Hamburg. Der FC St. Pauli verliert im Zuge der spielerischen Weiterentwicklung seine Kernkompetenz in der Defensive

Auch am Tag nach dem ernüchternden 0:3 beim Bundesliga-Absteiger Darmstadt 98 hatte Olaf Janßen zwiespältige Gefühle. „Ich empfinde es immer noch als ein relativ komisches Spiel“, sagte der Trainer des FC St. Pauli, der zugab, dass seine Nacht „ganz kurz“ war. Er hatte sich im Hotel noch intensiv mit der ersten Zweitliga-Niederlage seiner noch jungen Amtszeit als St. Paulis Chefcoach befasst, ehe er mit dem Team am Sonnabendvormittag zurück nach Hamburg flog.

Warum nicht nur Janßen, sondern auch viele andere Beteiligte und Beo­bachter das Spiel für „komisch“ hielten, lag an dem allgemeinen Eindruck, dass St. Pauli nicht etwa 90 Minuten lang an die Wand gespielt wurde, sondern über weite Strecken recht gefällig den Ball laufen lassen konnte. Ein statistischer Wert untermauerte diese Einschätzung denn auch. St. Pauli hatte über die gesamte Spielzeit gesehen 63 Prozent Ballbesitz – eine überragende Zahl, insbesondere in einem Auswärtsspiel.

Doch das allein ist eben noch kein Erfolgsgarant, wie auch Trainer Janßen weiß. „Grundsätzlich ist es ja gut, wenn wir so lange den Ball haben. Dann kann der Gegner in dieser Zeit kein Tor erzielen. Das Entscheidende aber ist, was wir mit dem Ball anfangen. Zu spielen, nur um zu spielen – dann wird es schwer, Punkte zu holen. Wir haben viel gespielt, viel probiert, aber am Ende ist zu wenig herausgekommen“, sagte er am Sonnabend. „Wir brauchen deutlich mehr Flanken und Durchschlagskraft von außen, als es jetzt der Fall war.“

Damit sprach Janßen ein großes Manko im Spiel seines Teams an, das auch schon beim 1:2 im DFB-Pokalspiel beim SC Paderborn am vergangenen Montag deutlich geworden war. Den St. Paulianern gelingt es durch ihr in den vergangenen Monaten zweifellos verbessertes Kombinationsspiel noch nicht ausreichend, die Spieler auf den Außenbahnen so frei zu spielen, dass sie von dort den Ball in den Strafraum schlagen können. Und selbst wenn Akteure wie die Außenverteidiger Jeremy Dudziak, Daniel Buballa oder Jan-Philipp Kalla sowie Waldemar Sobota und Mats Möller Daehli die Gelegenheit bekommen, fehlt es ihren Flanken zu oft an der nötigen Schärfe und Präzision, um die gegnerische Defensive wirklich in Verlegenheit zu bringen.

In Darmstadt konnte Schlussmann Daniel Heuer Fernandez etliche Male derartige Bälle locker aus der Luft pflücken. „Wir müssen ehrlich zu uns sein. Die Qualität der Flanken war nicht gut. Das reicht nicht aus, um Gefahr auszuüben. Wozu der ganze Aufwand, wenn das dann so verpufft“, sagte Janßen.

Sieben Gegentore in den jüngsten drei Pflichtspielen

In diesem Punkt erhielten die Hamburger von Darmstadt auch noch einen kostenlosen und dennoch recht teuren Anschauungsunterricht, denn sowohl das erste als auch das dritte Tor entsprangen gefährlichen Flanken von der rechten Seite. St. Paulis Trainer ist immerhin optimistisch, dass er die Flankenschwäche seines Teams recht kurzfristig lindern kann. „Es gibt einige Möglichkeiten, das relativ schnell hinzukriegen. Das haben wir auch schon mit der Mannschaft besprochen“, sagte Janßen.

Insgesamt muss sich St. Pauli mit der Problematik auseinandersetzen, dass das Team im Zuge seiner spielerischen Weiterentwicklung ganz offensichtlich bisherige Qualitäten eingebüßt hat. Dies gilt vor allem für die Stabilität in der Defensive, die in der vergangenen Zweitliga-Rückrunde die Kernkompetenz und Garant für den Klassenverbleib war. Mit nur elf Gegentoren war das Millerntorteam in jenen 17 Spielen sogar die beste Mannschaft der gesamten Liga. Jetzt setzte es allein in den jüngsten beiden Zweitligapartien und im Pokalspiel in Paderborn zusammen sieben Gegentore. „Wenn wir Fehler machen, kommt es darauf an, dass wir eine gute Restverteidigung haben. Beim 0:1 in Darmstadt haben wir unser Tor nicht so verteidigt, wie es seriös zu machen ist“, analysierte Janßen.

Dabei schiebt der St.-Pauli-Trainer der Annahme einen Riegel vor, die Defensivmängel beim 0:3 in Darmstadt seien allein mit dem verletzungsbedingten Fehlen von Abwehrchef Lasse Sobiech zu erklären. „Wenn ich das Spiel analysiere, hat das Ergebnis wenig damit zu tun, dass Lasse nicht dabei war. Natürlich ist er ein sehr wichtiger Führungsspieler auf und neben dem Platz. Aber wir haben auch Spieler im Kader, die den Anspruch haben, ihn ersetzen zu können“, sagte Janßen.

Sobiech könnte auch gegen Heidenheim ausfallen

Dies wird mit einiger Wahrscheinlichkeit auch am kommenden Sonnabend noch notwendig sein. Die Kopfverletzung, die sich Sobiech im Pokalspiel in Paderborn zugezogen hatte, ist längst nicht überwunden, auch wenn es neben der Platzwunde laut der Untersuchungen keine Gehirnerschütterung im klassischen Sinne war. „Im Moment kann er noch nicht wieder beschwerdefrei joggen. Wir müssen mit aller Vorsicht und Ruhe die Sache angehen“, stellte Olaf Janßen am Sonnabend klar, kurz nachdem er noch einmal mit Sobiech über dessen Befinden gesprochen hatte. „Er merkt, dass er noch nicht wieder auf dem Damm ist. Wir müssen uns fügen. Es ist keine Sache, bei der man sagen darf: Beiß mal auf die Zähne oder nimm eine Schmerztablette“, sagte Janßen. Und weiter: „Er wird tausendprozentig nicht spielen, wenn er sich noch nicht wieder wohlfühlt. Diese Verantwortung darf sich kein Trainer aufbürden und auch dem Spieler nicht auferlegen.“

Obwohl Neuzugang Sami Allagui in Darmstadt den Handelfmeter zum möglichen 1:2-Anschluss vergab, wird es Trainer Janßen weiterhin der Mannschaft überlassen, sich spontan für Strafstoßschützen zu entscheiden, und keinen im Vorwege bestimmen. „Derjenige, der sich gut fühlt, darf die Verantwortung übernehmen. Das hat Sami gemacht, aber der Schuss ist nach hinten losgegangen“, sagte Janßen.