Hamburg. Markus Gisdol will nach dem 1:2 in Berlin und dem achten Spiel in Folge ohne Sieg die Zügel anziehen. Schafft er gegen Stuttgart trotzdem nicht die Wende, könnte es auch für den Trainer ungemütlich werden

Es war noch dunkel, als am Sonntagmorgen die ersten Autos am Stadion vorfuhren. Für 7.30 Uhr hatte Trainer Markus Gisdol seine Profis in den Volkspark gebeten. Videoanalyse, Auslaufen und Besuch bei den Fanclubs lautete das Programm im Anschluss an die kurze Nacht nach dem 1:2 in Berlin. Dennis Diekmeier war reif für die Insel, musste zum Fanclub nach Amrum. Lewis Holtby durfte nach Brohltal in Rheinland-Pfalz. Und Mergim Mavraj reiste 890 Kilometer weit zum Fanclub Wiesenthal Raute nach Thüringen. Ein Stimmungstest am Sonntag nach dem Stimmungsdämpfer am Sonnabend.

Allzu große Sorgen, ob seine Spieler ausreichenden Schönheitsschlaf bekommen hätten, machte sich Gisdol vor den Fanclubreisen offenbar nicht. „Ich glaube kaum, dass irgendein Spieler heute Nacht gut geschlafen hat“, sagte der Trainer und fügte mit funkelnden Augen hinzu: „Und wenn doch, dann ist der fehl hier bei uns am Platz.“

Man brauchte kein abgeschlossenes Psychologiestudium, um zu merken, dass sich die Stimmung beim HSV dem Wetter an diesem Wochenende angepasst hatte: Es war stürmisch. „Es ist an der Zeit, mal etwas strengere Maßstäbe anzusetzen“, hatte Gisdol bereits am Vortag direkt nach dem unglücklichen 1:2 in Berlin gesagt. Und auch nach (einer kurzen) Nacht des Drüberschlafens hatte der Fußballlehrer seine Meinung nicht geändert: „Wir können das nicht einfach so weiterlaufen lassen. Wir brauchen Veränderungen“, so Gisdol, der nach dem achten sieglosen Spiel in Folge zwar nicht weiter ins Detail gehen wollte, aber auf mehrfache Nachfrage bekräftigte: „Es wird sicherlich in dieser Woche einiges passieren.“

Grund für Gisdols unleidliche Laune am Sonntag war, dass eben auch am Sonnabend in Berlin kaum etwas passiert war. Hertha gegen den HSV, das bedeutete auch: sieben sieglose Spiele in Folge gegen sieben sieglose Spiele in Folge. Und wie es sich für so einen waschechten Krisengipfel gehörte, hatte nach 90 zum Teil erschreckenden Minuten keine der beiden Mannschaften einen Sieg verdient. Gewonnen hatte aber dennoch ein Team: Hertha. Und somit hatte auch eine Mannschaft verloren: nur der HSV.

„Das kotzt mich extrem an, dass wir jetzt wieder nach Hause gurken und keine Punkte im Gepäck dabeihaben“, sagte Dennis Diekmeier, als die erneute Pleite besiegelt war. Sportchef Jens Todt sprach von einer „schlechten ersten Halbzeit“, von einer „Riesenenttäuschung“ und davon, dass „die Zeit, sich in Ruhe zu lassen“, nun vorbei sei. Fast schon philosophisch fasste André Hahn zusammen: „Berlin macht aus wenig viel. Und wir machen aus wenig noch weniger.“ Und Torhüter Christian Mathenia, der nur einmal wirklich geprüft wurde, aber zwei Gegentore kassiert hatte, kündigte an: „Wir müssen Tacheles reden.“

Der Ankündigung folgte das frühmorgendliche In-die-Tat-Umsetzen. „Vor allem nach vorne war das viel zu wenig“, sagte Gisdol, nachdem er die 90 Minuten von Berlin mit seinen Spielern zur unchristlichen Zeit noch vor dem Frühstück aufgearbeitet hatte. Ob er das Gefühl habe, dass sein Vertrauen, das er bislang in die Spieler hatte, missbraucht werde, wurde Gisdol noch gefragt. „Das frage ich mich auch“, antwortete der noch immer schwer genervte Schwabe. „Irgendwann muss auch die andere Seite mal zurückzahlen.“

Was Gisdol, der selbst immer mehr in Bedrängnis gerät („Zum Schluss ist es immer der Trainer, der die Verantwortung hat“) so aufregte, war die Art und Weise der 1:2-Niederlage in Berlin. „Wir haben die erste Halbzeit komplett verschlafen“, räumte Torhüter Mathenia ein, der zudem zugab: „Und die Standards müssen wir viel besser verteidigen.“

Dabei hatte Gisdol bereits vor der Partie in der Mannschaftssitzung eindringlich vor Standardsituationen gewarnt. „Das war ganz klar besprochen und eingeteilt“, sagte Gisdol, der deswegen wenig bis gar kein Verständnis dafür hatte, dass die bei Eckbällen so gefährlichen Berliner gleich zwei Tore erzielten – nach Eckbällen.

„Wir machen uns wieder, wieder ein Spiel selbst kaputt“, schimpfte Gisdol. Zweimal „wieder“. Und: „Wenn wir so spielen, mit so vielen Nachlässigkeiten, dann werden wir keine Punkte mehr holen.“ Und um seine Worte dramaturgisch zu unterstreichen, fügte er noch ein „Das ist Fakt“ hinzu.

Fakt ist vor allem, dass der Kredit vermeintlicher Führungsspieler aufgebraucht ist. Albin Ekdal? „Ich war mit seiner Leistung nicht zufrieden.“ Rums. Bobby Wood? „Er ist in einer Negativspirale, aus der er sich lösen muss. Bobby ist momentan nicht in Form.“ Noch mal rums. Und dann das noch: „Auch für ihn gilt das Leistungsprinzip.“ Ein dreifaches Rums.

Bleibt die Frage: Was tun? „Ich muss die Mannschaft mehr in die Pflicht nehmen“, sagte Gisdol, der weniger „die Mannschaft“ als vielmehr „die Jungen“ meinte: Fiete Arp (siehe unten) und Tatsuya Ito, die nach einer knappen Stunde in Berlin reinkamen und das Spiel direkt belebten. „Eigentlich müssen solche Jungs im Schatten der Eta­blierten heranwachsen. So ist normalerweise die Idealsituation“, sagte Gisdol, der aber genau weiß, dass es beim HSV weder ein „normalerweise“ noch eine „Idealsituation“ gibt. „Dann müssen wir jetzt wohl das Risiko ein wenig erhöhen und die Jungen ein bisschen mehr in die Verantwortung schieben.“

Verantwortliche und Spieler stehen hinter dem Trainer

Doch was passiert, wenn auch diese Rakete gegen Stuttgart nicht zündet? Wenn auf das achte Spiel in Folge ohne Erfolg die neue Partie ohne Sieg folgt? Die Antworten können, wenn man möchte, in der HSV-Geschichte gefunden werden. Gut drei Jahre ist es her, dass mit Mirko Slomka ein HSV-Trainer acht Spiele in Folge nicht gewinnen konnte. Und entlassen wurde. Und Vorgänger Bert van Marwijk? Konnte auch acht Spiele in Folge nicht gewinnen. Und? Wurde auch entlassen. „Natürlich kenne ich das Geschäft“, sagt Gisdol. „Und natürlich wünsche auch ich mir Punkte.“

Der Unterschied von damals und heute? Trotz der fehlenden Punkte stehen Verantwortliche, Mannschaft und auch Fans weiter hinter dem Trainer. „Die Saison ist noch lang. Alles lässt sich reparieren“, sagt Sportchef Jens Todt.

Man sollte nur schleunigst damit anfangen. Nicht am heutigen Montag, da ist frei. Aber bitte schön morgen.