Köln/Hamburg. Nach dem zweiten Sieg im zweiten Spiel glaubt der HSV an eine ruhige Saison. Kühne-Kritik gab Antrieb. Trainer Gisdol tritt auf die Bremse

Um kurz vor zwölf Uhr war „Sexmachine“ zu Hause. Zwölf Uhr Mittags. Am Sonntag. „Sexmachine“, so nennt sich HSV-Fan Mirco Petereit. Der 45-Jährige reist seit 31 Jahren dem HSV hinterher. Die Auswärtsfahrten sind sein Leben – auch wenn sie in den vergangenen Jahren nur selten mit sportlichem Erfolg seines Lieblingsclubs verbunden waren. Den 3:1-Sieg des HSV am Freitagabend in Köln und die damit verbundene Feier über die Tabellenführung für rund 20,5 Stunden hat Petereit daher ausnahmsweise ausführlich ausgereizt.

Zwei Nächte feierte der euphorisierte Fan den Sechs-Punkte-Start des HSV. Als er am Sonntagmittag aus seiner Lübecker Stammkneipe nach Hause kehrte, genoss er noch einmal den Blick auf die Tabelle. Platz drei, punktgleich hinter Borussia Dortmund und dem FC Bayern München, so etwas hat es in Hamburg lange nicht gegeben. „Ein weltklasse Gefühl“, sagt Petereit, der diese Momentaufnahme wie viele andere HSV-Fans am Wochenende in Gänze genoss. „Man muss die Feste feiern, wie sie kommen“, sagt er.

Zu feiern gab es im Volkspark schließlich lange nichts – wenn nicht gerade mal wieder ein geglückter Klassenerhalt als Anlass herhalten musste. Und so haben die leidgeprüften Hamburger nun zwei Wochen Zeit, das ungewohnte Tabellenbild zu genießen. „Es ist schön, mit sechs Punkten in die Länderspielpause zu gehen. Damit war nicht zu rechnen“, sagte Trainer Markus Gisdol, der seiner Mannschaft zur Belohnung ein freies Wochenende beschert hatte.

Innerhalb von nur einer Woche hat sich die Stimmung beim HSV um 180 Grad gedreht. Es wird wieder über Fußball gesprochen beim Hamburger Bundesligisten. Warum das so ist, hat vor allem damit zu tun, dass zuvor sehr wenig über Fußball gesprochen wurde. Gerade einmal zehn Tage ist es her, dass Investor Klaus-Michael Kühne nach dem peinlichen Pokalaus in Osnabrück mit seinen Aussagen in zwei Interviews mal eben den gesamten Club zerlegte.

Das Erstaunliche: Mit seinen Formulierungen (u. a. „Luschen“) hat Kühne in der Mannschaft offenbar den richtigen Nerv getroffen. Schon beim 1:0-Auftaktsieg gegen den FC Augsburg überzeugte der HSV als kämpfendes Kollektiv. Und auch in Köln war es die mannschaftliche Geschlossenheit, die Gisdols Team auszeichnete und zum Sieg führte. André Hahn, der mit seinem Tor zum 1:0 seiner Mannschaft den Weg ebnete, sprach von einem Schlüsselmoment. „Viele haben uns nach Osnabrück schon abgeschrieben. Aber wir sind als Team ganz eng zusammengerückt.“ Torhüter Christian Mathenia bestätigte Hahn: „Wir haben uns nach dem Aus im Pokal als Mannschaft zusammengesetzt und gesagt, dass es so nicht gehen kann. Ich bin unglaublich stolz, wie wir jetzt aufgetreten sind“, sagte Mathenia. Sportchef Jens Todt hatte schon nach der Osnabrück-Pleite von einer „intakten Mannschaft“ gesprochen und sieht sich nun bestätigt. „Es wächst etwas Gutes zusammen“, sagte Todt am Sonntag dem Abendblatt. Das Pokalaus und die Aussagen von Kühne hätten etwas ausgelöst. „Es hat richtig gerauscht. Die Mannschaft hat einiges zusammen erlebt. Sie will unbedingt eine bessere Saison erleben“, sagt Todt.

Auswirkungen hatten die Kühne-Aussagen allerdings nicht nur auf die sportliche Leistung, sondern auch auf die Leitung des HSV. Weil der Investor im Interview bei Sky ausgeplaudert hatte, dass er den Transfer von André Hahn nur finanziert, wenn der HSV gleichzeitig den Vertrag von Bobby Wood verlängert (beide Spieler sind Klienten vom Berater und Kühne-Vertrauten Volker Struth), bekam der HSV Post von der DFL. Wegen eines möglichen Interessenkonflikts muss der Vorstand bis Dienstag eine Stellungnahme abgeben. Bruchhagen ist gelassen: „Wir werden uns damit beschäftigen und dann völlig unaufgeregt darauf antworten. Hier ist keine Gefahr in Verzug.“

André Hahn, der in seinem zweiten Spiel für den HSV sein erstes Tor erzielt hatte, wollte sich am Wochenende mit diesem Thema nicht beschäftigen und stattdessen lieber die sportliche Momentaufnahme genießen. „Wenn man die Euphorie in der Stadt spürt und die Fans hinter sich hat, dann fällt alles leichter. Dann macht es Spaß, Fußball zu spielen.“ Trainer Gisdol war dagegen bereits nach dem Schlusspfiff von Köln bemüht, die einsetzende Euphorie zu bremsen. „Ich werde einen Teufel tun und nach zwei Spieltagen eine Gesamtsituation einordnen“, sagte der Chefcoach. „Es ist gut, dass jetzt Pause ist, sonst schwappt das schon über.“ In jedem Fall hat es Gisdol geschafft, seine Mannschaft nach der holprigen Vorbereitung und den Nebengeräuschen rechtzeitig zum Saisonstart zu der Einheit zu formen, mit der das Team bereits in der Rückrunde zum Erfolg kam.

Manager Todt ist überzeugt, dass der Auftakt mit sechs Punkten den Grundstein für eine ruhige Saison legen kann. „Dieser Start kann uns Stärke geben“, sagte der 47-Jährige. Für ein entspanntes Wochenende hat er beim HSV in jedem Fall gesorgt. „Natürlich macht es nach so einem Spiel mehr Spaß, am Sonnabend Fußball zu gucken“, so Todt.

Inwieweit der HSV einen neuen Geist im Team und im Club entwickeln kann, wird sich in elf Tagen zeigen. Dann kommt nach der Länderspielpause Vizemeister RB Leipzig nach Hamburg. Wieder Freitagabend. Wieder wird der HSV die Chance haben, als Tabellenführer in den Spieltag zu starten.

Und natürlich wird dann auch „Sexmachine“ Mirco Petereit wieder mit dabei sein. Seine Euphorie ist jetzt schon ungebrochen. „Die Geschichte wird sich wiederholen“, sagt der HSV-Fan. „Um 20.31 Uhr wird der HSV in der Blitztabelle wieder Spitzenreiter sein. Eine schönere Vorfreude gibt es nicht.“