Hamburg. Nach acht Partien ohne Sieg muss der HSV-Trainer am Wochenende endlich punkten. Gegner im Volkspark ist ausgerechnet der VfB Stuttgart, sein VfB Stuttgart

Man tut Heribert Bruchhagen sicher nicht unrecht, wenn man behauptet, dass der HSV-Vorstandsvorsitzende so einiges in seiner Karriere erlebt hat. Im kommenden Jahr feiern der Profifußball und Bruchhagen goldene Hochzeit. Vor sage und schreibe 49 Jahren startete der Ostwestfale seine Karriere als Spieler in Gütersloh, später war er Trainer, Manager und schließlich Clubchef. Und in all den Jahren blieb eines immer gleich: Wenn eine Mannschaft nicht mehr gewinnt, wird der Trainer hinterfragt.

Das ist auch am Donnerstag so. Der Unterschied zu sonst: HSV-Trainer Markus Gisdol wird nach acht Spielen in Folge ohne Sieg vor laufender Kamera nicht einmal hinterfragt, sondern mitgezählte zehnmal. Wie fest der Trainer im Sattel sitze, soll Bruchhagen sagen. Ob er einen Trainerwechsel ausschließe? Was ihn positiv stimme, dass Gisdol die Wende schaffe? Und die Königsfrage aller Trainerdiskussionen: Ob denn sein Glaube in Gisdols Fähigkeiten noch da sei?

Ein Novembertag in Hamburg.

Zwar behauptet Sportchef Jens Todt noch immer, dass es kein Naturgesetz sei, dass im Herbst der HSV-Trainer entlassen wird. Nach 14 Trainern in zehn Jahren dürfte aber auch der Sportchef einem gewissen Hang zur herbstlichen Trainerdiskussion in Hamburg nicht widersprechen.

Bei Bruchhagen hört sich das dann so an: „Natürlich sind wir angespannt.“ Und selbstverständlich sei es der Anspruch, nun zu punkten. „Auf dem grünen Rasen wird über das Wohl und das Wehe des HSV entschieden“, sagt Bruchhagen. Was er nicht sagt: Und über das Wohl und Wehe des Trainers.

Es dauert ein paar Minuten, ehe „Mopo.de“ verkündet: „Bruchhagen erhöht den Druck.“ Das in Hamburg so beliebte Spielchen hat also begonnen.

Natürlich weiß auch Markus Gisdol, dass Trainerkarrieren in der Bundesliga kurz und beim HSV ultrakurz sind. In den vergangenen 20 Jahren konnten sich Fußballlehrer in der Ersten Liga im Schnitt 488 Tage im Amt halten. Beim HSV wurden die letzten fünf Trainer im Schnitt sogar nach 219 Tagen entlassen. Gisdol ist seit 402 Tagen im Amt. Für den Bundesliga-Durchschnitt muss der Coach auf dem Hamburger Feuerstuhl also noch knapp drei Monate durchhalten.

Der VfB Stuttgart ist für Gisdol „ein besonderer Club“

Ob Gisdol das schafft oder nicht, dürfte auch maßgeblich vom Spiel am Sonnabend (15.30 Uhr/Sky) gegen den VfB Stuttgart abhängen. Ausgerechnet gegen den VfB Stuttgart.

Tatsächlich war der VfB der erste Proficlub, der vor zwölf Jahren auf das Trainertalent aus dem 60 Kilometer entfernten Geislingen an der Steige aufmerksam wurde. „Der VfB ist bis heute für mich ein besonderer Club“, sagt Gisdol. Der damalige Jugendleiter Frieder Schrof war es, der den Kontakt zu Gisdol herstellte. Er habe damals schon viel von diesem Trainertalent gehört, erinnert sich Schrof im Gespräch mit dem Abendblatt. „Ein Treffen mit Markus kam dann schnell zustande. Dabei überzeugte er mich mit seinen modernen, mutigen Vorstellungen sowie seiner Art und Erfolgsorientierung“, sagt Schrof, der nach 28 Jahren in Stuttgart seit 2013 die Jugendakademie von RB Leipzig leitet.

Gisdol wechselte zur Saison 2005/2006 als B-Jugendtrainer zu seinem Herzensverein. „In der Praxis zeigte sich schnell, dass die Verpflichtung ein Glücksgriff war“, sagt Schrof. Gisdols Mannschaften hätten Erfolg gehabt, zudem habe der Nachwuchstrainer zahlreiche Talente entwickelt: Sebastian Rudy, Ermin Bicakcic, Boris Vukcevic und vor allem Daniel Didavi.

„Relativ streng“ sei Gisdol gewesen, erinnert sich Didavi. „Aber seine witzige und herzliche Art haben wir auch kennengelernt.“ Er habe früh das Gefühl gehabt, sagt Didavi, dass dieser ambitionierte Fußballlehrer mehr als nur Jugendtrainer sein wollte: „Bei ihm hat man schon früh gemerkt, dass er in Richtung Profifußball gehen möchte und sehr ehrgeizig dieses Ziel verfolgt.“

Dass Gisdol aber in Hamburg landete, war keinesfalls selbstverständlich. Denn gleich dreimal in den vergangenen zwei Jahren fragte der VfB beim einstigen Trainertalent an. Im Sommer 2015 gab es einen ersten Kontakt – ehe Alexander Zorniger kam. Vier Monate später war der wieder Geschichte – und Gisdol erneut ein Kandidat. Jürgen Kramny setzte sich durch, der VfB stieg ab – und Gisdol sollte ein drittes Mal zurück zum VfB. Stuttgart entschied sich für Jos Luhukay und gegen Gisdol, den es im September als Nachfolger Bruno Labbadias (natürlich auch ein früherer Stuttgart-Trainer) zum HSV zog.

Hinter das verwirrende schwäbisch-hanseatische Trainer-wechsel-dich-Spielchen könnte an dieser Stelle ein Punkt gesetzt werden – wenn sich nicht auch Gisdol mit der typischen HSV-Krankheit infiziert hätte: schnell erfolgreich, Abstieg verhindert und schnell wieder zurück in der Krise. Acht Spiele in Folge ohne Sieg schafften zuletzt nur 211-Tage-HSV-Trainer Mirko Slomka und 144-Tage-HSV-Coach Bert van Marwijk, die beide daraufhin entlassen wurden.

Und Gisdol? „Wenn man mehrere Spiele in Folge nicht gewinnt, dann wartet man umso mehr auf einen befreienden Sieg“, sagt der Coach, der in dieser Woche einiges umstellte: Die Trainingszeit wird von Tag zu Tag neu bestimmt, vor dem Spiel wird im Hotel übernachtet, und erneut wurde geheim trainiert. Ob er sich trotzdem Sorgen um seinen Job mache, wird Gisdol am Donnerstag gefragt. „Ich versuche das auszublenden“, antwortet der.

The show must go on. Auch gegen den VfB. Auch gegen seinen VfB.

Abwehrtalent Patric Pfeiffer (18)
unterschrieb einen Profivertrag bis 2021.