Monza. Der WM-Spitzenreiter will beim Großen Preis von Italien erstmals seit 2010 wieder ein Heimrennen für den italienischen Rennstall gewinnen

Sebastian Vettel fährt, wenn er zur Arbeit ins Autodromo Nazionale muss, ein Kontrastprogramm. Ausgerechnet dort, wo das Renn-Rot nicht bloß eine Farbe, sondern eine Lebenseinstellung ist, besteigt der Spitzenreiter der Formel 1 eine Vespa ganz in Weiß, vom schwarz-rot-goldenen Zierstreifen abgesehen. Es ist das Geschenk, das ihm sein Rennteam nach der ersten gemeinsamen Saison Ende 2015 machte. Mehr als nur ein Dankeschön – eher eine Liebeserklärung. Als solche versteht sie der Heppenheimer, im Wissen, wie viele Nachtschichten seine Mechaniker dafür eingelegt haben. „Eine große Geste“, sagt Vettel. Am Ende durfte die unvergleichliche Hausfarbe Maranellos doch nicht fehlen – sie findet sich auf den Felgen.

Der Motorroller transportiert ganz gut jenes Gefühl des Aufschwungs aus der vorvergangenen Saison in die Wirklichkeit. Drei Siege feierten Vettel und Ferrari zum Einstand, in diesem Rennjahr sind es bereits deren vier, die die WM-Tabellenführung bedeuten. Es ist lange her, dass die treuen Fans auf den Rängen nicht nur von der Leidenschaft zehren können, sondern auch vom Erfolg. Es ist auch Hoffnung, wieder an die große Schumi-Ära anzuknüpfen – nicht von ungefähr hat Vettel seinen Vertrag um drei weitere Jahre verlängert. Seit 2010 hat kein Ferrari-Fahrer mehr beim Heimspiel siegen können, ein Erfolg am Sonntag (14 Uhr, RTL und Sky) wäre nicht nur für den Ausgang des Titelrennens wichtig – sondern auch der Feierlichkeiten zum 70-jährigen Firmengeburtstag würdig. Beim Training am Freitag waren aber die Silberpfeile mit Valtteri Bottas (Finnland) und Lewis Hamilton (England) klar schneller als Vettel. „Es war heute kein ganz so guter Tag. Es gibt noch viel zu tun“, sagte Vettel.

Vettel (30) ist der Traditionalist der aktuellen Rennfahrergeneration. Denkt er an Ferrari, fällt ihm sein Kindheitsidol und späterer Mentor Michael Schumacher ein, und seine Spielzeugautos: „Immer, wenn wir Rennen gespielt haben, hat ein rotes Auto gewonnen ...“ So was kommt gut an in einem Land, in dem der Benzingeruch von la macchina wie Sauerstoff empfunden wird.

Die Mischung aus großem Gefühl und nötiger Rationalität spiegelt auch der Mann hinter der enormen Beschleunigung der Scuderia in dieser Saison: Mattia Binotto. Ein Ingenieur, der in den Schumacher-Jahren als Ingenieur anfing, zum Leiter der Aggregateabteilung aufrückte und im letzten Sommer nach dem großen Knall in der Teamstruktur zum Technikchef befördert wurde. Ein Mann, der etwas mit Macht und Motoren gleichermaßen anfangen kann. Über den Vater des Erfolges weiß Vettel nur wohlwollendes zu berichten. Die Komplimente kommen im Stakkato: „Clever, aber sehr ruhig und gefasst, sehr konzentriert, diszipliniert.“ Offenbar so, wie sich ein Rennfahrer seinen Chef vorstellt: „Er weiß stets, woran es fehlt, und gibt dem Team den nötigen Halt. Vielleicht ist es die Mischung aus dem kühlen Kopf eines Schweizers und der Leidenschaft und Liebe für Ferrari, wie sie alle Italiener verkörpern.“

Binotto und Vettel verbindet auch, dass sie die Hoffnung einer ganzen Generation tragen. Das äußert sich so, dass die Fans schon bei der Streckenbegehung jeden Offiziellen in Rot nach vorn brüllen, und zu Tausenden in die Boxengasse drängen, um zu beklatschen, wie ein Wagenheber nach vorn getragen wird. Das muss es sein, was Vettel als den „Genießermodus“ empfindet, den er sich für den 13. WM-Lauf verordnet hat. Dem Druck versucht er sich zu verschließen: „Ich will nicht von einem Muss sprechen. Es gibt so vieles, was positiv stimmt. Alles, was negativ klingt, muss man ja nicht mitmachen.“ Auf dem Weg in die Ferrari-Box hängen Dutzende von Kopfhörern. Die Fächer in dem schicken Regal sind fein ausgeleuchtet – in Grün-Weiß-Rot. (brü)