Hamburg. HSV-Stürmer Filip Kostic spielt am Sonnabend erstmals gegen den VfB Stuttgart, wo er seinen Durchbruch als Fußballprofi schaffte

Nach dem Training marschierte Filip Kostic rüber an den Spielfeldrand zu den Zuschauern. Eine kleine Umarmung, ein Lächeln, ein herzlicher Small Talk – Kostic freute sich offenbar über ein Wiedersehen. „Ich habe noch viele Freunde und Bekannte in Stuttgart“, sagte der Serbe, „einige waren heute hier.“ Zu all der sportlichen Bedeutung im Abstiegskampf für den HSV ist die Begegnung mit den Schwaben für Kostic eben auch persönlich besonders aufgeladen. Zum ersten Mal nach seinem Wechsel an die Elbe im Sommer 2016 wird er am Sonnabend (15.30 Uhr/Sky und Liveticker abendblatt.de) gegen seinen ehemaligen Verein auflaufen. „Es wird nicht einfach für mich, ich habe zwei Jahre dort gespielt“, sagte er, „natürlich ist es ein besonderes Spiel.“

Für rund 14 Millionen Euro Ablöse war Kostic nach dem Abstieg des VfB 2016 zum HSV gekommen. Bis heute der teuerste Einkauf in der Hamburger Bundesligageschichte. Und ein Beispiel für die unglückliche Entwicklung, die viele Profis machen, wenn sie denn erst einmal in der Hansestadt gelandet sind. Kostic’ Verkaufswert wird derzeit vom Portal Transfermarkt.de nur noch auf acht Millionen Euro taxiert. Der vom HSV erhoffte Knalleffekt auf der linken Angriffsseite ist weitgehend ausgeblieben. Vier Tore und vier Torbeteiligungen standen nach der letzten Saison bei ihm auf der Habenseite. In dieser Saison steht da bei sechs Spielen: noch nichts. Mit einem Punktedurchschnitt von 1,03 in den vergangenen vier Saisons ist er einer der erfolglosesten Spieler in der Bundesliga überhaupt. Zwei Jahre (am Ende erfolgloser) Abstiegskampf mit Stuttgart, ein Jahr mit dem HSV – da kommen nicht viele Erfolgserlebnisse zusammen. HSV-Mannschaftskapitän Gotoku Sakai spielt übrigens in einer ähnlichen Liga: Sein Punktedurchschnitt liegt bei 0,84. Er hatte das Pech, dass er bei den ersten beiden siegreichen Partien gegen Augsburg und Stuttgart nur auf der Bank saß.

Im Vergleich zum letzten Jahr sieht der serbische Nationalspieler tatsächlich Fortschritte. „Wir haben in diesem Jahr viel besser begonnen, aber dann Probleme mit vielen Verletzten“, meint Kostic, der an diesem Mittwoch seinen 25. Geburtstag feiert. Er selbst gehörte zu diesen Verletzten. Beim 0:2 gegen RB Leipzig zog er sich in der ersten Halbzeit einen schweren Muskelfaserriss zu und fiel für die nächsten vier Spiele aus. Nach dem Kreuzbandriss von Rechtsaußen Nikolai Müller fehlte Gisdol damit auch der Flügelspieler auf der linken Seite. „Jetzt sind fast alle wieder dabei. Ich hoffe auf eine bessere Saison“, sagte Kostic. In Berlin konnte er erstmals nach seiner Verletzung 90 Minuten durchspielen. Die Hoffnung auf Besserung erfüllte sich aber nicht. Und Kostic war noch nicht wieder der freche, flinke Flügelspieler, der er theoretisch sein könnte.

Trainer Markus Gisdol hatte nach der komplett überflüssigen 1:2-Niederlage deshalb eine andere Gangart im Umgang mit dem Team angekündigt. Zeit für Veränderungen, Druck erhöhen, dem Nachwuchs eine Chance. Und so begann das Vormittagstraining am Dienstag mit einer demonstrativen Krafteinheit für die Spieler, die Gewichtsschlitten im Sprint hinter sich herziehen mussten. Schöne Symbolbilder für angezogene Zügel. Statt 90 stand die Mannschaft etwas über 100 Minuten auf dem Trainingsplatz – und übte insbesondere Flanken und deren Verwertung.

Fiete Arp wartete auf die Flanken von Kostic und Ito

Ersteres gehört zu Kostic’ besonderem Aufgabengebiet, und es war im Training bisher eher selten zu sehen. Über rechts wirbelte der Japaner Tatsuya Ito (20), zentral nahm Jann-Fiete Arp (17) die Flanken ab. Die beiden Youngsters, auf deren schmalen Schultern nun so unglaublich viele und schwere Hoffnungen auf einen Aufschwung beim HSV lasten. „Sie helfen uns“, sagte Kostic. Mehr wollte er nicht über die beiden erzählen: „Ich bin kein Trainer.“

Mit 19 Jahren hatte Kostic im Sommer 2014 seine Heimatstadt Kragujevac verlassen und sich dem FC Groningen in der niederländischen Eredivisie angeschlossen. „Ich wäre damals noch nicht in der Lage gewesen, Bundesliga zu spielen“ gab er im Sommer im HSV live zu, „die Bundesliga ist zu stark und zu schnell. Du musst auf dieses Niveau vorbereitet sein.“ Nach zwei Jahren war es so weit. Der VfB Stuttgart überwies sechs Millionen Euro nach Groningen für den Linksfuß. „Ich habe dort sehr viel gelernt, Stuttgart war sehr wichtig für mich“, räumt Kostic ein.

Deshalb auch freut er sich auf das Wiedersehen am Sonnabend mit einigen Spielern wie Daniel Ginczek und zahlreichen Mitarbeitern aus der Teambetreuung. „Stuttgart ist ein großer Club, es ist wichtig für die Bundesliga, dass er wieder dabei ist“, meint Kostic. Rücksicht auf seine persönlichen Sympathien für den Club mit dem roten Brustring darf er trotzdem nicht nehmen. So wird das Spiel gegen den VfB auch zu einem Charaktertest gegen alte Freunde. „Wir brauchen Punkte. Wir haben noch nicht genug gewonnen. Aber ich werde nicht jubeln, wenn ich ein Tor schieße.“ Den HSV-Fans wird das egal sein. So lange er überhaupt trifft – und sie den Eindruck haben, es geht wieder aufwärts. Mit Filip Kostic und vor allem ihrem Club.