Hamburg. Der Hamburger Tim Ole Naske startet an diesem Sonntag in seine erste Ruder-WM im Erwachsenenbereich

Was haben sie sich im Trainingslager die Köpfe heiß geredet! Darüber, wie es sein würde, in einem Krisengebiet den Saisonhöhepunkt zu erleben, während rundherum Menschen ihre zerstörten Existenzen wieder aufzubauen versuchen. „Es hat uns ein paar Tage ziemlich beschäftigt, nicht zu wissen, was auf uns zukommt und ob es überhaupt vertretbar wäre, die WM auszutragen. Wenn Menschen ihr Leben verloren hätten, wäre es moralisch falsch gewesen, dort kurze Zeit später ein großes Sportfest zu feiern“, sagt Tim Ole Naske.

Seit vergangenem Montag nun sind der Hamburger Einer-Spezialist und die deutsche Ruder-Nationalmannschaft in Sarasota. Dort, im vom Hurrikan Irma geplagten US-Bundesstaat Florida, startet an diesem Sonntag die Weltmeisterschaft, und alle Bedenken zum Thema „Sport im Krisengebiet“ können die rund 900 Athleten aus 69 Ländern – darunter acht Hamburger (siehe Infokasten) – getrost über Bord werfen.

Die Region südlich von Tampa an der Küste des Golfs von Mexiko ist dem Wirbelsturm ohne sichtbare Schäden entkommen, die Regattastrecke im Nathan Benderson Park ist zwar windanfällig, aber in bestem Zustand. „Wenn man von Irma nichts gewusst hätte, würde man nicht auf die Idee kommen, dass hier ein solcher Hurrikan gewütet hat. Alles sieht ganz normal aus, man kann keine Schäden entdecken. Auch die Anreise ist problemlos verlaufen, wir wohnen in einem guten Hotel 15 Minuten von der Strecke entfernt. Alles ist gut, es kann losgehen“, sagt der 21-Jährige von der RG Hansa.

Dass Naske die Dinge so entspannt angeht, verwundert kaum. Den Jurastudenten zeichnet eine Ruhe im Umgang mit äußeren Umständen aus, die ihm in den vergangenen Wochen sehr zugute kam. Er schert sich nicht um das, was er nicht beeinflussen kann, sondern konzentriert sich auf den Ist-Zustand. Deshalb störte es ihn auch wenig, dass die Boote der deutschen Mannschaft erst am Donnerstag eintrafen, weil das Containerschiff, das sie geladen hatte, wegen des Hurrikans im rund 1700 Kilometer entfernten Houston anlegen und die Fracht über die Straße nach Sarasota transportiert werden musste. „Wir haben ein gutes Fitnessstudio um die Ecke, da habe ich auf dem Ergometer trainiert, und am Mittwoch konnten wir mit geliehenen Booten auf der Rennstrecke fahren. Mir reicht das als Vorbereitung“, sagt Naske.

Den Großteil der Arbeit haben die deutschen Athleten ja auch in den Vorbereitungscamps geleistet. Zwei Wochen im Ratzeburger Leistungszentrum folgten knapp drei im österreichischen Weißensee, ehe es für weitere 14 Tage zurück nach Ratzeburg ging. „Es ist schon ein wenig unglücklich, dass wir seit dem Weltcup in Luzern Anfang Juli keinen Wettkampf mehr hatten. Die nötige Spannung über einen so langen Zeitraum aufrechtzuerhalten, das ist vor allem mental sehr fordernd“, sagt der Lokstedter. Die wenige freie Zeit in Hamburg habe er deshalb auch genutzt, um bei Treffen mit Freunden komplett vom Sport abzuschalten.

Aufgrund der langen Wettkampfpause fehlen Tim Ole Naske Vergleichsparameter, um vor seiner ersten WM im Seniorenbereich, die für ihn am Sonntag (19.06 Uhr MESZ) mit dem Vorlauf startet, das eigene Leistungsvermögen einschätzen zu können. Minimalziel sei, die Top Ten zu erreichen, doch weil sich der Jugendolympiasieger und Juniorenweltmeister von 2014 mit Minimalzielen grundsätzlich nicht zufrieden gibt, peilt er einen Platz im A-Finale an. Das würde mindestens Rang sechs bedeuten.

Rang vier beim Weltcup hat ihm viel Mut gemacht

Für einen Debütanten ist das ein mutiges Vorhaben, doch Naske weiß, dass er nicht als Einziger daran glaubt, es umsetzen zu können. Der fünfte Platz bei der EM im tschechischen Racice Ende Mai war ein deutliches Zeichen an die Konkurrenz. „Viel wichtiger war mir aber Rang vier beim Weltcup in Posen Mitte Juni, weil dort die Konkurrenz stärker war“, sagt er. Wie hoch sein Stellenwert in der Weltelite bereits ist, zeigte ihm die Einladung zur 53. Head of the Charles-Regatta in Boston (21./22. Oktober), wo er im Doppelzweier und im Achter antreten wird. „Das ist eine große Ehre für mich“, sagt er.

Titelansprüche zu stellen, davon ist er trotzdem noch ein Stück weit entfernt. „Ich bin noch immer ein Lernender, der versucht, so viele Erfahrungen wie möglich aufzusaugen auf dem Weg zu den Olympischen Spielen 2020 in Tokio“, sagt er. In drei Jahren will er so weit sein, die Besten schlagen zu können. Wenn es schneller geht, wird er es mitnehmen. Aber aus der Ruhe bringen lassen wird sich Tim Ole Naske nicht.