Wolfsburg. Bundesliga-Serie Cheftrainer Andries Jonker hat den VfL Wolfsburg verjüngt. Das mittelfristige Ziel ist Europa

Nach so mancher Trainingseinheit in der Vorbereitung zog Andries Jonker seine Laufschuhe an und rannte los, um sich den Kopf freizulaufen: zehn Minuten Vollgas und dann wieder weitertüfteln an den taktischen Feinheiten. Mit 54 Jahren ist er hinter Bayerns Carlo Ancelotti der zweitälteste Trainer der Bundesliga. Doch die Zeit war dem drahtigen und stets leicht gebräunten Trainer des VfL Wolfsburg wohlgesonnen. Dem Niederländer sieht man sein Alter nicht an.

Nach dem glücklichen Ausgang der Relegation gegen den Nachbarn aus Braunschweig saß Jonker mit Sportdirektor Olaf Rebbe und dem mächtigen VW-Manager sowie VfL-Aufsichtsratsboss Javier Francisco Garcia Sanz zusammen, um den Neustart zu planen. Das Trio verschrieb dem Team, dem allzu oft Einstellungsprobleme anzumerken waren, eine brutale und teure Frischzellenkur: Mit Diego Benaglio, Luiz Gustavo und Ricardo Rodriguez gingen Spieler aus der Mitte der Mannschaft, die zuletzt nicht mehr beweisen durften (Benaglio) oder konnten (Gustavo, Rodriguez), dass sie die üppigen Gehaltsschecks wert waren. Dafür holte Wolfsburg neue Spieler im Gesamtwert von mehr als 50 Millionen Euro – nur der FC Bayern investierte mehr (100 Millionen Euro).

Der teuerste von ihnen war John Anthony Brooks, der für 17 Millionen Euro Ablöse von Hertha BSC kam. Der 24-Jährige sowie Felix Uduokhai (19), Landry Dimata (19), Marvin Stefaniak (22), der Brasilianer William (22), Kaylen Hinds (19) und Gian-Luca Itter (18) machen den VfL zum zweitjüngsten Team der Liga. Nur Aufsteiger VfB Stuttgart stellt eine noch jüngere Auswahl. Aus dem Muster fällt nur der Transfer des 27 Jahre alten Spaniers Ignacio Camacho. Der zentrale Mittelfeldspieler aus Malaga soll die Mannschaft anführen. Bei seinen ersten Auftritten stellte er das unter Beweis.

Jonker will seinem Ruf als Entwicklungsspezialist gerecht werden. Er arbeitete beim FC Bayern als Co-Trainer von Louis van Gaal mit den Nachwuchsstars Thomas Müller und David Alaba zusammen, beobachtete in gleicher Funktion und wieder an der Seite van Gaals in Barcelona die ersten Schritte von Lionel Messi oder Cesc Fabregas. Und als Akademieleiter des FC Arsenal bereitete er die größten Talente des Landes auf ihre Karrieren vor. Nur: Jonker war bei seinen großen Stationen immer nur „Assistent von“. Mit seinem Trainerfreund van Gaal teilt er zudem die diskutable Vorliebe fürs Maximum an Kontrolle.

Jetzt hat der Niederländer seine erste Vorbereitung als Chef in einer Topliga hinter sich gebracht. Jonker will das an vielen Stellen noch namhaft besetzte Team gepflegten Fußball spielen lassen. Doch besonders auf den offensiven Flügeln wirkt der Kader qualitativ noch zu dünn besetzt. Die erste Partie gegen Dortmund wird sofort eine richtungweisende. Doch eine Hierarchie im Team muss sich erst entwickeln. Aufsichtsratsboss Garcia Sanz hat einen einstelligen Tabellenplatz als Saisonziel ausgegeben. Trotz einer Investitionskürzung von 90 auf 70 Millionen Euro (unter den Top sechs der Bundesliga-Finanztabelle) ist das Ziel klar, der VfL muss wieder in die Europa League. Jonkers neue Rolle dabei: vom Retter zum Reformer.

Prognose: Der VfL wird Zeit brauchen, um sich zu finden. Ob Europa realistisch ist, hängt davon ab, wie lange der Veränderungsprozess dauert.