Hamburg. Die Spiele für die Nationalmannschaft sind eine Chance für Julian Draxler, sich auch für seinen französischen Heimatclub zu empfehlen.

Bundestrainer Joachim Löw hat sich im Laufe des Donnerstags mehrfach umgeschaut. Man kann ja nicht wissen. Vielleicht war ihm doch noch einer aus seiner Reisegruppe in Prag abhandengekommen. Vorstellen konnte sich Löw das zwar nicht. Aber in diesen Zeiten könnte es sein, dass irgendein ausgefuchster Berater die medizinische Tauglichkeitsuntersuchung, die es vor jedem Vereinswechsel braucht, via Skype einführt. Oder dass in der tschechischen Hauptstadt noch ein Arzt aufgetrieben wird, der den Spieler stellvertretend abtastet. „Heutzutage ist man ja manchmal selbst überrascht“, sagte Löw.

Er hat das 2013 mit Mesut Özil erlebt. Der wechselte damals am letzten Tag der Transferperiode von Real Madrid zum FC Arsenal – obwohl er schon in München auf dem Weg zur deutschen Nationalelf war. Aber diesmal, da war sich Löw einigermaßen sicher, würde ihm keiner seiner Spieler mehr abtrünnig werden. Nicht einmal Julian Draxler. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass er noch geht“, sagte Löw am Donnerstagnachmittag, obwohl da schon bekannt war, dass der FC Arsenal die Vorbereitungen auf das WM-Qualifikationsspiel gegen Tschechien an diesem Freitag (20.45 Uhr/RTL) störte.

Die Engländer sollen am sogenannten „Deadlineday“ bei Draxler angefragt haben, der sich in seinem Verein ­Paris St. Germain in einer verzwickten Situation befindet: Durch die Verpflichtungen von Neymar (222 Millionen Euro) und auch Monacos Wunderkind Kylian Mbappé (18), die den Scheichclub unterm Strich um die 400 Millionen Euro kosten dürften, stehen die Chancen auf Einsatzzeiten für den deutschen Confed-Cup-Kapitän schlecht.

Draxler war einer der großen Gewinner des Confed Cup

Löw aber war sich dennoch sicher, dass er bleibt. Der 57-Jährige hatte Erste-Hand-Informationen: Am Mittwoch saß er mit Draxler zusammen. Der 23-Jährige konnte einige Argumente vorlegen, warum er trotz der neuerlichen Konkurrenz in Frankreich bleiben wollte. „Jule hat sich in Paris bisher unheimlich wohlgefühlt“, sagt Löw. „Und er hat sich in diesem großen Club persönlich entwickelt.“ Klar, jetzt sei da Neymar auf seiner Position im linken Mittelfeld. „Aber er hat das Selbstvertrauen, sich in Paris durchzusetzen“, sagt Löw.

Anderthalb Stunden zuvor hatte Julian Draxler vor dem deutschen Teamhotel in Prag Selfies mit Fans gemacht und dabei vergnügt gewirkt. Es ist ja nicht so, dass der Sommer nur Schlechtes brachte. Draxler war einer der großen Gewinner des Confed Cup. Dort etablierte sich der oft als schnöselig geltende Flügelspieler, dessen Image durch den erzwungenen Abgang in Wolfsburg Anfang des Jahres mächtig gelitten hatte, als Führungsfigur und wurde zum besten Spieler des Turniers gewählt. Doch der Sommer-Gewinner steckt jetzt in der Klemme, weil sein Aufstieg in der Nationalelf durch seinen Abstieg im Verein ins Stocken zu geraten droht.

Bislang hat Draxler in Paris kaum Spielpraxis erhalten

Mit den Partien gegen Tschechien und Norwegen (am Montag in Stuttgart) startet der Weltmeister in die WM-Saison, die nur noch acht Spiele bis zum Auftakt in Russland bereithält. Löw hat dafür einen erhöhten Konkurrenzkampf ausgerufen, weil es durch den Erfolg beim Confed Cup eine „Weiterentwicklung in der Breite“ seines Kaders gegeben hat. Aus bis zu 40 Spielern kann er jetzt wählen und sagte: „Ein Freilos hat niemand. Jeder tut gut daran, in diesem Jahr gute Leistungen zu bringen. Umso mehr Spieler in Topform sind, desto größer sind in Russland unsere Chancen, den Titel zu gewinnen.“

Doch wie soll Draxler in Paris in Topform kommen, wenn er kaum spielt? In den vier bisherigen Ligapartien durfte er erst zwölf Minuten mitwirken. Wie Draxler steckt also auch Löw in einer Zwickmühle. Kann er auf einen Spieler setzen, der im Verein keinen Stammplatz hat? Oliver Bierhoff findet ja: Zwar brauche es eine gewisse Spielpraxis, „aber diese Regelmäßigkeit sehe ich nicht darin, 34 Spiele in der Startelf zu stehen“, sagte der DFB-Teammanager. Löw sieht das ähnlich. Erstens sei noch nicht gesagt, dass Draxler am Ende wirklich kaum Einsatzzeit bekomme. Der Bundestrainer verwies auf dessen Anpassungsfähigkeit: „Jule kann nicht nur links, sondern auch rechts und auf der Zehn spielen“, sagte er. Und es wäre ja auch möglich, dass sich Draxlers Umfeld die Situation bis Winter anschaut und dann neu bewertet.

Der Bundestrainer kann Draxler als Reus-Ersatz gut gebrauchen

Zweitens findet Löw bei allem Überangebot in seinem Kader links vorn gar nicht so viel Weltklasse. Mit Dortmunds Marco Reus, der optimistischen Schätzungen zufolge nach einem Kreuzbandteilriss erst im Januar wieder richtig einsteigen soll, kann der Bundestrainer nicht seriös planen. André Schürrle ist beim BVB weit weg von einem Stammplatz. Einzig der ehemalige Schalker Leroy Sané brächte das Potenzial mit, war bei Löw zuletzt aber keine Überlegung. Deshalb sagte der Bundestrainer nun: „Bei uns spielt Jule mittlerweile auch eine große Rolle.“ Für den Start in die WM-Saison – bei dem mit zwei Siegen gegen Tschechien und Norwegen schon die Qualifikation geschafft sein könnte, gilt das. Ob beim Turnier dann auch, ist fraglich.

Tschechien: Vaclik – Kaderabek, Suchy, Kalas, Gebre Selassie – Darida, Soucek – Jankto – Dockal, Krejci – Krmencik. Deutschland: ter Stegen – Kimmich, Rüdiger, Hummels, Hector – Goretzka, Kroos – Müller, Özil, Draxler – Werner. Schiedsrichter: Karasew (Russland).