Hamburg. Nach acht sieglosen Spielen in Folge hat Gisdols Team Stuttgart mit 3:1 bezwungen und so für den 500. Heimsieg gesorgt. Der HSV profitierte einerseits von einer Fehlentscheidung. Und andererseits vom neuen Mut zur Jugend

Ein Siegerbierchen in der Kabine, Abendessen beim Italiener und noch ein kurzer Besuch in der Disco. Zum Beispiel im Golden Cut am Hauptbahnhof. So in etwa stellt man sich das Abendprogramm vor, wenn man erstmals von Anfang an in der Bundesliga aufgelaufen ist, sein erstes Tor vor heimischer Kulisse geschossen und somit für den 500. Heimsieg des HSV gesorgt hat. Mit 17 Jahren. Mit 17!

Jens Todt lacht am Morgen danach. „Es war nicht Fiete Arps erster Impuls, am Sonnabend noch um die Häuser zu ziehen“, versichert der Sportchef. „Fiete war nicht in der Disco. Der war als einer der Ersten heute Morgen hier, liegt jetzt auf der Bank und lässt sich massieren.“

Und während sich der brave Jungspund also am Morgen nach dem 3:1 gegen den VfB Stuttgart und seinem ersten Profitor im Volksparkstadion im Bauch der Arena entspannen darf, muss Todt nicht einmal 20 Meter Luftlinie entfernt noch einmal Rede und Antwort stehen. Der Hype um Arp? „Fiete geht erstaunlich gelassen mit diesem Hype um“, sagt Todt, der sich auch keine Sorgen um dessen in anderthalb Jahren auslaufenden Vertrag macht: „Bis 2019 ist er ja bei uns noch gebunden. Der Verein und Fiete wissen ja, was sie aneinander haben.“ Und dann, nach der gefühlt 27. Arp-Nachfrage, sagt Todt schließlich: „Ja, ja. Er hat jetzt seine ersten Spiele gemacht, das ist toll. Aber jetzt versuchen wir mal wieder, diesen Hype ein bisschen runterzufahren, okay?“

Nice try, sagt man wohl auf Neudeutsch. Die „Bild am Sonntag“ titelte: „Super, Fiete!“, die „Mopo am Sonntag“ schrieb: „Fiete erobert den Volkspark“, und sogar Uwe Seeler fühlte sich an seinem 81. Geburtstag zu einer arpschen Klarstellung genötigt: „Ich bin nicht böse, wenn er ,Uns Fiete‘ genannt wird.“

Nun denn. „Uns Fiete“ war es jedenfalls, der am Sonnabend kurz vor 17 Uhr für die buchstäbliche Kirsche auf der HSV-Sahnetorte sorgte. Der jüngste HSV-Bundesliga-Spieler aller Zeiten umspielte zwei Stuttgarter, schoss aus 13 Metern und traf zum vorentscheidenden 3:1, das aus einem guten einen sehr guten HSV-Nachmittag machte. „Fiete ist ein überragender Stürmer mit überragendem Torabschluss“, lobte später Passgeber Dennis Diekmeier. „Fiete wird von Woche zu Woche besser.“

Und von Woche zu Woche begehrter. „Was um mich herum gerade passiert, das ist mir fast schon unheimlich“, sagte Arp am Sonntag im clubeigenen HSV-TV. Alle anderen Medienanfragen blockte der Club nach dem 3:1-Sieg so erfolgreich ab, wie es die Mannschaft mit den wenigen Stuttgarter Offensivbemühungen am Sonnabend geschafft hatte. „Ich finde es ganz gut, wenn wir den Jungen nicht zu sehr in den Mittelpunkt rücken“, sagte Trainer Markus Gisdol. „Es wurde so viel Wirbel um Fiete gemacht, da ist es mal ganz gut, wenn der Junge einfach mal in der Kabine sitzen und was trinken kann.“

Erstmals hat Gisdol Holtby aus dem Kader gestrichen

Dabei war es keinesfalls selbstverständlich, dass nach der Partie gegen Stuttgart Fiete Arp derart im Fokus stehen würde. Denn dort stand nach acht Spielen ohne Sieg noch vor der Partie vor allem Trainer Gisdol. „Ich war aber nicht besonders nervös oder angespannt“, behauptete Gisdol zwar nach dem Spiel, allerdings darf man diese Aussage als erlaubte Flunkerei abtun. „Natürlich haben wir uns danach gesehnt, endlich mal ein Spiel zu gewinnen“, gab der erleichterte Coach dann auch noch zu.

Dass es nach acht erfolglosen Versuchen in Folge im neunten Anlauf dann doch gelingen sollte, hatte vor allem zwei Gründe. Grund Nummer eins: eine Fehlentscheidung von Schiedsrichter Guido Winkmann, der nach dem Spiel selbst zugab, dass er Stuttgarts Dzenis Burnic nach einem leichten Foul an Aaron Hunt nach gerade einmal 13 Minuten besser kein Gelb-Rot gegeben hätte: „Die Fernsehbilder geben das nicht her. Die Gelb-Rote Karte war in dem Fall nicht richtig“, sagte Winkmann bei Sky. Und Grund Nummer zwei: der Arp-Faktor. Oder besser: Gisdols Entscheidung, die gesamte Mannschaft nach den zuletzt schwachen Auftritten auf links zu drehen und die Youngster Arp und Tatsuya Ito (20) den Arrivierten Bobby Wood und André Hahn vorzuziehen. Lewis Holtby hatte es erstmals in dieser Saison nicht einmal in den Kader geschafft.

„Die jungen Burschen können sich nur entwickeln, wenn sie auch eine Mannschaft um sich herum haben, die sie führt und die ihnen hilft“, sagte Gisdol nach der Partie, als er bereits wusste, dass genau dieser fromme Wunsch in den 90 Minuten zuvor zu nahezu 100 Prozent erfüllt worden war. So bildeten erstmals in dieser Saison Alt (Diekmeier, Mavraj, Papadopoulos, Hunt) und Jung (Arp, Ito) eine fast perfekte Mischung, aus der neben den beiden Nesthäkchen vor allem auch „Oldie“ Aaron Hunt (31) herausstach. Sogar noch nach dem Spiel, als der einst jüngste Werder-Torschütze aller Zeiten über den jüngsten HSV-Torschützen aller Zeiten referierte. „Er ist ein gutes Talent für seine 17 Jahre. Er muss weiter hart arbeiten, dann wird er ein guter Spieler“, sagte Hunt. Ist Arp also noch kein guter Spieler?, hakte ein Journalist nach. „Er ist ein Talent“, wiederholte Hunt, und präzisierte: „Ich halte nichts davon, zu viel Druck aufzubauen oder ihn zu groß zu machen.“

Was im Kleinen (Arp) gilt, gilt für das große Ganze genauso. So sind am Tag danach alle Protagonisten bemüht, den ersten Erfolg seit August richtig einzuordnen. „Ein kleiner Befreiungsschlag“ sei der Sieg gewesen, sagt Todt, der gleichzeitig auf die Euphoriebremse tritt: „Nach elf Spielen haben wir zehn Punkte. Das ist zu wenig“, relativiert der Manager und rechnet: „Mit 30 oder 31 Punkten zum Saisonende steigt man ab.“ Normalerweise. Oder man zieht mit 27 Punkten in die Relegation ein. Aber das ist eine ganz andere Geschichte, die nach diesem Wochenende sicherlich keiner hören (oder lesen) will.