Paris/München. Nach dem 0:3 in Paris zieht der deutsche Rekordmeister die Reißleine. Tuchel erster Nachfolge-Kandidat

Am Ende wurde die Trennung mit einer ähnlichen Rasanz vollzogen, wie Paris Saint-Germain am Mittwochabend über den FC Bayern hinweggefegt war. Keine 24 Stunden nach der 0:3 (0:2)-Niederlage im Gruppenspiel der Champions League beurlaubten die Münchner Trainer Carlo Ancelotti (58) und seinen Stab. Klar war damit, was der Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge in der Nacht zuvor angedacht hatte, als er auf dem Bankett von „Konsequenzen in Klartextform“ sprach. „Die Leistungen unserer Mannschaft seit Saisonbeginn entsprachen nicht den Erwartungen, die wir an sie stellen. Das Spiel in Paris hat deutlich gezeigt, dass wir Konsequenzen ziehen mussten“, sagte Rummenigge am Donnerstag. Er bedauere die Entwicklung, „aber wir mussten eine professionelle Entscheidung im Sinne des FC Bayern treffen. Ich erwarte jetzt von der Mannschaft eine positive Entwicklung und absoluten Leistungswillen, damit wir unsere Saisonziele erreichen.“

Auch wenn die schnelle Entscheidung überraschte, war sie doch nur das absehbare vorzeitige Ende der gemeinsamen Zusammenarbeit, die erst Mitte 2016 begonnen hatte und in der Vorsaison nur den deutschen Meistertitel als Ertrag gebracht hatte. Zuletzt war das Binnenklima immer stärker belastet gewesen. Die Münchner sahen zudem die zunehmenden Rückschritte in der Entwicklung der Mannschaft unter Ancelotti. Paris war nur ein letzter Beleg.

„Die Entwicklung ging schon seit einigen Wochen und Monaten nach unten“, monierte Bayern-Präsident Uli Hoeneß am Abend bei einem Kamingespräch in Siegen. „Aber auch das wäre nicht so schlimm gewesen, wenn der Trainer in den letzten Tagen nicht noch einmal fünf wichtige Spieler auf einen Schlag gegen sich aufgebracht hätte. Du kannst als Trainer nicht deine prominentesten Spieler als Gegner haben. Das hätte er nicht durchgehalten“, gab Hoeneß tiefe Einblicke ins Mannschaftsleben.

Der Vertrag des Italieners Ancelotti lief bis 2019, für den nächsten Sommer hatten die Bayern eine Ausstiegsklausel. Der bisherige Co-Trainer Willy Sagnol (40) soll nun vorerst übernehmen. Am Sonntag steht das Ligaspiel bei Hertha BSC an, in Berlin sitzt der Franzose auf jeden Fall der Bank. In der anschließenden Länderspielpause können die Bayern dann eine neue Lösung präsentieren. Der ehemalige Dortmunder Thomas Tuchel (44), derzeit vereinslos und ein Verfechter der Lehre von Ancelottis spanischem Vorgänger Pep Guardiola, gilt als denkbare Lösung.

Wie schwer belastet das Verhältnis zwischen großen Teilen des Teams und Ancelotti war, hatte sich nach der Niederlage in Paris gezeigt. Mats Hummels schritt dort mit finsterer Miene von dannen und hinterließ im Bauch des Prinzenparks nur einen Halbsatz, als er von einem Reporter angesprochen wurde. „Das glauben Sie nicht wirklich“, sagte der Innenverteidiger und zog umgehend weiter. Wie Franck Ribéry hatte Hummels 90 Minuten lang auf der Bank verbracht, und dass er sich danach zu der fein säuberlichen Demontage seiner Kollegen, zu seiner Nichtberücksichtigung oder zu Ancelottis sonstigen Personalentscheidungen äußern würde, war wirklich kaum zu erwarten.

Hummels sah es wie Arjen Robben, der ebenfalls fast 70 Minuten lang von der Bank aus hatte zuschauen müssen, wie die erste echte Standortbestimmung der Saison gründlich missraten war. „Ich werde zur Aufstellung nichts sagen. Da ist jedes Wort eins zu viel“, befand der Niederländer, als es um Ancelottis erstaunliche Formation ging, die der Angriffswucht von Paris Saint-Germain im wohl schon entscheidenden Spiel um den Gruppensieg nicht gewachsen war. PSG hatte seine Ansprüche, als Titelkandidat der Champions League wahrgenommen zu werden, mit den Toren von Dani Alves (2.), Edinson Cavani (31.) und Neymar (63.) untermauert und dabei einen höheren Sieg vergeben. Die Münchner dagegen wirkten trotz höherer Spielanteile, 19:12 Torschüssen und 18:1 Eckbällen, hilflos.

Hummels’ angestammter Innenverteidiger-Kollege Jérôme Boateng hatte sich gar auf der Tribüne wiedergefunden, für ihn war nicht einmal Platz im Kader gewesen. Stattdessen bildeten Niklas Süle und Javier Martínez den Innenblock, weiter vorne verzichtete Ancelotti auf jeglichen Flügelspieler. Zur zweiten Halbzeit brachte er Sebastian Rudy, und Kingsley Coman, Robben und Ribéry sahen weiter zu. Es fügte sich ins Bild, dass vor allem jene Worte etwas über das Binnenklima verrieten, die vermieden wurden. „Der Trainer trifft die Entscheidungen und stellt seine Pläne vor. Und die Mannschaft versucht, das bestmöglich umzusetzen“, sagte Thomas Müller äußerst distanziert. „Ich weiß, dass ich dafür kritisiert werde, aber das ist kein Pro­blem“, ließ Ancelotti stoisch verlauten.

Bisher galt es als unvorstellbar, dass die Münchner in den großen Spielen freiwillig auf Robben, Ribéry, Hummels und Boateng verzichten. Ancelotti tat es. Es folgte eine umfassende Havarie, und Ancelotti wusste, dass er sich dadurch noch angreifbarer gemacht hatte als ohnehin. „Ich bedaure nichts“, sagte er später.

Dass sich die Wege von Trainer und Verein bald trennen würden, war längst absehbar gewesen. Zumal Rummenigge seinen FC Bayern in Paris endgültig nicht mehr wiedererkannt hatte. „Es ist wichtig, dass wir nach diesem Spiel schnell wieder die Kurve kriegen und uns als Bayern München präsentieren. Und dann eben auch zeigen, dass wir eine Mannschaft sind, die wie in den letzten Jahren in Europa und auch national für Furore sorgt“, sagte er. Das dürfte angesichts der finanziellen Übermacht von Konkurrenten wie PSG unabhängig vom Trainer knifflig werden.