Hamburg. Lasogga weg, kein Ersatz da: Jetzt hat die Jugend um Törles Knöll gute Chancen

An seinem ersten Arbeitstag für seinen neuen Club musste Pierre-Michel Lasogga etwas tun, was er in Hamburg gar nicht gerne gemacht hat: Interviews geben. Viele Interviews. Einen Tag nach seinem Wechsel vom HSV zum englischen Zweitligisten Leeds United wollten die britischen Medien vor allem eines von ihm wissen. „Sind Sie eine echte Nummer neun?“ Lasogga antwortete in passablem Englisch: „Yes, I’m a real number nine.“

Eine echte Neun. Nicht nur im deutschen Fußball ist diese Nummer ein Synonym für den klassischen Mittelstürmer. Ein Boxspieler, wie es etwas Neudeutscher heißt. Ein Stürmer, der seine Stärken im Strafraum hat. Uwe Seeler war so einer. Horst Hrubesch ebenso. Und letztlich ist auch Lasogga eine Nummer neun. Sein Problem: Die klassischen Neuner sind im modernen Fußball ein wenig aus der Zeit gefallen. HSV-Trainer Markus Gisdol wusste mit Lasogga so gar nichts anzufangen. Jetzt ist der 25-Jährige weg.

Im Sturm der Hamburger ist es nun einsamer geworden. Bobby Wood ist als Spitze gesetzt. Und dann? Da wäre noch Sven Schipplock. Auch André Hahn kann im Angriff spielen, genau wie Luca Waldschmidt. Aber eine echte Nummer neun? Hat der HSV nicht mehr. Kyriakos Papadopoulos trägt zwar die Nummer. Er kann auch köpfen wie ein Neuner. Aber der Grieche ist eben Abwehrspieler und kein Mittelstürmer.

Und so verschiebt sich die Suche nach neuen Stürmern beim HSV auf den eigenen Nachwuchs. Lange suchen müssen die Verantwortlichen aber gar nicht. Denn neben Fiete Arp, der an diesem Montag die Fritz-Walter-Medaille als bestes deutsches U17-Talent erhält,, ist auch ein weiterer Nachwuchsstürmer in den Fokus von HSV-Trainer Markus Gisdol gerückt: Törles Tim Knöll. Der 19-Jährige aus der U21, mit fünf Treffern Führender der Torjägerliste in der Regionalliga Nord, durfte in dieser Woche bei den Profis vorspielen. Mit Erfolg. Im Test bei Strand 08 erzielte Knöll vier der sieben HSV-Tore.

Chefcoach Gisdol hat der Auftritt des jungen Stürmers gefallen. In der kommenden Woche soll entschieden werden, ob Knöll weiterhin mit den Profis trainieren darf und möglicherweise bald auf erste Kurzeinsätze in der Bundesliga hoffen kann. „Die Tür ist offen“, sagt Sportchef Jens Todt.

Knölls Trainer in der U21 traut seinem Spieler den Sprung zu. „Törles hat schon eine hohe Reife und eine gute Sozialkompetenz. Auf dem Platz ist er allerdings gnadenlos“, sagt Christian Titz dem Abendblatt. Seit diesem Sommer trainiert Titz die Regionalligamannschaft. Nach fünf Spieltagen steht der HSV auf Platz eins – auch dank Törles Knöll. „Er hat ein enormes Gespür für Situationen im Strafraum. Sein erster Kontakt vor dem Tor ist außergewöhnlich. Zudem hat er große Kopfball-Qualitäten. Er steht in der Luft“, sagt Titz. Eine echte Nummer neun eben.

Einiges abgeguckt hat sich Knöll bei einer anderen Nummer neun: Miroslav Klose. Der deutsche Rekordtorschütze arbeitete mit Knöll im Frühjahr bei einem Lehrgang der U20-Nationalmannschaft zusammen. „Er hat mir viele Tipps gegeben, wie ich mich im Strafraum zu verhalten habe“, sagt Knöll. „Die Gespräche mit ihm waren viel wert. Und ich glaube, dass ich seine Tipps auch ganz gut annehme.“

Er tut es. 17 Tore in 32 Partien erzielte der Junge aus dem nahe Darmstadt gelegenen Gundernhausen in seiner ersten Herrensaison 2016/17, die der HSV II auf einem starken fünften Platz abschloss. Zwei Spieltage vor Saisonende reiste der HSV II-interne Torschützenkönig für Deutschland zur U20-WM nach Südkorea. Hier war im Achtelfinale gegen Sambia (3:4 n. V.) Endstation. Seit einem Monat gilt nun: neue Regionalligasaison, altes Spiel. Der HSV II ist oben mit dabei, und Knöll trifft und trifft.

„Ich liebe das Gefühl, wenn der Ball hinter der Linie ist, und ich versuche immer, ihn reinzumachen“, sagt er über seine Spielweise. Knöll lebt vor allem von Willen, Ehrgeiz und robustem Einsatz. „Ich habe eine sehr saubere Technik“, fügt er hinzu. „Aber ich bin sicher kein Dribbelkönig, der mit dem Ball aufdreht. An meiner Variabilität arbeite ich noch.“ Seine Kaltschnäuzigkeit im Abschluss zählt dagegen zu den großen Stärken, die er in den Talentschulen mehrerer Proficlubs entwickelt hat (Darmstadt 98, Eintracht Frankfurt, FSV Frankfurt, Mainz 05).

Zwei große Vorbilder haben Knöll auf seinem bisherigen Karriereweg beeinflusst. Zum einen sein Bruder Björn (26), der ihn in vielen Lebensfragen unterstützt. „Sein „Never give up“-Denken hat mich immer sehr beeindruckt“, sagt der jüngere Knöll.

Sein zweites Vorbild heißt Robert Lewandowski, der Stürmer des FC Bayern München. „Lewandowski ist für mich auf und neben dem Platz ein Idealprofi. Seine Spielweise ist klasse, und er achtet sehr auf seinen Körper.“ Vor allem ist Lewandowski das, was Knöll auch in der Bundesliga irgendwann sein will: eine echte Nummer neun.