Hamburg. Der Stürmer schießt den HSV zum Auftaktsieg gegen Augsburg, verletzt sich beim Jubel und fällt nun mit Kreuzbandriss sieben Monate aus

Kai Schiller

Es war am frühen Sonntagmorgen, als die Stimmung im Volkspark wieder den Nullpunkt erreichte. Zwei Dutzend gut gelaunter Fans hatten sich trotz Cyclassics und weitläufigen Absperrungen bei bestem Wetter am Trainingsplatz eingefunden, um den HSV-Profis am Tag nach dem 1:0 zum Bundesligaauftakt gegen den FC Augsburg beim Auslaufen zuzuschauen. Es war der erste Sieg zum Start in eine neue Saison seit sieben Jahren. Und doch konnte beim HSV plötzlich niemand mehr lachen. „Was für ein Schock: Nicolai Müller hat sich einen Riss des vorderen Kreuzbandes im rechten Knie zugezogen und fällt circa sieben Monate aus“, teilte der Club um 10.18 Uhr via Twitter und Facebook mit.

Auf die Minute eine Stunde später, um 11.18 Uhr, humpelte eben jener Müller mit hängendem Kopf aus dem Stadion zu seinem Auto. Dunkelblaue Trainingshose, graues Shirt, das grau-blaue Cap tief ins Gesicht gezogen. Der geknickte Stürmer bedankte sich für die Genesungswünsche, ließ sich dann von seiner Frau Jessica nach Hause fahren.

20 Stunden zuvor hatte der Pechvogel des ersten Spieltags noch dafür gesorgt, dass sich das Stimmungsbarometer beim HSV nach einer turbulenten Woche für einen Moment um 180 Grad drehte. Nach einer starken Anfangsphase der Hamburger hatte Müller eine Flanke von Walace per Direktabnahme zum frühen 1:0 über die Linie gedrückt (9.). Doch auf den Freudensturm folgte die Schockstarre. Müller hob zum Hubschrauber-Jubel ab, drehte sich zweimal um die eigene Achse und verdrehte sich bei der Landung das Knie. Als der Torschütze vor Schmerzen schreiend in die Eckfahne stürzte, ahnten seine Mitspieler noch nicht, was passiert war.

Nach der Untersuchung im UKE bestätigten sich die schlimmsten Befürchtungen: Kreuzbandriss. Das Fußballjahr ist für Müller beendet. In dieser Woche wird er operiert – und zwar ausgerechnet in Augsburg. „Die Diagnose ist ein schwerer Schlag und natürlich extrem bitter für Nicolai“, sagte Sportchef Jens Todt, der nun gemeinsam mit Trainer Markus Gisdol überlegen muss, ob er bis zum Ende der Transferperiode am 31. August noch einmal nach einem Ersatz sucht. „Wir werden keinen Schnellschuss machen. Aber wir müssen genau überlegen, ob wir den Markt noch einmal prüfen“, sagte Trainer Gisdol.

Müller hatte mit seiner Vertragssituation in diesem Sommer die Schlagzeilen und die Stimmung hinter den Kulissen des HSV bestimmt. Der VfL Wolfsburg wollte den Topscorer der vergangenen beiden HSV-Jahre verpflichten, der HSV dagegen den 2018 auslaufenden Vertrag mit Müller vorzeitig verlängern. Am Ende scheiterten die Vertragsgespräche, weil sich beide Clubs nicht über die Gehaltserhöhung einigen konnten. Müllers Berater Björn Bezemer wollte ein Jahresgehalt von drei Millionen Euro heraushandeln.

Nach Abendblatt-Informationen lag zwischen dem HSV-Angebot und der Müller-Gesamtforderung eine Differenz von rund 600.000 Euro. Beide Seiten brachen die Gespräche ab. Ein Vorgang, der wiederum Investor Klaus-Michael Kühne erzürnte. „Ich habe dem Verein gesagt, macht den Sack zu und lasst es nicht zu einer Zitterpartie kommen. Aber da komme ich nicht an“, hatte Kühne bei Sky gesagt und die sportlichen Verantwortlichen des Clubs kritisiert. In Richtung von Sportchef Todt sagte Kühne: „Da wird zu wenig Druck gemacht, zu wenig Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt“ (siehe Seite 22).

Zwischen Himmel und Hölle bewegte sich nun der HSV zum Saisonstart. Nach dem blamablen Pokalaus in Osnabrück hatte Trainer Gisdol seine Ankündigungen umgesetzt und die Mannschaft auf mehreren Positionen umgebaut. Linksverteidiger Douglas Santos, der vor einem Wechsel zum PSV Eindhoven steht, landete auf der Tribüne. Kapitän Gotoku Sakai musste auf die Bank, Mergim Mavraj fiel mit Nackenproblemen aus. Dafür durfte der 18 Jahre alte Neuzugang Rick van Drongelen von Beginn an ran (siehe unten). Zudem kehrten Dennis Diekmeier und die wiedergenesenen Albin Ekdal und Filip Kostic zurück in die Startelf.

Der HSV schaffte es, mit aggressiver Spielweise die 49.449 Zuschauer früh auf seine Seite zu bringen. Doch nach dem Müller-Aus war der Schock im Stadion zu spüren. Und auch im Spiel des HSV war zu spüren, wie sehr der Ausfall des schnellen Stürmers schmerzt. Die Hamburger zogen sich zurück, kamen kaum zu Entlastungsangriffen und retteten die Führung nur mit ganz viel Mühe über die Zeit.

Augsburg lag in allen Statistiken vorne. Mehr Spielanteile, mehr Torabschlüsse, mehr gewonnene Zweikämpfe. Zudem hatte der HSV Glück, dass Schiedsrichter Daniel Siebert nach einem Zweikampf zwischen Gideon Jung und Augsburgs Alfred Finnbogason nicht auf Strafstoß entschied (44.) – auch weil der viel diskutierte Videobeweis nicht zur Verfügung stand. Der Ausfall soll kurzfristig behoben werden, der Ausfall Müllers wird den HSV dagegen langfristig beschäftigen.

Wie schwer sich die Hamburger ohne ihren Topscorer der vergangenen Saison tun, zeigte sich in der Rückrunde der vergangenen Saison. Als Müller sich Anfang April gegen Köln das Innenband im linken Knie riss, begann der Abwärtstrend des HSV. In sieben Spielen ohne Müller holten die Hamburger nur noch fünf Punkte. Rechtzeitig zur Rettung gegen Wolfsburg war der 29-Jährige wieder da. Nun wird er erneut für lange Zeit fehlen. Wie der Club den Ausfall kompensieren will? Vermutlich muss er in den kommenden Tagen mal bei Klaus-Michael Kühne nachfragen ...