deshalb machen wir diese Ausstellung. Um zu zeigen, dass der Verein nicht immer so war, wie er heute ist“, erklärt Nagel.

Bis in die frühen 1990er-Jahre war St. Pauli unpolitisch

Der Wandel hin zum politisch orientierten Verein dauerte Jahrzehnte. Erst in den späten 1980er-Jahren, als Bewohner der Hafenstraße den Verein für sich entdeckten, änderte sich die politische Farbe im Stadion. Das sorgte aber nicht dafür, dass Rechtsradikalismus in Gänze aus dem Stadion verschwand. Noch bis in die frühen 1990er-Jahre gab es auch bei St. Pauli ein Problem mit rechtsradikalen Fans, die bei Auswärtsfahrten durchaus mal eine Reichskriegsflagge am Zaun hissten. In der Saison 1989/90 kamen aus dem Publikum verunglimpfende Affenlaute gegen den damaligen Nürnberger Stürmer Souleyman Sané. Anschließend setzten sich schockierte Anhänger und Spieler – darunter auch der ehemalige HSV-Sportchef Peter Knäbel sowie Kulttorhüter Volker Ippig – im Hinterzimmer einer Dönerbude auf St. Pauli zusammen, um zu beratschlagen, wie man des Problems Herr werden könne. „Bis in die 80er-Jahre war St. Pauli ein Verein, der sich nicht besonders um Politik gekümmert hat“, sagt Nagel. „Mit diesem Manifest, das aufgesetzt wurde, kam das politische Interesse im Vereins-Mainstream an.“

Es sind beeindruckende visuelle Eindrücke, die den Besuchern geboten werden. Fotos, wie Menschen im völlig zerbombten Hamburg buchstäblich in Trümmern Fußball spielen, bis hin zu den hochkomplexen Folgen für Spieler durch die Hitlerjugend. „Die ältesten Dokumente sind 120 Jahre alt. Wir haben zudem das älteste noch existierende Trikot von 1939 aus dem Nachlass eines Spielers, der damals in der Dritten Mannschaft gespielt hat“, erzählt Nagel.

Noch bis 10. Dezember können Interessierte wochentags von 11 bis 19 Uhr (donnerstags 11 bis 21.30 Uhr) die Ausstellung in der Gegengeraden besuchen und sich über die politische Entwicklung des FC St. Pauli informieren. Der Eintritt kostet fünf Euro (ermäßigt drei Euro).

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