Hamburg. Der Italiener Elia Viviani gewinnt die 22. Auflage der Cyclassics. André Greipel als Fünfter bester Deutscher. Lokalmatador Nikias Arndt stürzt

Es gibt da dieses Sprichwort, das viele Menschen nie verstanden haben. „Wer sein Rad liebt, der schiebt“, heißt es, und dass es nicht stimmt, bewies am Sonntagnachmittag Elia Viviani. Wer vermutet hätte, dass der Sieger der EuroEyes Cyclassics nach 220,9 Kilometern im Sattel genug haben würde von seiner Rennmaschine, den belehrte der 28 Jahre alte Italiener eines Besseren. Von der Siegerehrung auf der Bühne an der Mönckebergstraße rollte Viviani durch die klatschende Menge, fuhr die Gertrudenstraße hinunter bis zum Pressezentrum in der Macromedia-Hochschule, stieg nur deshalb kurz ab, um samt Sportgerät mit dem Fahrstuhl ins vierte Stockwerk zu gelangen, wo er sich erneut in den Sattel schwang, um durch die langen Korridore bis vors Podium zu fahren.

Dort saß der Mann, der im vergangenen Jahr bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro als Bahnspezialist noch die Goldmedaille im Omnium gewonnen hatte, dann feixend am Mikrofon und erklärte in für einen Italiener erstaunlich akzentfreiem Englisch, warum dieser Sieg in Hamburg ein besonderer für ihn gewesen sei. „Es ist mein erster Sieg bei einem Klassiker. Als ich nach Rio beschloss, mich auf die Straße zu konzentrieren, waren es diese Rennen, die ich mir zu gewinnen erträumt habe“, sagte er. Viviani, der nach der Saison vom Team Sky zu Quick Step wechselt, ist der siebte Italiener, der beim zum 22. Mal ausgetragenen World-Tour-Event des Weltverbands UCI in Hamburg siegte – und der Erste seit 2007, als Alessandro Ballan triumphierte.

Nach einem teilweise unruhigen Rennen, in dem über fast die gesamte Distanz hinweg kleine Ausreißergruppen ihr Glück versucht hatten, war das Feld, in dem 21 Teams mit 167 Fahrern aus 30 Nationen angetreten waren, 5,3 Kilometer vor dem Ziel wieder komplett zusammengerückt. Die Stunde der Sprinter würde schlagen, das war klar. Und obwohl aus dem hochklassig besetzten Feld, das mindestens Tour-de-France-Niveau aufwies, die Spezialisten wie die Norweger Edvald Boasson Hagen (Team Dimension Data), Alexander Kristoff (Katjuscha-Alpecin), Nacer Bouhanni (Frankreich/Cofidis) oder der Rostocker André Greipel (Lotto-Soudal) allesamt in Position waren, machte Team Sky das Rennen. Rund 300 Meter vor dem Ziel sah Viviani die Lücke, die ihm sein Teamkollege Danny van Poppel (Niederlande) vorbereitet hatte – und zog auf der Innenbahn einen 200-Meter-Solosprint an. „Das war eine lange Distanz, aber ich wollte nicht zu lang warten, weil ich wusste, dass die Konkurrenz groß war“, sagte der Sieger, der sich mit einer Sekunde Vorsprung auf 18 zeitgleiche Fahrer durchsetzte, von denen am Ende der französische Meister Arnaud Démare und Dylan Groenewegen (Niederlande) mit auf dem Podium stehen durften.

Dass sich die Hoffnungen auf einen fünften deutschen Sieger nach Jan Ullrich (1997), Erik Zabel (2001), John Degenkolb (2013) und dem diesmal fünftplatzierten Greipel (2015) nicht erfüllten, lag auch daran, dass Topsprinter Marcel Kittel (Arnstadt) nach seinem verletzungsbedingten Tour-Ausstieg nicht in Siegform war. „Mir fehlten einfach ein paar Körner, ich fühle mich gerade ziemlich fertig. Die Tour hat eben doch Substanz gekostet“, sagte der 29-Jährige, der in Frankreich fünf Etappen gewonnen hatte, in Hamburg jedoch abgeschlagen ohne Wertung ins Ziel kam.

Auch Lokalmatador Nikias Arndt aus Buchholz in der Nordheide konnte mit seinem Abschneiden nicht zufrieden sein. Der 25-Jährige, der von seinem Sunweb-Team als Kapitän aufgeboten worden war, stürzte rund 20 Kilometer vor dem Ziel auf der letzten Passage des Wasebergs und landete am Ende mit mehr als vier Minuten Rückstand auf Rang 128. „Das war extrem ärgerlich, da ich mich sehr gut gefühlt habe und das Rennen bis dahin super lief. Aber ich konnte leider nicht mehr ausweichen. So ist der Sport“, sagte Arndt, der noch in der Nacht in seine Wahlheimat Köln zurückfuhr.

Zwickauer Nicolas Heinrich gewinnt die Youngclassics

Die Zukunft des deutschen Radsports war in den nach einem Jahr Pause wieder aufgelegten Youngclassics zu beobachten gewesen. Die Gesamtwertung des Vier-Etappen-Rennens, das am Sonntag auf der Mönckebergstraße endete, gewann Nicolas Heinrich (15) vom ESV Lok Zwickau. Der Zehntklässler vom Sportgymnasium Chemnitz musste am heutigen Montagmorgen wieder in die Schule, Mathe stand für die erste Stunde auf dem Plan. „Trotzdem werden wir noch etwas feiern. Es ist unbeschreiblich, dieses Rennen vor so einer Kulisse zu gewinnen“, sagte der Nachwuchsmann, „ich bin darüber sehr glücklich.“

Besonders glücklich war Geschäftsführer Oliver Schiek vom Veranstalter Ironman darüber, dass die angekündigten Gewitter ausgeblieben waren und alle Rennen ohne erwähnenswerte Unfälle durchgeführt werden konnten. „Polizei und Sicherheitsdienste haben keine Zwischenfälle gemeldet, und 50 Rettungswageneinsätze sind eine normale Zahl“, sagte Schiek, der im Zielbereich persönlich nach einem Sturz einen Verletzten hinter die Bande trug. Dass die Zahl der rund 15.000 Jedermann-Starter steigerungsfähig ist, erklärte der Veranstalter mit dem Termin in den Sommerferien und der gewachsenen Konkurrenz durch den Ironman-Triathlon vom vorvergangenen Sonntag. „Der hat uns bestimmt 700 Starter gekostet“, sagte Schiek.

Für die 23. Auflage, die für den 19. August 2018 geplant ist, wolle man die Streckenführung verändern und die zuletzt überstrapazierten Niedersachsen mittels einer Route durch Schleswig-Holstein entlasten. Auch neue Formate wie ein E-Bike-Rennen oder eine kurze Familienstrecke seien denkbar. Titelsponsor EuroEyes muss innerhalb der kommenden vier Wochen entscheiden, ob er den ausgelaufenen Vertrag per Option um zwei Jahre verlängert. „Die Zeichen stehen gut, aber wir werden das in Ruhe analysieren“, sagte Juniorchef Jannik Jörgensen.