Hamburg. Der ehemalige Rallye-Pilot Dieter Depping (52) kehrt für ein Rennen zur Rallycross-WM am Wochenende auf den Estering zurück.

Zu Hause hat er sich einen Rennsitz ins Wohnzimmer geholt und eine selbst gebastelte Ampel in Sichthöhe davor aufgestellt. Gelb bedeutet „ready to go“. Wenn Gelb verschwindet und Grün aufleuchtet, müssen Auge- und Handkoordination schnellstmöglich funktionieren. Knopf drücken. Fertig. „Im Rennen ist es wichtig, als Erster in die Kurve zu gehen“, sagt Dieter Depping. Deshalb macht er derzeit Reaktionstraining. 0,4 Sekunden waren es noch vor ein paar Wochen. Nicht schlecht für einen 52-Jährigen. „Aber da geht noch mehr.“

Eigentlich ist Depping seit 16 Jahren Testfahrer bei Volkswagen. Die aktive Karriere als dreimaliger deutscher Rallyemeister und Dakar-Pilot hat er lange beendet. Doch als er gefragt wurde, ob er sich ein Comeback als Rennfahrer beim 11. Lauf zur Rallycross-Weltmeisterschaft in Buxtehude auf dem Estering vorstellen kann, musste er nicht lange nachdenken. „Ich freue mich wahnsinnig auf das Wochenende “, sagt er. „Ich habe aber auch großen Respekt.“ Der Polo GTi, den er für das schwedische Petter-Solberg-Team fahren soll, hat 570 PS , beschleunigt beim Start schneller von null auf hundert als ein Formel-1-Auto. Klar, dass er am Reaktionsvermögen feilt.

Vollkontakt erwünscht

Rallycross ist die Weiterentwicklung des traditionellen Rallye-Sports. Statt Wertungsprüfungen im Einzelzeitfahren zu absolvieren, treten die Kontrahenten mit ihren Boliden auf einer künstlich angelegten Rundstrecke direkt gegeneinander an. Bei den Sprintrennen auf einer kurzen Bahn mit meist engen Kurven sind Vollkontakt und Lackaustausch erwünscht. Finanzierbar ist das nur, weil die schnell zerknitterten Allrad-Boliden zum großen Teil aus billigem Kunststoff statt aus Carbon hergestellt sind.

So ist auch mal ein Totalschaden für die Rennställe zu verkraften. Die bis zu 600 PS starken Fahrzeuge springen während der Rennen auch über künstlich angelegte Hindernisse, manchmal bis zu 20 Meter weit. Das sieht spektakulär aus und lockt vor allem jüngeres Publikum an. Hübsche, junge Frauen an der Startlinie, die sogenannten Monster-Girls auf High Heels und in sexy Outfits, befeuern das Klischee vom benzingeruchgetränkten Männersport.

Autofahren im Grenzbereich

Dass der Norddeutsche Depping noch einmal gegen die zumeist jüngeren Stars der Branche wie den schon als Weltmeister 2017 feststehenden Johan Kristoffersson (28) aus Schweden, aber eben auch Petter Solberg (42) und Ken Block (49), Star der amerikanischen YouTube-Szene, antritt, ist kein PR-Gag. „Wie kommen Sie darauf?“, fragt er konsterniert. Als ob einer wie er nur so zum Spaß ein WM-Rennen mitfahren würde.

Der alleinerziehende Vater zweier Töchter – die Ehefrau ist vor ein paar Jahren gestorben – hat in seinem Leben nicht viel anderes gemacht als Autofahren im Grenzbereich. Aufgewachsen ist er mit vier Brüdern auf dem Gelände des Familienbetriebes, einem Fuhrunternehmen des Vaters. Dort fuhren die rennsportverrückten Jung-Männer erste Rennen. Mit dem Bagger oder auch der Zugmaschine. Dem Vater gefiel es, dass seine Jungs Spaß hatten. Und besonders einer fand heraus, was sie am besten konnten.

„Am Steuer bin ich ein anderer Mensch“

Nach der Schule machte Depping eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker. Denn nicht nur das Rennenfahren faszinierte ihn, sondern auch das Schrauben. Fünf Totalschäden später, zweimal mit dem Auto der Mutter, startete er seine Rennsportkarriere. „Am Steuer bin ich ein anderer Mensch“, sagt Depping. Legt er den Rennanzug an, das Sicherheitssystem Hans um den Hals und stülpt den Helm über, lenkt Adrenalin Denken und Handeln. „Man muss Respekt haben“, sagt der erfahrene Pilot.

„Aber wenn man Angst fühlt, kann es tödlich sein.“ Ihm ist bislang weder während seiner Rennkarriere noch als Testfahrer auf Forschungsstrecken in aller Welt etwas wirklich Schlimmes passiert. Doch Janina, die rennsportverrückte Tochter seines Bruders Bernd, verunglückte 2013 bei einem Rennen tödlich. „Das Risiko kennt jeder“, sagt Depping. „Aber für die Familie war es natürlich tieftraurig.“

Schon das freie Training eine Herausforderung

Seit Donnerstag sind die ersten Camper da, um sich die besten Plätze zu sichern. Zwischen 40 und 120 Euro kostet der Eintritt. Um die 20.000 Fans werden erwartet. Für den Comebacker Depping ist schon das freie Training Herausforderung. „Wichtig, um Erfahrungen fürs Rennen zu sammeln.“ Denn nur mitfahren hat einer wie er nicht im Blut.