Hamburg/Berlin. Der HSV undHertha sind beide seit sieben Spielen sieglos – gehen aber sehr unterschiedlich damit um

Selbstverständlich hat Markus Gisdol am Mittwoch Fernsehen geschaut. Hertha BSC gegen den 1. FC Köln, zweite Pokalrunde. Schwer verdauliche Kost. Aber was mutt, dat mutt. „Das ist natürlich Pflichtprogramm“, sagte Gisdol am Donnerstag nach Berlins 1:3 gegen Köln. „Man muss da auch nichts schönreden. Die Hertha hat derzeit sicherlich nicht ihre beste Phase. Und genau das wollen wir am Sonnabend ausnutzen.“

Was während des Pokalspiels am Mittwochabend passierte (oder auch nicht), hat Gisdol gesehen. Was nach dem Spiel passierte, dagegen nicht. Es waren unschöne Szenen, die man sonst nur in der allgemeinen Hysterie kurz vor Saisonende erwartet. Ein Dutzend Hertha-Chaoten kletterte nach dem siebten sieglosen Spiel in Folge über den Zaun und wollte zu den Spielern. Gisdols Trainerkollege Pal Dardai, der den Mini-Platzsturm mitbekommen hatte, musste schlichten: „Die Fans machen sich Sorgen“, sagte Dardai. „Ich habe ihnen gesagt, dass ich offen bin für Diskussionen. Fakt ist: Die Mannschaft muss sich steigern.“

Babylon Berlin. Am Tag nach dem Pokal-Aus ist die Stimmung in der Hauptstadt gereizt. „Hertha wirkt, als sei der Club gerade im freien Fall“, schreibt die „Berliner Morgenpost“, die „Bild“ orakelt: „Wenn Hertha gegen den HSV nicht gewinnt, droht der große Knall“, und der Berliner „Tagesspiegel“ bilanziert wenig optimistisch: „Hertha taumelt in die Krise.“

Ein wenig kurios wirkt die apokalyptische Szenerie der Hauptstadt schon. Die angestammten Rollen scheinen vertauscht. Der HSV, ebenfalls seit sieben Spielen sieglos, steht mit sieben Punkten auf dem Lieblingstabellenplatz 16 – und ist trotzdem die Ruhe selbst. Hertha, das drei Punkte mehr hat, steht auf Tabellenplatz elf – und scheint mit dem Rücken zur Wand.

Hamburg, Donnerstag um 13 Uhr, Pressekonferenz. Gisdol wird zur Hertha befragt, er spricht über Stürmer Bobby Wood, über die Finanzen und über Talent Fiete Arp. Der Trainer lacht, er ist höflich, umgänglich und sogar lustig. Erst nach einer guten Viertelstunde wird es ernst. Die fehlenden Punkte, die Erwartungshaltung, der Druck. „Fehlende Punkte können eine Mannschaft und einen Verein erdrücken“, sagt der Coach. „Es geht aber nicht nur um Punkte. Es geht darum, einen guten Job zu machen. Dann kommen die Punkte von alleine“, sagt Gisdol. Und lächelt.

Berlin, 14.30 Uhr, Pressekonferenz. Links auf dem Podest nimmt Geschäftsführer Michael Preetz Platz. Dunkler Pullover, weißes Hemd, schwarze Brille. Neben ihm sitzt Trainer Pal Dardai. Blauer Trainingspullover, hochgekrempelte Ärmel. „Körperlich sind die Spieler fit“, sagt der Coach mit betroffener Miene. „Wie das gegen Köln gelaufen ist, ist Kopfsache.“ Es fehle einfach die nötige Lockerheit: „Jeder will einen Tick zu viel.“ Viel wollen, wenig bekommen. Die übliche Krisenkonsequenz. „Die Berliner wirken ein wenig verunsichert“, sagt Gisdol, der sein Debüt als HSV-Trainer vor gut einem Jahr beim 0:2 in Berlin gefeiert hat.

Vor einem Jahr stand Gisdol noch selbst unter Beobachtung: „29. Minute, Gisdol fasst sich an den Kopf“, „58. Minute, nun sitzt und steht Gisdol fast im Minutentakt“ und „90. Minute, Gisdol gratuliert seinem Trainerkollegen Pal Dardai“, stand im Protokoll im Abendblatt. Nun schreibt die „Berliner Morgenpost“: „Bei Hertha steht Dardai jetzt vor ungemütlichen Zeiten.“

Ein Blick auf die Ergebnisse dieser Saison reicht aus, um zu erahnen, wie ungemütlich die Zeiten tatsächlich sind: Von den vergangenen zwölf Pflichtspielen konnte Hertha nur ein einziges gewinnen. Die Berliner sind aus dem Pokal ausgeschieden, in der Europa League auf dem letzten Platz und warten wettbewerbsübergreifend seit vier Partien auf ein Tor aus dem Spiel. „Es fehlt der letzte Pass“, sagt Dardai. „Dieser berühmte letzte Pass.“

Der fehlt auch in Hamburg. In den vergangenen sieben Spielen hat der HSV nur beim 2:3 in Mainz getroffen. Von einer Offensivkrise will Trainer Gisdol aber nichts wissen. „Gegen Mainz hatten wir eine ganze Reihe von Torchancen. Und dass wir gegen die Bayern nicht 5:0 gewinnen, das war auch klar“, sagt Gisdol, der sich trotz der bedrohlichen Situation keine gesteigerten Sorgen zu machen scheint.

Nach 20 Minuten und 31 Sekunden ist die Frage-und-Antwort-Runde in Hamburg vorbei. In Berlin gewähren Preetz und Dardai anderthalb Stunden später 17:05 Minuten. „Wir müssen verdammt noch mal mehr Aggressivität aus uns rausholen“, sagt Dardai, „mehr Gier, mehr letzter Wille.“ Abstiegskampfrhetorik. Auch Preetz kann das. „In schwierigen Phasen geht es nur mit Geschlossenheit“, floskelt er.

Spätestens am Wochenende ist genug gesprochen. Hertha gegen HSV. Berliner Olympiastadion. 15.30 Uhr. „Tschüs, bis Sonnabend“, sagt Gisdol gut gelaunt. Was mutt, dat mutt.