Mariko war Stürmerin und heißt jetzt Marino. Cindy spielte im Tor und heißt jetzt Fabian. Die Geschichte zweier Frauen, die jetzt Männer sind

Als es dunkel wird im Eimsbütteler Filmraum, rutscht Marino unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Der 22-Jährige war nur wenige Minuten zuvor mit seiner Mutter in das soziokulturelle Zentrum in der Müggenkampstraße hineingehuscht. Das schwarze Hemd in die Hose gesteckt, die Haare akkurat zum Seitenscheitel gegelt. Hinter den beiden, in der dritten Reihe außen, sitzt Fabian. Blau-weiß kariertes Hemd, im linken Ohr blitzt ein weißer, im rechten Ohr ein dunkler Ohrring. Und auch dem 30 Jahre alten Lehrer, der die Hand von Freundin Svantje hält, ist die Anspannung anzumerken.

Gezeigt wird an diesem Abend im Freundes- und Familienkreis die NDR-Sportclub-Reportage „Testosterongesteuert“ über zwei Fußballerinnen, die Männer wurden. Das 45-Minuten-Werk ist ein Film über Transgender, über die Schwierigkeit, im falschen Körper geboren worden zu sein und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Es ist Marinos und Fabians Film des Lebens.

Marino hieß früher Mariko, Fabian hieß Cindy. Beide haben Fußball bei Grün-Weiß Eimsbüttel gespielt. Marino als Stürmerin und im rechten Mittelfeld in der dritten Damenmannschaft, Fabian als Torhüterin bei den Damen II. Und wie es der Zufall will, haben sie sich unabhängig voneinander im vergangenen Jahr geoutet – als Transmänner. „Ich hatte irgendwie immer das Gefühl, dass etwas mit meinem Körper nicht stimmt. Irgendwann hatte ich dann das Gefühl, dass auch mit dem Kopf etwas nicht stimmt“, sagt Fabian, als das Licht im Eimsbütteler Filmraum wieder angeht. „Mit meinem Kopf ist aber alles in Ordnung. Es kristallisierte sich heraus, dass ich ein ganz normaler Mensch bin, nur mit dem falschen biologischen Geschlecht.“

Fabian und Marino, die sich erst durch die Filmarbeiten so richtig kennengelernt haben, sitzen auf der Fensterbank im Café Filmraum. Beide haben ein Bier in der Hand – und beide reden mit der gleichen Selbstverständlichkeit über ihre Entscheidung, das Geschlecht zu wechseln, als ob sie darüber reden, den Fußballclub zu wechseln. „Ich glaube, dass ich schon immer ein Mann sein wollte. Aber so einen endgültigen Entschluss fasst man ja nicht von heute auf morgen“, sagt Marino.

Der gebürtige Hamburger, der schon immer fußballverrückt war, erfuhr im vergangenen Jahr von seinem Trainer Dennis, dass es bei Grün-Weiß Eimsbüttel mit Fabian noch jemanden gab, der so fühlte wie er. „Innerlich hatte ich mich schon eine ganze Weile damit beschäftigt. In meiner Mannschaft habe ich mich dann drei Wochen später offenbart“, sagt Marino.

Auch Dennis König, der mittlerweile gemeinsam mit Marino die dritte Damenmannschaft von Grün-Weiß trainiert, ist an diesem Abend zur Filmpremiere in die Müggenkampstraße 45 gekommen. „Marinos und Fabians Outing wurde bei uns im Club eigentlich durchweg positiv aufgenommen“, sagt der Trainer, der gleichzeitig Abteilungsleiter der Damen ist. „Natürlich gab es ein paar Jüngere, die ihre Witze machten. Aber gerade weil die beiden extrem offen mit ihrer Geschichte umgehen, gab es keine Probleme. Ich finde es schon sehr bemerkenswert, dass jeder die beiden alles fragen darf.“

Und Fragen gibt es mehr als genug. Obwohl es nach inoffiziellen Schätzungen bis zu 250.000 Transmänner in Deutschland und rund 50 offizielle Namensumschreibungen pro Jahr in Hamburg geben soll, gilt das Thema noch immer als Tabuthema. „Ich wurde auch schon gefragt, ob ich nicht einfach zu heiß geduscht habe. Deswegen ist es wichtig, offen darüber zu reden“, sagt Fabian, der sich aus diesem Grund anderthalb Jahre lang auf seinem Weg von Torhüterin Cindy zu Torhüter Fabian vom NDR begleiten ließ.

Gedreht wurde auf dem Fußballplatz an der Julius-Vosseler-Straße, im Krankenhaus vor und nach den Operationen, zu Hause beim Fachsimpeln über Penis-Attrappen, beim Hamburger Amtsgericht und auch an Fabians Schule. Der gebürtige Mecklenburger unterrichtet an einer evangelischen Schule die Klassen vier bis sechs. Und noch vor Kurzem wurde Fabian jeden Tag mit einem lautstarken „Guten Morgen, Frau Schröder“ begrüßt. Mit Beginn des vergangenen Schuljahres hieß es dann: „Guten Morgen, Herr Schröder!“ Doch was für den einen oder anderen Erwachsenen gewöhnungsbedürftig klingen mag, scheint für einen Großteil der Kinder völlig normal. „Ich dachte nur: Cool! Das erlebt man ja nicht jeden Tag“, sagt ein Schüler im Film – und sorgte damit auch in der Müggenkampstraße 45 für großes Gelächter.

Die Mutter musste erklären, dass sie nun zwei Söhne hat

„Es hilft, die ganze Sache mit ein wenig Humor zu nehmen“, sagt Fabian. Dabei sind die Themen Toleranz und Gleichberechtigung ernst. Wie ernst diese Thematik auch 2017 tatsächlich noch ist, zeigt die Diskussion in den USA, wo Präsident Donald Trump mithilfe eines Dekrets ein Transgenderverbot im Militär durchsetzen wollte.

„Ach, dieser Trump“, schimpft Marinos Mutter bei ein paar Häppchen im Anschluss der Filmvorführung. „Der sollte ja nun wirklich kein Beispiel für uns sein.“ Die kleine Frau, die so herzlich lachen kann, verzieht das Gesicht. Doch Trump ist glücklicherweise an diesem Abend weit weg, ihr Sohn steht dagegen genau neben ihr. „Gerade wenn ich jetzt noch mal die ganze Entwicklung im Zeitraffer sehe, bin ich unglaublich stolz auf ihn“, sagt sie.

Auch sie habe überraschend viele positive Reaktionen erhalten. „Letztens fragte mich eine Bekannte auf der Straße, wie es denn meinem Sohn und meiner Tochter Mariko gehen würde. Da habe ich geantwortet, dass ich doch jetzt zwei Söhne habe“, sagt Marinos Mutter und lacht. „Da musste ich dann ein bisschen was erklären.“

Ganz so einfach ist Marinos und Fabians Fall natürlich nicht. Auf ihrem langen Weg gab es auch Zweifel, Tränen und Enttäuschungen. Marino und seine bisherige Freundin trennten sich im Lauf des Prozesses. Und auch Fabians Partnerin Svantje muss sich erst einmal an Barthaare und Männerbrust gewöhnen. Marino und Fabian mussten und müssen sich einer Hormontherapie unterziehen lassen und geschlechtsangleichende Operationen durchführen. Alle drei Monate bekommen sie eine Testosteronspritze, zudem sollen Ös­trogenblocker das weibliche Hormon Östrogen unterdrücken, damit das Testosteron noch stärker wirken kann.

Doch die Biologie ist das eine, die Psychologie das andere. „Ich habe schon als Kind zu Gott gebetet, dass ich ein Junge bin“, sagt Fabian, dessen Barthaare mit Eyeliner hervorgehoben sind. Marino nickt und sagt: „Manchmal wünsche ich mir, dass ich schon früher so selbstbewusst gewesen wäre wie heute.“ Mit 14 Jahren habe der gelernte Schuhmacher eine Transgender-Reportage im Fernsehen gesehen, sich aber nicht getraut, offen darüber zu sprechen. Mittlerweile ist er gefestigt genug, jede Testosteronspritze im Familien-Chat bei WhatsApp anzukündigen.

Obwohl Marino mittlerweile „testosterongesteuert“ sei, wie er halb im Scherz, halb im Ernst, selbst einräumt, will er mit dem Fußballspielen zunächst einmal pausieren. Torhüter Fabian hat seine Fußballschuhe sogar an den Nagel gehängt. Vorerst zumindest. „Sag niemals nie“, sagt er und lässt sich damit eine Rückkehr offen. „Ich würde aber erst wieder Fußball in einer Männermannschaft spielen, wenn mein Prozess abgeschlossen ist“, sagt Fabian. „Und ich würde mich dann auch nicht mehr outen wollen.“

Die einfachen DFB-Regeln sind simpel: Solange im Personalausweis noch das weibliche Geschlecht und der weibliche Vorname stehen, sind Transmänner für die Damen spielberechtigt. Erst wenn das Amtsgericht die Geschlechtsangleichung offiziell bestätigt, wie bei Marino und Fabian, muss man ins Herrenteam wechseln.

Vor einem Monat hatte Marino sogar zwei Probeeinheiten bei den Männern von Grün-Weiß Eimsbüttel absolviert. „Hat Spaß gebracht, aber es war schon ganz schön anstrengend. Vielleicht ein bisschen zu anstrengend.“ Das Testosteron, das ihm alle drei Monate gespritzt wird, hat zwar eine leistungssteigernde Wirkung. Doch die Unterschiede zwischen Frauen- zum Herrenfußball bleiben gewaltig. Auf und abseits des Platzes. So gibt es auch im Film eine Szene, in der sich Marino in der Männerkabine umzieht und mit den Herren von Grün-Weiß scherzt. „Was spielst du denn?“, fragt einer. „Rechtes Mittelfeld“, antwortet Marino. „Da brauchen wir keinen“, ruft der rechte Mittelfeldmann der Mannschaft – und die ganze Kabine lacht.

„An solche Männergespräche muss man sich natürlich auch erst einmal gewöhnen“, sagt Fabian und nimmt einen Schluck Bier. „Was soll man denn sagen, wenn da einer stolz erzählt, wie er eine andere geknallt hat?“, fragt er. „Soll ich dann sagen: Hast du fein gemacht?“ Deshalb ist die vermeintlich simple Frage, in welcher Kabine man(n) sich umzieht, für die beiden bei allem Selbstbewusstsein noch immer eine große Hürde. Beim Fußball-Probetraining hat sich Marino bei den Herren umgezogen, allerdings zu Hause geduscht. Und im Fitnessstudio zieht er sich noch immer in der Damenumkleide an. „Man wird so oder so komisch angeschaut“, sagt er.

Deswegen zieht es die beiden Hobby-Fußballer auch nicht unbedingt ins Fußballstadion. In der Fankurve sei Homophobie ja leider noch immer weit verbreitet, sagt Fabian. „Da kann man sich vorstellen, wie man dort über Transmänner denkt.“ Marino nickt. Er gucke Fußball nur im Fernsehen. „Am liebsten die Nationalmannschaft“, sagt er. „Mal sehen, wann man irgendwann so weit ist, dass unser Weg für alle und jeden Normalität ist.“

Irgendwann wird man wohl so weit sein. Oder besser: Mann. „Ich bin jedenfalls stolz auf den Weg, den Marino und ich bislang beschritten haben“, sagt Fabian am späten Abend. „Aber so richtig fertig bin auch ich erst, wenn selbst ich irgendwann im Alltag vergesse, dass ich mal eine Cindy war.“

TV-Tipp: Die NDR-Redakteurinnen Anne Strauch und Ina Kast begleiteten die beiden Transmänner Marino und Fabian anderthalb Jahre lang auf ihrem schwierigen Weg. Der ganze Film („Testosterongesteuert“) ist an diesem Sonntag ab 23.35 Uhr als Sportclub-Reportage im NDR zu sehen.