Kiel. Nach der dritten Saisonniederlage hat der Rekordmeister Titelchance fast verspielt – Gislason stellt sich infrage

In den Schlussminuten saß Alfred Gislason auf einer Werbebande. Eine paradoxe Situation, denn das, was der 58-Jährige desillusioniert verfolgte, war keine Werbung für den THW Kiel. Der Rekordmeister der Handball-Bundesliga ging 22:30 bei der HSG Wetzlar unter. Es war bereits die dritte Niederlage im sechsten Saisonspiel. Für den THW ist es der schlechteste Ligastart seit 15 Jahren.

Die Saison hat gerade erst begonnen, und schon stecken die Kieler in der Krise. In den sozialen Netzwerken wird der Rauswurf von Gislason und THW-Manager Thorsten Storm gefordert. Dabei zählte der Club aus dem Norden nach zwei langwierigen Jahren des Neuaufbaus mit zwei dritten Plätzen diesmal als Titelanwärter, noch vor dem amtierenden Meister Rhein-Neckar Löwen und der SG Flensburg-Handewitt.

Der THW ist mit einem Etat von 9,5 Millionen Euro der Krösus der Bundesliga, galt als eingespielt mit hochklassigem Personal. Mit Niklas Landin und Andreas Wolff steht das beste Torhüterduo der Liga zwischen den Pfosten, am Kreis ackern Nationalspieler Patrick Wiencek und René Toft Hansen. Einzig bange Frage war: Wie meistert der Turnverein Hassee-Winterbek den Ausfall von Weltklasse-Spielmacher Domagoj Duvnjak, der nach einer Knieoperation erst im kommenden Monat zurückerwartet wird? Als Antwort reicht der Blick auf die Tabelle. Platz neun – also unerwartet schlecht.

Spielerische Stärke allein reicht scheinbar nicht aus. Duvnjaks Abwesenheit offenbart das Fehlen eines Anführers, der in schweren Phasen den Takt vorgibt. So wie in Wetzlar, als Kiel ab der 37. Minute trotz 17:16-Führung einbrach. „Wir haben ab einem gewissen Zeitpunkt aufgegeben“, sagte Linksaußen Rune Dahmke.

Auch Trainer Gislason erkannte ein mentales Problem: „Ich weiß nicht, warum die Spieler nicht an sich glauben“, sagte der Isländer. Seit dem Sommer 2008 arbeitet er in Kiel, gewann mit dem THW seitdem sechs Meisterschaften, wurde fünfmal Pokalsieger und gewann zweimal die Champions League. Ein Erfolgstrainer, der sich allerdings selbst infrage stellte: „Ich muss mich fragen, warum die Mannschaft so verunsichert ist. Das geht garantiert auf meine Kappe.“ Schon vor der Saison gab sich Gislason nachdenklich. Ob er seinen Vertrag bis 2019 überhaupt erfüllen werde? „Nach dieser Saison werde ich mich entscheiden, ob ich weitermache“, sagte er. „Die vergangenen zwei Jahre waren extrem schwierig, es gab viele Verletzte, es galt, viele junge Spieler zu integrieren. Es ist nicht so gelaufen, wie man sich das vorstellt.“ Das trifft nun auch auf die aktuelle Situation zu.

Zur sportlichen Misere gesellen sich bei Gislason aber auch körperliche Beschwerden. Am Freitag unterzog er sich einer lange hinausgezögerten Bandscheibenoperation. Er wird am Sonntag im Champions-League-Spiel beim polnischen Meister Vive Kielce fehlen. Beim Königsklassen-Heimspiel gegen den dänischen Meister Aalborg Handbold am Mittwoch wird Gislason laut einer Pressemitteilung der Kieler „bei gutem Heilungsverlauf“ wieder auf der Bank sitzen können.