Hamburg. Beim Turnier am Rothenbaum bestritt Haas bei der Pleite gegen Kicker sein letztes Einzelmatch auf deutschem Boden.

Die Armbanduhr, die ihm Turnierdirektor Michael Stich als Zeichen der Anerkennung für eine große Karriere überreichte, hätte Tommy Haas für eins nicht gebraucht: um zu erkennen, dass seine Zeit im professionellen Herren­tennis so gut wie abgelaufen ist. 86 Minuten dauerte an einem Dienstagnachmittag, der für den Altmeister so trist war wie das Wetter, das den Spielbetrieb auf den Nebenplätzen stark einschränkte, sein letztes Einzelmatch auf deutschem Boden. Mit 5:7, 2:6 unterlag der 39-Jährige in seinem Auftaktspiel am Rothenbaum dem Argentinier Nicolas Kicker, und es war eine Niederlage, die deutlich machte, dass auch ein Ausnahmekönner wie Haas seine physischen Grenzen nicht dauerhaft verschieben kann.

„In erster Linie war es immer mein Ziel, mich hier noch einmal als aktiver Spieler verabschieden zu können. Deshalb bin ich stolz und zufrieden, auch wenn ich als ehrgeiziger Tennisprofi natürlich enttäuscht von meiner Leistung bin“, sagte der Weltranglisten-249., der in seiner Geburtsstadt von den 4000 Fans auf dem Centre-Court nach Spielschluss noch einmal gefeiert wurde. Während der Partie war die Atmosphäre indes seltsam gedrückt gewesen, so, als hätte sich das fachkundige Publikum früh damit abgefunden, an diesem Tag all seinen Elan in den Schlussapplaus legen zu müssen.

Selbst Gegner Kicker ist bewegt

Er wolle seine Karriere beenden, bevor er gegen Spieler verlieren würde, gegen die er nicht verlieren wolle, hatte Haas in seinem Abendblatt-Abschiedsinterview gesagt. An diesem Punkt war er allerdings am Dienstag angekommen. Natürlich ist Kicker ein veritabler Sandplatzspieler, der, mehrere Meter hinter der Grundlinie wartend, jeden Ball zurückbringt und über ein gutes Repertoire an Grundschlägen verfügt. Aber ein Tommy Haas im Vollbesitz seiner Kräfte hätte sich von einem Spieler vom Schlage des Weltranglisten-96. selbst auf dem schweren, nassen Sand, den er noch nie mochte, nicht aufhalten lassen. Kicker selbst schien der Knock-out für den Publikumsliebling fast ein wenig unangenehm. „Ich habe ihn schon im Fernsehen spielen sehen, als ich sechs Jahre alt war. Er ist ein fantastischer Spieler“, sagte der 24-Jährige nach der Partie bewegt.

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© Witters

Nun war es natürlich nicht nur der Altersunterschied, der den Ausschlag gab. Haas’ Leistung, nach insgesamt neun Operationen und diversen Verletzungen an fast allen Körperregionen überhaupt die angekündigte Abschiedstour absolvieren zu können, kann kaum stark genug wertgeschätzt werden. Aber bei allem Bemühen, das er auch beim 1:5-Rückstand im zweiten Satz noch zeigte, war nicht zu übersehen, dass ihm Handlungsschnelligkeit und physische Frische abgehen, um auf dem langsamen Sand auf gehobenem Weltklasseniveau Matches zu gewinnen. „Wer die wichtigen Punkte nicht macht, hat den Sieg nicht verdient“, sagte er.

Haas noch einmal im Doppeleinsatz

Sein Abgang unter dem Applaus der Fans war zwar noch nicht der Schluss­akkord seines letzten Rothenbaum-Auftritts. An diesem Mittwoch wird er an der Seite von Youngster Daniel Altmaier (18) im Doppel aufschlagen. Emotional jedoch war das Legendenmatch gegen Stich am Sonntagabend der Höhepunkt, und bei einem Abendessen mit der Familie wollte er am Dienstagabend „all diese Erlebnisse verdauen“. Wann genau er endgültig von der Tennisbühne abtreten und sich in Vollzeit um seinen Job als Turnierdirektor in Indian Wells kümmern wird, hat der Wahl-Amerikaner noch nicht entschieden. Man wurde jedoch am Dienstag den Eindruck nicht los, dass er an dem Punkt angekommen ist, diesen Zeitpunkt herbeizusehnen.

„Ich hätte Tommy einen anderen Abschied gewünscht, aber man muss anerkennen, dass sein Gegner heute zu stark war. Ich danke ihm für 20 Jahre Leidenschaft und eine tolle Karriere“, sagte Stich, der am Nachmittag hohen Besuch begrüßen konnte. Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) besuchte das Turnier für eine Stunde, sah den Beginn des Haas-Matches und sprach dem Turnierdirektor seine Unterstützung aus. „Ich habe ihm gesagt, dass dieses traditionsreiche Turnier gut zu Hamburg passt“, sagte Scholz. Stich freute sich, „dass die Stadt sich klar zum Turnier bekennt.“

Von Molleker dürfte noch viel zu hören sein

Wichtig wären für den Verlauf der weiteren Turnierwoche – neben besserem Wetter – deutsche Erfolge. Einer, auf den das Publikum gehofft hatte, war am Dienstagmorgen knapp gescheitert. Rudi Molleker, 16 Jahre alte Nachwuchshoffnung aus Berlin, der in der Qualifikation 2014-Sieger Leonardo Mayer aus Argentinien bezwungen hatte, musste sich trotz einer erneut starken Leistung dem Russen Karen Khatschanow mit 4:6, 3:6 geschlagen geben. Der 21 Jahre alte Weltranglisten-32. wird ebenfalls noch der „neuen Generation“ zugerechnet. Die fünf Jahre Erfahrung, die er Molleker voraushat, gaben letztlich den Ausschlag.

Rudi Molleker (16) begeisterte die Fans mit mutigem Angriffstennis
Rudi Molleker (16) begeisterte die Fans mit mutigem Angriffstennis © dpa

Dennoch durfte der gebürtige Ukrainer, der bis dato noch nie ein ATP-Turnier bestritten hatte, aber vom Potenzial her mit Jungstar Alexander Zverev (20) verglichen wird, mit seinem erfrischend mutigen Auftritt zufrieden sein. Seine erstaunlich reifen Aussagen nach der Partie lassen jedenfalls erhoffen, dass er die nötige Bodenhaftung nicht verlieren wird. Ob er sich belohnen wolle für seine couragierten Auftritte, wurde er gefragt. „Belohnen sollte sich der, der das Turnier gewinnt“, antwortete er, „ich weiß, dass ich noch nicht ganz hierher gehöre, aber ich werde alles dafür geben, dass ich bald dauerhaft auf diesem Level spielen kann.“

Das Lob vom Turnierdirektor hatte Molleker sich verdient. „Ich bin mir sicher, dass ihm diese Erfahrung nutzt und wir in Zukunft viel von ihm hören werden“, sagte Stich. Zunächst jedoch sind Florian Mayer, Philipp Kohlschreiber, Jan-Lennard Struff und Cedrik-Marcel Stebe die Kandidaten, die gefragt sind, die Gegenwart zu prägen am Rothenbaum.