Rostock. Ohnmacht nach Fankrawallen in Rostock – Angst vor einer Gewaltspirale im deutschen Fußball wächst

Im zugigen Ostseestadion war der beißende Rauch der offenen Feuer, Böller und Raketen längst verzogen, da stand den Club-Verantwortlichen die Fassungslosigkeit noch immer ins Gesicht geschrieben. Bei Hansa Rostocks Vorstandsvorsitzendem Robert Marien entlud sich der Frust mit harten Worten: „20 bis 50 absoluten Vollidioten ist es offenbar wichtiger, das eigene Wohnzimmer abzufackeln, anstatt die Mannschaft zu unterstützen. Das zeigt, wie geistig minderbemittelt einige sind“, sagte Marien nach dem schweren Ausschreitungen im Pokalspiel gegen Hertha (0:2). Auch auf die Gästefans schimpfte der Hansa-Boss: „Auch da gibt es 20 bis 50 Vollchaoten, die nur von der Tapete bis zur Wand denken können.“

Glühend heiße Leuchtkugeln, die aus der Gästekurve wahlweise auf dem Spielfeld oder im gegnerischen Block landeten. Böller, die teils knapp über Ordnern explodierten, dazu Sitzschalen, Banner und Schals, in Brand gesetzt von Hansa-Hooligans. Das Ausmaß der Randale schockierte. Der Kontrollausschuss des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) eröffnete ein Ermittlungsverfahren, das mindestens zu saftigen Geldstrafen führen wird. In einem Offenen Brief hatte Hansa zuvor zur Besonnenheit und einem fairen Verhalten aufgerufen. Vergeblich.

Das Duell zwischen Rostock und Hertha, deren Fans eine lange Feindschaft verbindet, war im Vorfeld als Hochrisikospiel eingestuft worden. 1700 Polizisten und 300 Ordnern kamen zum Einsatz. Die Beamten sollten als Puffer Schlimmeres verhindern. Dies gelang nur zum Teil. Eine häufig gestellte Frage war deshalb, warum die Polizei so zurückhaltend auftrat.

Wie eine Polizeisprecherin am Dienstag erklärte, haben die Beamten versucht, durch einen Tribünenzugang in den Block zu gelangen. Die Tür sei jedoch mit einem Schloss von innen verriegelt worden. Später sei die Tür gewaltsam geöffnet worden. Durch die Sitzreihen hätten die Beamten nicht vorgehen können, so die Sprecherin. „Ein Eingriff auf einer vollen Tribüne, auf der auch Unbeteiligte sind, ist immer das letzte Mittel.“

Hertha-Manager Michael Preetz machte in seiner Bewertung des Abends die Hilflosigkeit der Vereine deutlich: „Den müssen sie mir zeigen, der da auf die Fans einwirken kann. Das ist unmöglich.“ Die Gewerkschaft der Polizei forderte Stadionverbote für Fußball-Straftäter. „Für martialische Machtproben mit der Polizei oder Vereinen ist in den Stadien kein Platz“, erklärte der stellvertretende Bundesvorsitzende Dietmar Schilff. „Teile sogenannter Ultras sind nicht kompromissbereit.“ Eine Meinung, die HSV-Chef Heribert Bruchhagen nicht teilen wollte: „Die Umsetzung von Stadionverboten gestaltet sich schwierig, sie werden oft juristisch angefochten. Es ist trotz Videoaufnahmen juristisch schwierig, Beweise zu finden. Ich glaube auch nicht an rigide Strafen.“

Nicht nur das brisante Duell zwischen Rostock und Hertha sondern diverse teilweise gewalttätige Vorfälle in den vergangenen Wochen lassen nichts Gutes für den Bundesliga-Start erahnen. Mehrmals tauchten Plakate mit der Aufschrift „Krieg dem DFB“ an diversen Stadionzäunen auf, die sich gegen die fortschreitende Kommerzialisierung des Profifußball richten sollen. Unter anderem am Freitagabend an der Essener Hafenstraße auf der Tribünenseite von Borussia Mönchengladbach.

Beim Schalker 2:0 am Montagabend beim BFC Dynamo wurden 91 Berliner weit vor Spielbeginn festgesetzt. Die Polizei nannte hier „Gefahrenabwehr“ als Grund. In Österreich wurden drei Trainingslager-Tests deutscher Vereine abgesagt, weil die Behörden vor Ort Ausschreitungen befürchteten. Auch die Partie zwischen Düsseldorf und St. Pauli war betroffen.

Anhänger von Hannover 96 sorgten vor Kurzem im Testspiel beim Premier-League-Team FC Burnley für einen Spielabbruch. Herausgerissene Sitzschalen wurden in Richtung der Burnley-Fans geworfen. Bei den Niedersachsen ist die Beziehung zwischen Verein und Anhängern extrem angespannt. Die aktive Fanszene hat fast einstimmig einen Stimmungsboykott beschlossen als Reaktion auf die Pläne von Clubchef Martin Kind, die Anteilsmehrheit an der Profigesellschaft zu übernehmen.

HSV zahlte 258.000 Euro wegen zündelnder Fans

Auch der HSV blieb zuletzt von der Pyroproblematik nicht verschont. In den vergangenen drei Spielzeiten musste der HSV 258.000 Euro wegen seiner zündelnden Fans zahlen. Bruchhagen glaubt, dass die Vereine mit der Problematik überfordert seien: „Wir können diese Probleme nur konzertiert mit der Deutschen Fußball Liga lösen.“ Man wolle und dürfe keine Pyrotechnik zulassen, die zum Symbol geworden sei.

In vielen Gesprächen mit Fan-Gruppierungen habe der ehemalige DFL-Geschäftsführer die Ursachen für die Aggressionen ergründen wollen: „Ich müsste Soziologie studiert haben, um eine Antwort geben zu können. Ihre Liebe zum Verein ist eine Liebe zum Wir-Gefühl. Früher seien oppositionelle Jugendbewegungen aus der Musik entstanden, heute zum großen Teil aus dem Fußball. „Wenn man dann meint, der Kommerz sei der Feind des Fußballs, dann werden klassische Bilder gezeichnet und die prallen aufeinander“, so der 68-Jährige.

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