Hamburg. China will den Fußballmarkt durch immer größere Investitionen aufrollen. Davon will auch der HSV profitieren, der seit genau einem Jahr eine Partnerschaft mit SIPG Shanghai pflegt. Die Kooperation klingt viel versprechend, die Umsetzung ist aber schwierig. Ein Ortsbesuch in FernostDer Franzose soll statt Stafylidis für fünf Millionen Euro zum HSV kommenChina will den Fußballmarkt durch immer größere Investitionen aufrollen. Davon will auch der HSV profitieren, der seit genau einem Jahr eine Partnerschaft mit SIPG Shanghai pflegt. Die Kooperation klingt viel versprechend, die Umsetzung ist aber schwierig. Ein Ortsbesuch in FernostDer Franzose soll statt Stafylidis für fünf Millionen Euro zum HSV kommen

Kai Schiller

Shanghai/Hamburg Ni Wei Guos Büro hat seine besten Zeiten schon hinter sich. An der Wand hängt eine Taktiktafel, in der Ecke sind Kartons gestapelt. Auf dem kleinen Tisch in der Mitte des Raums stehen ein bis zum Anschlag gefüllter Aschenbecher, zwei leere Wasserflaschen und ein halbvoller Kaffeebecher. Es riecht nach kaltem Rauch und den Resten vom Mittagessen. „Ni hao“, sagt der kleine, aber drahtige Mann mit dem akkuraten Seitenscheitel. „Willkommen in Shanghai.“ Willkommen bei SIPG.

Der Shanghai International Port Group Football Club, so der vollständige Name, ist das Bayern München Chinas, dem neuen Eldorado des Weltfußballs. Rund 125 Millionen Euro haben die Roten Adler in den vergangen anderthalb Jahren für Neuzugänge ausgegeben. Kein Club in der überaus solventen Super League hat einen wertvolleren Kader, kein Club hat derart hohe Ansprüche – und kein anderer Club kooperiert mit dem HSV.

„Der HSV hat eine sehr lange Geschichte, wir sind dagegen noch ein sehr junger Club. Gerade deswegen haben wir uns über die Kooperation mit dem HSV so sehr gefreut“, sagt Ni Wei Guo. Der höfliche 56-Jährige ist stellvertretener Nachwuchsleiter beim SIPG FC. Die Profis des gerade mal zwölf Jahre alten Clubs liegen in der chinesischen Super League auf Platz zwei hinter Guangzhou. Doch Ni Wei Guo ist nicht für die Gegenwart verantwortlich. Der Chinese mit den leicht ergrauten Schläfen und dem schwarzen Poloshirt soll sich um die Zukunft des Clubs kümmern. „Wir müssen und wollen unseren Nachwuchs verbessern. Und das wollen wir mit der Hilfe des HSV schaffen.“

Wer etwas mehr über die Zukunft vom Fußballclub aus Shanghai erfahren will, der muss zunächst einmal Shanghai verlassen. Knapp anderthalb Autostunden vom Zentrum der 23-Millionen-Einwohner-Metropole entfernt liegt der gutgesicherte und weiträumig umzäunte Sportcampus der Stadt in Oriental Green Boat. Schranke Nummer eins, mürrischer Blick, Schranke Nummer zwei, misstrauischer Blick. Dann steht man mittendrin in Shanghais Talenteschmiede. Volleyball-, Schwimm-, Tennis- und Badmintontalente leben hier mit den Fußballstars von morgen Tür an Tür. Knapp 100 Nachwuchskicker haben hier in vier von SIPG angemieteten Zweckbauten ihr Zuhause – nur einen Freistoß von fünf Rasen- und einem Kunstrasenplatz entfernt. „Hier ist die Zukunft“, sagt Ni Wei Guo.

Fast auf den Tag ein Jahr ist es nun her, dass der HSV und der SIPG FC einen Kooperationsvertrag unterschrieben haben. Noch ein weiteres Jahr lang will man mindestens zusammenarbeiten, nun ist Bergfest. „Die ganze Welt will Business mit China machen. Wir haben uns aber zunächst einmal hingesetzt und uns überlegt: was könnte unser Ansatz sein“, sagt Florian Riepe. Der HSV-Direktor für Marketing und internationale Märkte sitzt 8500 Kilometer entfernt vom SIPG-Nachwuchszentrum im HSV-Stadionrestaurant „Raute“ und bestellt eine Cola. „Mein Magen“, sagt Riepe entschuldigend, ehe er direkt wieder auf SIPG zu sprechen kommt. „Wir haben uns überlegt, diese Kooperation von der wirtschaftlichen Seite aus aufzuziehen. Shanghai und Hamburg sind seit 30 Jahren Partnerstädte mit einer sehr gelebten Partnerschaft – gerade im Bereich der Häfen. Das war der Hauptgrund für uns, dass wir uns auf Shanghai konzentrieren.“

Die Konditionen dieser innovativen Partnerschaft, die dem HSV vor Abzug der Ausgaben knapp fünf Millionen Euro einbringen soll: Der Bundesligaclub steht bis Ende 2018 als eine Art Unternehmensberatung dem SIPG FC zur Seite. Innerhalb von zwei Jahren, so ist es vertraglich geregelt, müssen die Hamburger 36 Workshops geben, die jeweils rund eine Woche lang dauern. Zu zwei Dritteln soll das Sportliche im Vordergrund stehen, zu einem Drittel soll der HSV Einblicke in die Bereiche Management, Marketing, Stadioninfrastruktur, Fans und Sicherheit geben. Die Zusammenarbeit gilt als eine Art Pilotprojekt, das von der gesamten Bundesliga interessiert verfolgt wird. Im Fokus steht die simple Frage: Wie kann man auch als – vorsichtig formuliert – mittelmäßig erfolgreicher Club ein kleines Stück vom großen chinesischen Geldkuchen abbekommen?

Ni Wei Guo kratzt sich am Kopf. „Money is no problem“, sagt er. Geld ist kein Problem. Es ist das einzige Mal im gesamten Gespräch, das der Chinese sich nicht auf einen der beiden anwesenden Dolmetscher verlässt und ins Englische wechselt.

Shanghais Brasilianer Oscar wurde im vergangenen Jahr für 60 Millionen Euro vom FC Chelsea geholt, Landsmann Hulk war den neureichen Chinesen immerhin 55 Millionen Euro wert. Und auch die Konkurrenz war nicht gerade sparsam. Alleine im vergangenen Winter haben die 16 Clubs der Super League mehr als 400 Millionen Euro für Neuzugänge ausgegeben.

Die ganz große Prasserei ist seit diesem Sommer allerdings vorbei. Vorerst. Seit Juni ist bei Spieler-Importen eine Steuer von 100 Prozent der Ablösesumme fällig, sofern der betroffene Fußballer mehr als 45 Millionen Yuan (5,8 Millionen Euro) kostet. Der Hintergrund: Die chinesische Regierung, die Fußball 2011 offiziell zu einem Staatsziel erklärt hat, will die völlig aus dem Ruder gelaufenen Ausgaben eindämmen und die Entwicklung des Nachwuchsfußballs verstärkt fördern. Doch was in der Theorie gut klingt, gestaltet sich in der Praxis schwierig. Denn was für die Profiabteilungen gilt, das gilt auch für die Nachwuchsabteilungen: Geduld mag eine Tugend sein, die in China aber in etwa so verbreitet ist wie Lapskaus oder Fischbrötchen.

„Wir haben Hamburg nach der Vertragsunterzeichnung sehr viel Geld bezahlt in der Hoffnung, dass wir die bestmögliche Unterstützung bekommen, unsere jungen Spieler zu för-dern“, sagt Ni Wei Guo, der mitten im Gespräch die sonst so typische chinesische Zurückhaltung ablegt. Der SIPG-Dolmetscher zögert, der Abendblatt-Dolmetscher übersetzt weiter: „Stand jetzt würde ich die Zusammenarbeit als schwierig bezeichnen.“ Ob er denn grundsätzlich zufrieden sei? Ni Wei Guos Augen funkeln, dann antwortet er auf chinesisch. Fast gleichzeitig übersetzen SIPG- und Abendblatt-Dolmetscher. „Im Prinzip sind wir zufrieden“, sagt der SIPG-Mitarbeiter. „Wir sind nicht zufrieden“, sagt der Abendblatt-Dolmetscher.

Die Problematik scheint simpel: der HSV will seinen chinesischen Partner bestmöglich auf das Morgen vorbereiten, für SIPG ist das Morgen aber schon heute. „Vielleicht fehlt manchmal etwas die Geduld“, drückt es HSV-Direktor Riepe diplomatisch aus. Trotz der fernöstlichen Kritik würde er zuversichtlich bleiben, dass zumindest die SIPG-Führung Geduld besitzt.

„Wer bei Kleinigkeiten keine Geduld hat, dem missling der große Plan“, sagt nicht Riepe. Sondern Konfuzius. Und was vor 2500 Jahren galt, das gilt im Reich der Mitte auch heute noch.

Dabei darf die holprige Umsetzung der Kooperation zwischen dem HSV und SIPG gut und gerne als Paradebeispiel dafür bezeichnet werden, wie schmal bisweilen der Ost-West-Grat zwischen gut gemeint und gut gemacht ist. „Es gibt definitiv Redebedarf, wir können unsere Kommunikation untereinander verbessern“, lässt Ni Wei Guo den Abendblatt-Dolmetscher übersetzen. Und auch Florian Riepe im weit entfernten Hamburg versucht gar nicht erst zu widersprechen: „Die Sprachbarriere ist tatsächlich eine sehr große Herausforderung, vielleicht die größte Herausforderung des ganzen Projekts. Wenn es mal hakt kann man eben nicht einfach zum Telefonhörer greifen und seinen Kollegen anrufen.“

Der HSV hat bereits reagiert. Seit Kurzem hat der Club einen fest angestellten Dolmetscher für das Projekt eingestellt, der in Köln Sport studiert hat und sogar einen Trainerschein besitz. „Wir würden gerne unsere Kooperation nach zwei Jahren fortsetzen. Das ist das klare Ziel“, sagt Riepe, der einen bunten Strauß voller Ideen hat. So könne sich der Marketingexperte auch gut ein Expanison der HSV-Fußballschule bis nach China vorstellen. Erste Gespräche mit Ex-HSV-Star Jörg Albertz, der einst in Shanghai gespielt hat, habe es bereits gegeben. „Wir haben jetzt eine authentische Story, um sie auch chinesischen Unternehmen und potenziellen Sponsoren zu präsentieren“, frohlockt Riepe.

Ganz so optimistisch schaut man im weit entfernten China noch nicht in eine gemeinsame Zukunft. „Bevor wir darüber sprechen, ob wir unsere Zusammenarbeit verlängern, müssen wir zunächst einmal nach zwei Jahren überprüfen, ob wir unsere vorab gesteckten Ziele auch erreicht haben“, sagt Guo, der aus seinen Zielen und Wünschen gar kein Geheimnis macht.

„Unser größter Wunsch ist, dass unsere Talente auch in Hamburg und Europa so viel Spielpraxis wie möglich bekommen“, sagt Ni Wei Guo, der berichtet, dass beispielsweise Shanghais U18-Mannschaft ein Jahr lang am Ligabetrieb von Brasiliens U18-Meisterschaft teilnehmen darf. Ähnliches ist auch mit Chinas U20-Nationalmannschaft geplannt. Ab der Rückrunde soll das Olympiateam trotz großer Proteste in Deutschlands Regionalliga Südwest spielen. Natürlich außer Konkurrenz. Ähnliche Konstellationen sind durch die Kooperation zwischen dem HSV und SIPG im Norden allerdings nicht zu erwarten: „Ein Austauschprogramm im Jugendbereich wäre wünschenswert“, sagt HSV-Marketingchef Riepe. „Aber die Fifa- und Uefa-Richtlinien sind extrem streng, wir haben das geprüft.“

Es wird spät in Fernost. Ni Wei Guo schickt seinen Assistenten los. Er solle noch ein paar Andenken für die weitgereisten Gäste holen. Ein SIPG-Shirt und ein SIPG-Schal. Er hoffe, sagt der Funktionär vor der Verabschiedung versöhnlich, dass er nach seinem Besuch im vergangenen November noch in diesem Jahr ein zweites Mal nach Hamburg kommen könne. Eine tolle Stadt, sagt er. Ein tolles Stadion. Und der HSV sei natürlich auch ein toller Verein. Was ihm, den Mann der SIPG-Zukunft, denn bei seinem letzten Besuch am meisten beeindruckt habe? Ni Wei Guo überlegt lange. Dann lächelt er: „Das HSV-Museum.“

Der sogenannte „Deadlineday“, der letzte Tag der derzeitigen Transferperiode, ist zwar erst an diesem Donnerstag, doch ein Vorgeschmack auf den wahrscheinlich hektischsten Tag des Profifußball-Jahres war bereits am Dienstag im Volkspark zu beobachten: Da tigerte Sportchef Jens Todt, immer mit dem Mobiltelefon am Ohr, von der einen Seite des Trainingsplatzes zur anderen. Zwischendurch ein kurzes Schwätzchen mit Trainer Markus Gisdol – und schon folgte das nächste Telefongespräch.

Es gab Redebedarf. So erfuhr Todt am frühen Morgen, dass sich der erhoffte Transfer von Augsburgs Griechen Konstantinos Stafylidis, den er seit Wochen zum HSV lotsen wollte, nicht realisieren lässt. „Ein Transfer ist wirtschaftlich für uns nicht darstellbar“, sagte der Manager, der seinen FCA-Kollegen Stefan Reuter auch nach mehreren Telefonaten nicht dazu bewegen konnte, die geforderte Ablöse von neun bis zehn Millionen Euro zu senken.

Doch Fußball ist bekanntlich ein schnelllebiges Geschäft. Und so dauerte es nicht lange, ehe „Bild.de“ online in großen Lettern „Das wird der neue HSV-Verteidiger“ vermeldete und dazu ein Foto des Franzosen Jerome Roussillon zeigte. Fünf Millionen Euro würde der 24 Jahre alte Außenverteidiger aus Montpellier angeblich kosten.

Crème fraîche statt Tsatsiki? Ganz so schnell geht es dann doch nicht. „Wir verkaufen nicht“, bekräftigte Montpelliers Präsident Laurent Nicollin in französischen Medien am Abend. Und auch Roussillons Berater wiegelte im Gespräch mit dem Abendblatt ab: „Der Deal ist noch lange nicht durch, aber wir sind in Gesprächen.“ Es gebe allerdings auch noch keinen Termin für einen Medizincheck in Hamburg.

Ist das alles nur Teil des Pokers? Fakt ist jedenfalls, dass der HSV den wechselwilligen Douglas Santos nur zu PSV Eindhoven ziehen lassen würde, wenn auch der Roussillon-Deal klappt. Immerhin: „Uns liegt nun erstmals ein konkretes Kaufangebot für Santos aus Eindhoven vor“, gab Todt auf Nachfrage zu. So könnte der Olympiasieger, der vor einem Jahr für 7,5 Millionen Euro (plus Beraterhonorare von angeblich rund zwei Millionen Euro) aus Brasilien kam, nun für rund fünf Millionen Euro in die Niederlande wechseln. Aber genau wie im Fall Roussillon betonte Todt: Noch sei nichts fix.

Ganz im Gegensatz zum Wechsel von Pierre-Michel Lasogga. Der Stürmer, der zuletzt beim HSV freigestellt war, um mit Leeds United zu verhandeln, wird für ein Jahr in die zweite englische Liga verliehen. Einziger Wermutstropfen bei diesem Geschäft: der HSV muss auch weiterhin einen Großteil von Lasoggas 3,4-Millionen-Euro-Gehalt zahlen.