Braunschweig. Der FC St. Pauli gewinnt nach extrem schwacher erster Halbzeit ein kurioses Spiel in Braunschweig mit 2:0

Solch einen ersten Arbeitstag hat nur selten ein Sportchef im deutschen Profifußball erlebt. Uwe Stöver aber war einige Minuten nach dem Abpfiff schon wieder in der Lage, den 2:0-Auswärtssieg seines neuen Arbeitgebers FC St. Pauli bei Eintracht Braunschweig recht nüchtern und treffend zu analysieren. „Es waren zwei verschiedene Halbzeiten. In der ersten haben wir nicht das gespielt, was wir uns vorgenommen haben“, sagte Stöver, der das Geschehen erstmals von der Ersatzbank aus verfolgt hatte.

Es war eine sehr zurückhaltende Formulierung für das, was die Mannschaft des FC St. Pauli auf den Rasen gebracht hatte. Tatsächlich war das Team von einer Verlegenheit in die andere getaumelt und hätte sich zur Pause über einen 0:4-Rückstand wie zuletzt gegen Ingolstadt nicht wundern dürfen. „Ich habe die Spieler, die da in der ersten Halbzeit auf dem Platz waren, überhaupt nicht wiedererkannt“, sagte später St. Paulis Trainer Olaf Janßen. „Wir waren völlig von der Rolle und haben dem Gegner die Bälle vor die Füße gespielt. Alles, was uns auszeichnet, war nicht auf dem Platz.“

Sportchef Stöver hob allerdings auch lobend hervor, was danach passierte. „Wir haben uns vom Druck des Gegners beeindrucken lassen, umso beeindruckender ist aber, dass man sich in der Pause so zusammenrauft und danach ganz anders auftritt“, sagte er in der Nachbetrachtung. Trainer Janßen berichtete gar: „Die Spieler haben sich in der Kabine regelrecht geschämt und sich vorgenommen, in der zweiten Halbzeit ein ganz anderes Gesicht zu zeigen. Das haben die Jungs als Team auch hinbekommen.“

Den Grundstein für einen sicheren Heimsieg hätten die Braunschweiger schon in der Anfangsphase legen können. Da war es praktisch allein St. Paulis Torwart Robin Himmelmann, der sich gegen die Übermacht der Eintracht stemmte. Mehr noch: Es sollten zwölf Spielminuten werden, die der St.-Pauli-Keeper nicht so schnell vergessen wird. Erst hielt er einen Flachschuss von Suleiman Abdullahi aus fünf Metern mit einer Blitzreaktion sogar fest (2. Minute), dann entschärfte er einen Schuss von Louis Samson von der Strafraumgrenze (10.), ehe sein ganz großer Auftritt folgte. Nach einem Foul von Lasse Sobiech an Ken Reichel im Strafraum parierte Himmelmann den Strafstoß von Oniel Hernandez und mit einem erneuten Reflex auch Hernandez’ Nachschuss aus noch kürzerer Distanz (12.).

Diese Szenen hätten im Normalfall ausreichen müssen, dass auch Himmelmanns Teamkollegen wach werden und sich aktiv am Spiel beteiligen. Aber weit gefehlt. Die Hamburger wirkten unsicher und zögerlich, verloren nach abgefangenen Angriffen immer wieder ganz schnell den Ball und gerieten im eigenen Strafraum in arge Verlegenheit. Selbst als Braunschweigs Außenbahnspieler Jan Hochscheidt schon angeschlagen war, durfte er fast aus dem Stand einen höchst gefährlichen Distanzschuss auf das Tor des FC St. Pauli bringen. Diesmal rettete Himmelmann mit einer Hand zur Ecke. „Wir können uns nur beim Fußballgott und bei Robin bedanken, dass zur Halbzeit hinten die Null stand“, sagte Janßen später. „Ich glaube, dass ich zuletzt vor zwei Jahren gegen Leipzig ähnlich viel zu tun bekommen habe. Da haben wir am Ende auch gewonnen“, erinnerte sich Himmelmann an die Begegnung mit dem jetzigen Champions-League-Teilnehmer.

Hatten sich St. Paulis eigene Angriffsbemühungen in der ersten Halbzeit in einem Kopfball von Sami Allagui neben das Tor und einem harmlosen Schuss von Cenk Sahin, den Braunschweigs Torwart Jasmin Fejzic locker festhielt, erschöpft.

Das Bild änderte sich im zweiten Abschnitt schon durch die Einwechslung des ballsicheren Johannes Flum. Einen völlig anderen Charakter aber zeigte das Spiel, als für die letzten 24 Minuten Mittelfeldspieler Christopher Buchtmann sein Comeback nach rund dreiwöchiger Verletzungspause gab. „Ich habe lange überlegt, was ich ihm an Spielzeit zumuten kann“, verriet Janßen später. Er traf offenbar den perfekten Moment, denn Buchtmann war voller Tatendrang, forderte den Ball, setzte seine Mitspieler ein und stellte die körperlich zunehmend abbauenden Braunschweiger vor Aufgaben, die sie zuvor nicht zu lösen hatten.

So war es überhaupt kein Zufall, dass Buchtmann einen Konter zur 1:0-Führung (76.) abschloss. Nach einem Sprint über die rechte Seite lupfte er den Ball über Torwart Jasmin Fejzic hinweg ins Netz. „Das ist schon eine große Qualität“, lobte Janßen die Szene.

Vier Minuten später leitete Buchtmann mit seinem Pass auf Torschütze Cenk Sahin die Entscheidung ein. Der Türke gewann das Dribbling gegen Gustav Valsvik und überwand mit seinem Schuss aus rund 15 Metern auch noch Fejzic. In Szenen wie dieser zeigt Sahin, dass er in der Zweiten Liga den Unterschied ausmachen kann.

Am Ende konnte nicht einmal mehr ein splitternackter Flitzer, der auf dem Spielfeld erst mit Mühe von den Ordnern eingefangen wurde, die St. Pauli­aner noch aus dem Konzept bringen. Der schon vierte Auswärtssieg dieser Saison lässt St. Pauli auf den sechsten Platz springen und auf mehr hoffen.

„Die Mannschaft hat den Willen gezeigt, dass sie nicht mit der Leistung der ersten Halbzeit wieder nach Hause fahren will. Das zeigt ihren einzigartigen Charakter“, sagte Trainer Janßen.

„Wir haben aber noch viel Arbeit vor uns“, sagte am Ende Offensivspieler Waldemar Sobota mahnend. Angesichts der ersten Halbzeit von Braunschweig und auch erst eines Heimsieges in dieser Saison ist dies bei aller Freude über den erneuten Auswärtssieg eine absolut zutreffende Erkenntnis.