Hamburg. Karibik-Boxer holen bei Amateur-WM fünf der zehn Titel – Sportstaatsrat rügt die Verbände scharf

Wäre die Amateurbox-WM eine Hochzeit gewesen oder ein Scheunenfest, dann hätte man den DJ für seine eintönige Musikauswahl feuern müssen. Aber was hätte man dem armen Kerl am Sonnabendabend vorhalten können? Er war gezwungen, die Nationalhymne Kubas fast in Dauerschleife zu spielen, zu übermächtig stellten die Faustkämpfer von der Karibikinsel ihr Bewegungstalent im Ring zur Schau. Joahnys Argilagos, Yosbany Veitia, Andy Cruz Gomez, Julio La Cruz und Erislandy Savon heimsten fünf der zehn Titel ein, die am Finaltag in der zum einzigen Mal fast komplett gefüllten Sporthalle Hamburg vergeben wurden, und lauschten verzückt ihrer „Bayamesa“.

Als der DJ kurzfristig sein Programm änderte, durfte auch Wladimir Klitschko seinen Nationalstolz ausleben. Der zurückgetretene Schwergewichtsweltmeister übernahm die Siegerehrung im Mittelgewicht und konnte seinem ukrainischen Landsmann Alexander Kuschnjak die Goldmedaille und die Auszeichnung als bester Boxer überreichen. Die Hymne ihres Landes verfolgten beide mit der rechten Hand auf dem Herzen.

Zur Medaillenvergabe hatte auch Abass Baraou sein Lächeln zurückgewonnen. Der einzige deutsche Halbfinalteilnehmer, der am Freitagabend nach seiner Niederlage gegen den Kubaner Roniel Iglesias Tränen der Enttäuschung vergossen hatte, war glücklich über die Bronzemedaille, die er aus den Händen von Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz empfangen hatte. „Die Jungs haben mir am Sonnabend versichert, dass ich niemanden enttäuscht habe, und die Weltspitze weiß jetzt, wer Abass Baraou ist“, sagte der 22 Jahre alte Weltergewichtler aus Oberhausen, der als einziger amtierender deutscher Europameister auch bei der Heim-WM für die Glanzlichter aus nationaler Sicht sorgen konnte.

Die deutsche Auswahl zeigte Potenzial und Teamgeist

Was bleiben wird von den acht Wettkampftagen, ist der Eindruck einer jungen deutschen Mannschaft, die auf dem Weg zu den Olympischen Spielen 2020 in Tokio sportliches Potenzial ebenso nachwies wie großartigen Teamgeist. Von den zehn gestarteten Einheimischen schafften es sechs ins Viertelfinale, enttäuschend waren lediglich die Erstrundenniederlagen für Hamza Touba (Fliegengewicht) und Igor Teziev (Schwergewicht). „Mit dem Auftreten können wir grundsätzlich zufrieden sein, auch wenn die eine oder andere Medaille mehr natürlich schön gewesen wäre“, sagte Jürgen Kyas, Präsident des Deutschen Boxsport-Verbands (DBV).

Der 71-Jährige hatte in einem Abendblatt-Interview am Sonnabend harte Kritik am Hamburger Verband (HABV) geäußert, die auch das Fazit von Sportstaatsrat Christoph Holstein überlagerte. „Was Teile der Verbandsführung in den vergangenen Monaten getan haben, ist eine Beleidigung für alle anständigen Hamburger Boxer“, sagte er angesichts der Lagerkämpfe um den Missbrauchsvorwurf gegen den HABV-Sportdirektor (Abendblatt berichtete), die den Verband seit Monaten lähmen. „Wenn der HABV nicht ordentlich arbeitet, dann kann die Stadt auch nicht länger sein Partner sein“, sagte Holstein, der mit Kyas in den kommenden Wochen Gespräche darüber führen will, „wie wir gemeinsam den Boxsport in Hamburg fördern können, ohne dass der HABV daran beteiligt ist.“ HABV-Präsident Ömrü Özkan wurde von Holstein schriftlich zu einer Stellungnahme aufgefordert.

Welchen Nutzen die Stadt, die die WM im Zuge der später gescheiterten Olympiabewerbung akquiriert und mit rund 4,5 Millionen Euro finanziell abgesichert hatte, aus der Veranstaltung ziehen kann, bleibt abzuwarten. „Fakt ist, dass wir unser Wort gehalten und eine gute WM organisiert haben, mit der Hamburg seine Bekanntheit in der Sportwelt gesteigert hat“, sagte Holstein, der zudem das neue Wertungssystem lobte, das der Weltverband Aiba nach dem Skandal um die Suspendierung aller Kampfrichter der Olympischen Spiele in Rio umgesetzt hatte. Und das zu Recht: Skandalurteile blieben komplett aus, deutsche Boxer hatten keinerlei Heimvorteil.

Aiba-Sportdirektor Philippe Tuccelli bestätigte Holsteins Einschätzungen. „Wir sind sehr zufrieden mit dem sportlichen und organisatorischen Ablauf. Die Rückmeldungen von Teilnehmern und TV-Partnern sind absolut positiv“, sagte er. Dass die Grabenkämpfe im Weltverband – das Exekutivkomitee will den in einen Finanzskandal verstrickten Präsidenten Ching-kuo Wu absetzen – zum abstoßenden Klischee einer skandalträchtigen Sportart beitrugen, darf nicht unerwähnt bleiben. Eine erneute Bewerbung Hamburgs um ein internationales Großevent im olympischen Boxen ist deshalb mittelfristig nicht geplant. „Man kann nicht gut arbeiten, wenn die Verbandsspitzen sich lähmen, anstatt zu kooperieren“, sagte Holstein.