Hamburg. Der Investor fordert neue Vorstände und Aufsichtsräte und droht dem HSV damit, seine Unterstützung einzustellen. Gernandt tritt ab

Es war 16.01 Uhr, als am Dienstagnachmittag die HSV-Welt einmal kräftig durcheinandergeschüttelt wurde. „HSV Fußball AG Aufsichtsratswahlen – Erklärung von Klaus-Michael Kühne“, stand wertneutral über einer online verschickten Pressemitteilung, die allerdings im Volkspark für ein regelrechtes Beben sorgte. Auf zwei DIN-A4-Seiten knüpfte der Investor sein weiteres finanzielles Engagement an klare Bedingungen und forderte zudem unverblümt die Absetzung der aktuellen HSV-Führung. „Ich erkläre hiermit, dass ich der HSV Fußball AG zukünftig nur dann eine finanzielle Unterstützung gewähren werde, wenn sie über den von mir befürworteten unabhängigen und kompetenten Aufsichtsrat verfügt und es diesem gelingt, Persönlichkeiten für die Führung der HSV Fußball AG zu gewinnen, die über große Managementqualität und -erfahrung verfügen“, hieß es in Kühnes deutlichem Schreiben.

Hauptgrund für Kühnes erneuten Rundumschlag ist die Besetzung des zukünftigen AG-Aufsichtsrats, für den HSV-Präsident Jens Meier seit Monaten Kandidaten gesucht – und diese nun auch gefunden und dem zustimmungspflichtigen Beirat mitgeteilt hat. Nach Abendblatt-Informationen hatte Meier die Liste mit seinen sechs Kandidaten kurz vor seiner Abreise in die USA, wo er bis Freitag auf Geschäftsreise ist, den Beiräten zukommen lassen. Und wie allgemein erwartet, hatte sich Meier gegen eine weitere Amtszeit von Kühnes rechter Hand Karl Gernandt entschieden.

„Ausgerechnet in dieser prekären Situation soll der Aufsichtsrat der HSV Fußball AG neu gewählt werden und sich diesmal nicht aus unabhängigen Persönlichkeiten zusammensetzen, die über Führungs- und Wirtschaftskompetenz verfügen, sondern aus größtenteils vereinsabhängigen Personen, die einseitig von Vereinspräsident Jens Meier nach Anhörung eines Beirats bestimmt werden sollen“, kritisierte Kühne, der zudem der auch von ihm erwarteten Nichtnominierung Gernandts zuvorkommen wollte: „Karl Gernandt hat sich entschlossen, einem solchen Aufsichtsrat nicht mehr anzugehören.“

Die Verantwortlichen des HSV wollten Kühnes Brandbrief zunächst nicht kommentieren. Am Abend wurde lediglich ein Statement von Präsident Meier verbreitet: „Wir reden intern miteinander und nicht extern übereinander.“ Da kann man unterschiedlicher Auffassung sein. Klar ist aber, dass der vor drei Jahren initiierte Umbruch mit dem Arbeitstitel „HSVPlus“ spätestens nach diesem Nachmittag endgültig als gescheitert betrachtet werden muss. Deswegen trete Kühne nun für „eine ,HSVPlus2‘-Initiative ein, die es ermöglicht, dass auch zukünftig ein unabhängiger Aufsichtsrat bestimmt wird“, schrieb der Wahlschweizer, der weitere Forderungen aufstellte: So dürfe Meiers Vorschlag keinesfalls umgesetzt werden (Forderung Nummer eins), damit dem „zukünftigen Aufsichtsrat der HSV AG qualifizierte und unabhängige Persönlichkeiten mehrheitlich mit wirtschaftlicher Kompetenz angehören“ (Forderung Nummer drei).

Hinter den Kulissen wurde in den vergangenen Wochen längst mit großer Vehemenz diskutiert, inwiefern sich der HSV zukünftig von der Abhängigkeit von Kühne lösen sollte. Laut „Bild“ soll der Milliardär nach einer Kapitalerhöhung inzwischen 20 Prozent der Anteile der HSV Fußball AG halten, was der Club weder bestätigen noch dementieren wollte. Unstrittig ist, dass Kühne seit Beginn seines Engagements 2010 mehr als 100 Millionen Euro in seinen Lieblingsclub gesteckt hat, zu dem er seit jeher ein streitbares Verhältnis pflegte. Immer wieder kritisierte der Hamburger die Verantwortlichen hart, forderte die Entlassung von Trainern, Sportchefs und Vorständen – auch in seinem aktuellen Schreiben. So räumt der Investor zwar ein, dass Vorstandschef Heribert Bruchhagen und Manager Jens Todt im Kampf gegen den Abstieg erfolgreich gewesen seien, es aber nicht geschafft hätten, „die Mannschaft zur Saison 2017/18 so zu verbessern, dass sie sich in der Bundesliga-Tabelle gut platzieren konnte – im Gegenteil“.

Auch wegen öffentlicher Fundamentalkritiken wie dieser hatte es vor allem im neuen HSV-Beirat, der den kommenden AG-Aufsichtsrat vor der Hauptversammlung am 18. Dezember absegnen muss, den starken Wunsch gegeben, sich künftig von Kühne zu lösen. Es soll auch Überlegungen gegeben haben, dem streitbaren Geldgeber statt Ex-Aufsichtsratschef Gernandt einen alternativen Vertrauensmann für das neue Kontrollgremium anzubieten. Als Kandidaten wurden auch Hapag-Lloyd-Aufsichtsrat Michael Behrendt und Hans-Walter Peters von der Berenberg-Bank gehandelt. Allerdings soll Kühne einen Gernandt-Ersatz vehement abgelehnt haben. Gernandt selbst hatte auf Abendblatt-Nachfrage lediglich bekräftigt, dass es in Meiers neuem Kontrollgremium definitiv keinen neuen Kühne-Vertrauten geben werde.

Jansen würde als Aufsichtsrat zur Verfügung stehen

Als aussichtsreichste Kandidaten gelten nun Meier, der als Präsident des e. V. als Aufsichtsrat ohnehin gesetzt ist, Ex-Interimskontrollchef Andreas Peters, HEK-Chef Jens Luther, Karl J. Pojer von Hapag-Lloyd Cruises und Ex-Profi Marcell Jansen. „Es stimmt, dass ich von Jens Meier angesprochen wurde. Grundsätzlich kann ich mir so eine Aufgabe vorstellen“, sagt Jansen.

Doch bevor man sich beim HSV wieder voll auf die Zukunft konzentrieren kann, dürfte es in der Gegenwart zunächst noch ein wenig rappeln. Klar ist jedenfalls, dass es nach Kühnes Drohbrief kein einfaches „Weiter so“ geben kann. Einen vergleichbaren Vorgang, dass ein Anteilseigner sämtliche Führungspersonen (Vorstand, Aufsichtsrat, Präsident) eines Clubs in nur einer Mail verbrennt, hat es in der Bundesliga jedenfalls noch nicht gegeben. Fortsetzung folgt. Garantiert.