Ist Dortmunds Spielstil zu riskant, um gegen Spitzenteams zu bestehen? Zorc widerspricht – und kritisiert die Spieler scharf.

Dortmund. Eine milde Nacht war gekommen und wieder gegangen, der neue Tag erschien mit wärmenden Sonnenstrahlen, sogar in Dortmund. Aber das änderte nichts an den Befindlichkeiten im schwarz-gelben Fußball-Kosmos. Die Ereignisse des Vorabends schmerzten noch. Die schöne fast zweieinhalb Jahre währende Heimserie von 41 Spielen ohne Niederlage? Beendet. Der Nimbus der Unbesiegbarkeit in dieser Bundesliga-Saison? Genommen. Und dann auch noch von einem Gegner, der in der Stadt nicht die allergrößten Sympathien genießt, von Rasenballsport Leipzig.

2:3 hatten die Fußballer von Borussia Dortmund das mitreißende Spitzenspiel verloren und damit Thesen aufgeworfen, die schon vorher durch die Strobelallee geisterten.

Zum Beispiel jene, die besagt, dass es für diesen BVB, neu ausgerichtet von Trainer Peter Bosz im vergangenen Sommer, auf allerhöchstem Niveau noch nicht reicht. Dass das 4-3-3-System des Niederländers in Verbindung mit der riskanten Vorwärtsverteidigung gegen Mannschaften mit höherer individueller Qualität direkt und sehenden Auges ins Verderben führt.

Zorc geht hart mit BVB-Profis ins Gericht

Argumente für diese Theorie lassen sich im Verlauf der bisherigen Saison einigermaßen mühelos zusammentragen. Gegen Real Madrid (1:3) und Tottenham Hotspur (1:3) gab es in der Champions League in zwei Spielen zwei Niederlagen. Gegen den ersten Gegner aus der Spitzengruppe der Liga setzte es nun erneut drei Gegentreffer. Drei Spiele, null Punkte, vier zu neun Tore gegen Königsklassen-Niveau. Zufall, Herr Zorc? Oder steckt der Fehler im System?

„Wenn ich das Spiel von gestern analysiere, dann gelange ich schnell zu der Erkenntnis, dass das eine Diskussion ist, die zu 100 Prozent am Thema vorbei geht“, sagt der Sportdirektor im Gespräch mit dieser Zeitung und argumentiert, dass „wir keine Konter-Tore kassiert haben.“

Gegen Leipzig resultierten die Gegentreffer aus Schlafmützigkeit (Jeremy Toljan) nach einem Freistoß, Schlafmützigkeit (Toljan, Sokratis) im direkten Duell mit dem Gegenspieler und einem verheerenden Ballverlust (Julian Weigl). „Wir haben individuell in vielen Fällen eine unterdurchschnittliche Leistung geboten und dadurch ist eine schwache Mannschaftsleistung entstanden“, meinte Zorc am Sonntag, noch immer aufgewühlt.

Warum saß Bartra auf der Bank?

Denn noch immer fehlte ihm das Verständnis dafür, wie diese Niederlage zustande gekommen war, weil Leipzig so spielte, wie es erwartet und besprochen worden war: kampfeslustig, lauffreudig, wuchtig. Und dennoch wirkte der BVB überrascht. Die Spieler hätten sich „in Zweikämpfen abkochen lassen“, tadelte Zorc: „Wir hatten keine Aktivität und keine Aggressivität auf dem Platz, manchmal sah das fast aus wie bei einem Freundschaftsspiel.“

Und damit war die Mängelliste noch nicht vollständig erstellt. Der Spielaufbau? „Zu langsam, zu behäbig“, urteilt Zorc, „wir waren nicht mutig genug und sind nie wirklich ins Spiel gekommen.“

Das monierte auch Peter Bosz. „Wir haben zu viel zurückgespielt, weiter vorne sind unsere Spieler, die für Ideen sorgen. Da ist immer ein freier Mann, wenn man schnell und mutig spielt, findet man ihn auch“, sagte der Trainer. Was allerdings verwundert: Den Innenverteidiger, der am entschlossensten und sichersten nach vorn kombiniert, Marc Bartra, hatte Bosz zunächst auf die Bank gesetzt. Der ungewohnt zögerliche Sokratis und Ömer Toprak schoben sich die Bälle hin und her, die beiden Außenverteidiger Dan-Axel Zagadou und Toljan, die die Verletztenmisere dem BVB noch gelassen hat, wirkten unauffällig bis überfordert. Der oft abgedeckte Mittelfeldstratege Nuri Sahin wurde in der Halbzeit ausgewechselt. Doch da hatte sich die Partie schon in Richtung Leipzig bewegt.

Nächste Bewährungsprobe gegen Bayern

Aus schwarz-gelber Sicht ließe sich etwas Zuversicht daraus generieren, dass selbst mit dieser Leistung zumindest ein Punkt noch sehr gut möglich gewesen wäre, wenn Pierre-Emerick Aubameyang seinen beiden Toren ein drittes hinzugefügt hätte. Chancen dazu hatte er, seine Mannschaftskameraden ebenfalls.

Zwei Tore geschossen und doch hätten es wieder mehr sein können: BVB-Torjäger Aubameyang
Zwei Tore geschossen und doch hätten es wieder mehr sein können: BVB-Torjäger Aubameyang © dpa | Bernd Thissen

So aber geht es schon am Montagmorgen mit einem Misserfolgserlebnis nach Zypern, wo am Dienstag gegen Apoel Nikosia die nächste Champions-League-Aufgabe wartet – und ein Sieg Pflicht ist. Den Makel, auf höchstem Niveau nicht gewinnen zu können, wird die Borussia beim Außenseiter kaum abstreifen können. Eher schon im nächsten Liga-Heimspiel am 4. November. Dann ist Bayern München zu Gast.