Korb. Ex-Nationalspieler Cacau ist seit 2016 DFB-Integrationsbeauftragter. Über die verbindende Kraft des Fußballs

Am 24. September abends nimmt Cacau sein Handy und erschrickt. Der ehemalige Fußball-Nationalspieler war Wandern im Allgäu. Nun starrt er auf die Hochrechnungen für die Bundestagswahl: 12,6 Prozent für die AfD. Cacau weiß, dass es einige Leute in Deutschland gibt, die Fremde hier nicht haben wollen. Aber er hat in den vergangenen elf Monaten auch erfahren, was es für Menschen bedeutet, die vor Hunger und Verfolgung fliehen und nun einen Neuanfang suchen. Wie es ist, wenn man irgendwo nicht mehr fremd sein will, weiß der gebürtige Brasilianer zu genau. Deshalb sagt sich Cacau jetzt: „Wir müssen noch härter arbeiten und der AfD etwas entgegensetzen.“

Seit elf Monaten ist Claudemir Jeronimo Barreto Integrationsbeauftragter des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Ein Posten, der zunächst schwer zu greifen ist. Einer, der nach Gesicht in die Kamera zeigen klingt, aber nicht nach echter Arbeit. Cacau sah das von Anfang an anders.

Der 36-Jährige hat eine Wandlung durchlaufen. Er war Deutscher Meister 2007 mit dem VfB Stuttgart. Er hat 23-mal für die deutsche Nationalmannschaft gespielt. Ein Star in einer Sternchen-Welt, in der Geflüchtete und die echten Probleme von Migranten so selten vorkommen wie farbige Wanderer im Allgäu. Als Integrationsbeauftragter hat er diese Welt verlassen und sich die Frage nach der verbindenden Kraft des Fußballs gestellt. Für den DFB war die Besetzung mit ihm ideal: Wer könnte das Thema Integration besser transportieren? Cacau brach mit 18 aus ärmlichen Verhältnissen mit einem alkoholkranken Vater in Brasilien nach Deutschland auf, um es dort von der Landesliga bis in die deutsche Nationalelf zu schaffen. Er ließ sich 2008 einbürgern, integrierte sich in der neuen Heimat so gut, bis die Leute irgendwann fanden, er sei deutscher als die Deutschen. Ein Vorzeige-Migrant. Ein Teil der „Internationalmannschaft“ („Zeit Online“) um Mesut Özil und Jérôme Boateng, der bei der WM 2010 in Südafrika für Furore sorgte und zum Beweis überhöht wurde, dass Multikulti in Deutschland funktioniert.

Wir haben uns in Korb getroffen, einem 11.000-Einwohner-Ort zehn Autominuten vom Stuttgarter Stadion entfernt. Hier lebt er mit seiner Familie. Hier bekam er mal sechs Stimmen bei der Bürgermeisterwahl, obwohl er gar nicht kandidierte. Aber ein Integrations-Vorbild? Klingt gut, ist ihm aber zu kurz gedacht: „Mein Leben gilt nur in dem Punkt als Vorbild, dass ich mich eingelassen habe auf Deutschland. Dass ich die Sprache lernen und ein Teil von der Gemeinschaft sein wollte“, sagt Cacau.

Als er 2003 nach Korb zog, da konnte er sich hier im Schwäbischen so unauffällig bewegen wie ein Clown im Bundestag. Kinder kamen und klingelten. Der VfB-Profi war eine Attraktion. Und darin liegt der Unterschied zu dem, was er als Inte­grationsbeauftragter erlebt. Rassismus, wie es ihn auf vielen Fußballplätzen der Republik gibt, habe er nie selbst erfahren. Nicht mal früher in der fünften Liga beim Münchner Amateurclub Türk Gürü. Er war immer der, der besonders gut Fußball spielen konnte. Da kommt man schnell an. Erfolg baut Brücken.

Cacau will nicht der Vorzeige-Migrant sein

Der integrativen Kraft des Fußballs aber ist Cacau da begegnet, wo es in erster Linie nicht um Erfolg geht. Er ist viel durch die Republik gereist, hat sich Vereine jeder Klasse und ihre sozialen Projekte angesehen. Achtmal war er in Berlin. „Dort ist die Arbeit vorbildlich, weil das Thema dort durch die vielen Einwanderer schon lange bekannt ist“, sagt Cacau. Er hat bei seinen Reisen erlebt, dass es viele Menschen gibt, die nicht so gut Fußball spielen, aber sehr leidenschaftlich dabei sind. „Da habe ich gesehen, welche Möglichkeiten der Fußball besitzt, Menschen, die zunächst fremd sind, einzubeziehen.“

Cacau will ein Brückenbauer sein. Nicht nur sein Gesicht zeigen, sondern auch Einsatz für die Sache. In Hamburg traf er eine Expertin für das Thema Ehrenamt, um mit ihr zu erörtern, wie Ehrenamtliche besser unterstützt werden könnten. Sie sind die wahren Brückenbauer. Sie machen Projekte des DFB wie „1:0 für ein Willkommen“ erst möglich.

Nach Lösungen sucht Cacau auch auf Konferenzen des DFB. Viermal im Jahr trifft sich die AG Vielfalt, in deren Arbeitsbereich das Thema Integration fällt. Wissenschaftler werden dort gehört, aber auch normale Ehrenamtler und Sozialarbeiter. Eines der größten Probleme besteht darin, dass es von den 1,1 Millionen Migranten im DFB fast keine in höheren Funktionen gibt. „Das muss sich ändern“, sagt Cacau. „Menschen mit Migrationshintergrund müssen sehen, dass in den Vereins- und Verbandsgremien Leute von ihnen sitzen.“ Das hat etwas mit Teilhabe zu tun. Mit Vorbildfunktion. „Doch dafür müssen sich die Vereine und Verbände öffnen.“

Cacau sagt, der Fußball sei für ihn der Weg aus der Armut gewesen. Für Einwanderer in Deutschland kann er ein Anker in ihre neue Gesellschaft sein. Dafür will er arbeiten. Und gegen die AfD. Noch zwei Jahre will er Integrationsbeauftragter des DFB bleiben. Er studiert zudem Sportmanagement in Nürnberg und würde in Zukunft gern als Manager in die Bundesliga zurückkehren. Zurück in die Sternchen-Welt.