Hannover. Martin Harniks Treffer bei Hannovers 2:0-Sieg war für die Mannschaft von Trainer Markus Gisdol der Anfang vom Ende

Es waren immerhin noch acht Minuten am späten Freitagabend in Hannover zu spielen, als HSV-Trainer Markus Gisdol offenbar schon genug gesehen hatte. Gerade hatte Hannovers Ihlas Bebou zum späteren 2:0-Endstand abgestaubt, als der Hamburger Coach das Gesicht in seinen Händen verbarg und nur noch den Kopf schüttelte. Wenig später war es dann amtlich: „Spitzenreiter! Spitzenreiter!“, sang ein Großteil der 49.000 Zuschauer – und gemeint war nicht Gisdols HSV.

Bereits der Start in den Freitagabend hätte für seinen HSV nicht viel schlechter laufen können. Zunächst machte rund zwei Stunden vor dem Anpfiff die traurige Nachricht die Runde, dass der ehemalige Vereinspräsident Wolfgang Klein seinem Krebsleiden erlegen ist (siehe Seite 36). Dann verspätete sich der Mannschaftsbus, der sich auf dem Weg vom Tageshotel in die HDI-Arena in einen veritablen Stau verirrte. Und schließlich ließ sich Gisdol bis sage und schreibe 45 Minuten vor dem Anpfiff Zeit, ehe er das Geheimnis des Tages, das schon seit dem Vortag keines mehr war, lüftete: Stürmer Bobby Wood, über dessen Kniereizung der Club am Spieltag ein Staatsgeheimnis machte, war also tatsächlich nicht dabei – genauso wenig wie Hannovers Neun-Millionen-Euro-Rekordtransfer Jonathas, der mit Oberschenkelproblemen passen musste.

Lediglich die Beantwortung der Frage, wer den am Knie verletzten Wood ersetzten würde, konnte noch den einen oder anderen der mehr als 5000 mitgereisten HSV-Anhänger überraschen. Denn statt Sven Schipplock oder Bakery Jatta lautete Gisdols Lösung Schipplock und Jatta. Törles Knöll, der 20 Jahre alte Torjäger aus der Regionalliga, durfte immerhin erstmals in seiner Karriere auf der Bank Platz nehmen.

Von dort aus hatte der Youngster an der Seite von Neuzugang Sejad Salihovic zunächst einen genauso guten Blick auf das Geschehen wie die HSV-Anhänger, die das Spiel vom Sofa aus mittels Eurosport-Player erstmals problemlos verfolgen konnten – zumindest für ein paar Sekunden. Dann sorgten keine technischen Störungen für Ärger, sondern ein paar unverbesserliche HSV-Halbstarke, die den Platz für ein paar Minuten einnebelten. Als sich der Rauch nach rund 20 Minuten langsam verzog, waren es die Hannoveraner Ultras, die mit einem gesteigerten Aufmerksamkeitsdefizit zu kämpfen hatten. Doch statt optischer Reize setzten die 96-„Fans“ auf akustische Signalwirkung: „Kind muss weg!“, halte der Protest-Schlachtruf gegen Clubchef Martin Kind aus der Nordkurve, was wiederum vom Rest des Stadions mit Pfiffen und „Ultras raus!“-Rufen quittiert wurde.

Fußball wurde im ersten Durchgang im Übrigen auch noch gespielt. Zumindest mehr oder weniger. Oder besser: eher weniger als mehr. Die Zahlen der ersten Halbzeit: insgesamt 73 Fehlpässe, kaum Chancen und null Tore. Die Statistiker zählten 7:1 Torschüsse für Hannover, 8:1 Flanken und 65:35 Prozent Ballbesitz.

Doch was sich wie eine klare Sache für die Gastherren liest, war in Wahrheit ein planloses Gekicke, das unter keinen Umständen ein Tor verdient hatte. Der Aderlass in der HSV-Offensive, in der neben Wood bekanntermaßen auch die verletzten Nicolai Müller (Kreuzbandriss), Filip Kostic (ausgeprägter Muskelfaserriss) und Aaron Hunt (unausgeprägter Muskelfaserriss) ausfielen, war unübersehbar. Das etwas abgewandelte Halbzeit-Fazit: Eine Pause konnte dem Spiel nur guttun.

Anders als die Eurosport-Zuschauer, die ausgerechnet diesen Gruselkick gestochen scharf verfolgen konnten, schienen die beiden Trainer zunächst keinen gesteigerten Grund zum Meckern zu haben. So verzichteten sowohl Gisdol als auch der frühere HSV-Stürmer André Breitenreiter in der Halbzeit auf einen Wechsel. Und einer von bei-den sollte nach nicht einmal fünf Minuten für seine Treue belohnt werden. Ärgerlicherweise war es jedoch Hannovers Coach Breitenreiter, der sich über ein „Hamburger“ Tor freuen durfte: Der frühere HSVer Matthias Ostrzolek flankte, der aktuelle HSVer Gideon Jung stolperte, und der gebürtige Hamburger Martin Harnik vollstreckte. Das 1:0 für den HSV – aus Hamburger Sicht nur dummerweise für den falschen HSV.

Zwei Füllkrug-Großchancen (53./55.) später hatte dann auch HSV-Coach Gisdol genug gesehen. Der bemühte, aber glücklose Jatta ging, der gerade erst verpflichtete Salihovic kam. Und der Bosnier brauchte nicht einmal fünf Minuten, um sich immerhin mit so etwas ähnlichem wie einem Torschuss respektabel einzuführen. Weil allerdings weder ihm noch seinen neuen Kollegen weitere Kunststücke gelingen wollten, setzte Gisdol ein Viertelstündchen vor Schluss schließlich alles auf eine Karte: Defensivabräumer Ekdal raus, Sturmdebütant Knöll rein. Der Lohn für den Mut: das 0:2 und die endgültige Entscheidung.