Sylt/hamburg. Zehn Monate nach seiner schweren Verletzung ist Philip Köster Weltmeister. „Ich bin total erleichtert“, sagt Köster.

Freiwillig wäre er am Dienstag nicht aufs Wasser gegangen. Sagt der Weltmeister. Vier Meter hohe Wellen und Windstärke acht wären ja noch okay gewesen. „Solche Bedingungen mag ich.“ Aber Dauerregen und Kälte, ausgerechnet beim Saisonhöhepunkt vor Sylt, da hatte auch der surfgierige Philip Köster Mühe, die Motivation hochzuhalten. Doch einmal auf dem Brett, übernimmt fast ferngesteuert dieses unnachahmliche Gefühl für das Zusammenspiel von Wind und Wellen die Steuerung – und am Ende eines „sehr, sehr harten Tages“ hatte der erfolgreichste Wellenreiter der vergangenen Jahre es wieder geschafft: zum vierten Mal Weltmeisterseit 2011. Dazu wie bei seinem ersten Erfolg in der Brandung vor der Nordseeinsel.

„Ich bin total erleichtert. Es lief trotz der schwierigen Bedingungen fantastisch“, sagt Köster. Ein dritter Platz im Gesamtklassement bei diesem Wettkampf reichte aus, um vorzeitig die Waveriding-Serie 2017 zu gewinnen. Zu überlegen war der Punktevorsprung, den Köster mit an den Brandenburger Strand gebracht hatte. Am Abend dann war er essen. Nicht mit Kumpels und schon gar nicht edel. Das ist und war noch nie die Welt dieses von Experten schon früh als Surfgenie erkannten Beachboys. Köster junior aß bodenständig Matjes mit Bratkartoffeln, trank dazu eine Cola light.

Horrorsturz aus sechs Metern Höhe

Am Tisch saßen Vater Rolf und ein guter Freund. „Danach wollte ich nur noch ins Bett.“ Um 22 Uhr machte er das Licht im Zimmer aus. So geht Feiern bei einem Weltmeister mit Hamburger Wurzeln. Zwar lebt die Familie an der Ostküste von Gran Canaria, wo der Sohn vor 23 Jahren geboren wurde, doch die Eltern kommen aus der Hansestadt, haben hanseatische Unaufgeregtheit sowie den Hang zum Understatement offenbar dem Nachwuchs mitgegeben.

Dabei wäre eine ausgelassene Party verständlich gewesen. Vor zehn Monaten beendete ein Horrorsturz aus sechs Metern Höhe in Australien jäh seinen Höhenflug. Beim harten Aufprall auf die Wasseroberfläche rissen die Bänder im rechten Knie, der Meniskus erlitt einen Schaden. Es folgte das, was viele Profi-Sportler in ihrer Karriere manchmal sogar mehrmals machen müssen: sich zurückkämpfen auf das vorherige Leistungsniveau.

Langwieriger Heilungsprozess

Auch Köster war gezwungen, sich den Erfordernissen eines langwierigen Heilungsprozesses zu stellen. Diesmal länger und intensiver als sonst. Weil sein Körperbau zu robust ist für die Akrobatik seines Sports, ist er ohnehin verletzungsanfällig. Nach der Operation in Hamburg, ging er nach Teneriffa in die Rehabilitation. Dort hat sich einer der Physiotherapeuten des spanischen Tennisstars Rafael Nadal ein Gesundheitszentrum aufgebaut, und dort schuftete der Deutsche Tag für Tag viele Stunden lang für sein Comeback.

Wie meist bei Zwangspausen, die nicht nur den Körper in einen anderen Rhythmus zwingen, setzte sich angesichts der Schwere der Verletzung auch Köster erstmals mit der Frage auseinander: Was tun, wenn das Knie trotz aller Bemühungen nicht mehr hält? Wenn keine Sprünge und Salti mehr mit dem Board möglich sind. Wenn man den eigenen, hohen Maßstäben nicht mehr gerecht werden kann. 18 Meter hoch soll sein höchster, gelandeter Sprung gewesen sein: Weltrekord. Was, wenn künftig die Angst mitfährt?

Mutiger Entschluss

Angst habe er keine, sagt er. Respekt. Ja. Das habe er von Beginn an gelernt. „Aber ich hatte einen Plan B“, sagt Philip Köster. „Wenn ich nicht zurück aufs Wasser gekonnt hätte, wäre ich wieder in die Schule gegangen.“ Das Gymnasium hat er abgebrochen, nach der mittleren Reife. „Ich wollte immer nur in die Wellen.“

Die Eltern, als Betreiber einer Surfschule mit viel Verständnis für den mutigen Entschluss des Sohnes, halten ihm für die Karriere im Leistungssport den Rücken frei. Bis heute ist der Vater, ein ehemaliger Elektromechaniker, als Trainer, Berater, der Mann fürs Material an seiner Seite, Mutter Linda regelt die Finanzen, die Kommunikation. Das Wort Leistung ist im Kösterschen Selbstverständnis allerdings eher ein Unwort. „Ich will nicht besser sein als die anderen“, ist ein steter Redebeitrag von ihm.

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© Jörn Pollex

„Ich will die Welle am besten reiten. Und ich will Spaß haben bei dem, was ich tue.“ Diese Haltung erklärt auch, warum diverse Versuche, aus ihm einen Star zum Vorzeigen zu machen, bislang scheiterten. Zwar erfüllt Philip Köster auch in dieser Woche geduldig alle Anfragen nach Statements, Interviews, Fotos und TV-Auftritten. Doch seine Welt ist das erkennbar nicht.

Am Donnerstag ist Freundin Manca Notar, Profi im Stand-up-Paddling, auf Sylt angekommen. Zu Zweit wollen sie die Insel ein bisschen genießen. Danach geht es noch einmal in die Reha nach Teneriffa. „Ein paar Baustellen habe ich noch“, sagt Köster und lacht dieses Lachen, das er fast jedem Satz hinterherschickt. Es soll signalisieren, ich habe Spaß an diesem Gespräch, ich gebe mir Mühe. Im Subtext aber steht: Hoffentlich ist es bald zu Ende. Lieber nehme ich mein Board und gebe mich den Wellen hin.