Längenfeld. In der Alpen-Idylle will der HSV den Grundstein für eine ruhige Saison legen. Doch der aktuelle Kader bereitet Sorgen

Die Wolken im Öztal hängen tief. Eine malerische Kulisse umgibt die Mannschaft des HSV in den ersten drei Trainingseinheiten im österreichischen Längenfeld. Es ist eine verdächtige Stille. Heftige Gewitter und schwere Regenschauer haben die Wetterexperten für die kommenden Tage angekündigt. Auf HSV-Greenkeeper Christoph Strachwitz und seine mitgereisten Kollegen wartet eine große Herausforderung. Nachdem der Club das Trainingslager wegen schlechter Platzverhältnisse in Leogang kurzfristig nach Längenfeld verlegen musste, könnte auch der Rasen in der Tiroler Gemeinde leiden. Trainer Markus Gisdol will daran aber nicht viele Gedanken verschwenden. „Die Organisation war sehr kurzfristig, dafür haben wir optimale Bedingungen. Wir nehmen es, wie es kommt.“

Gisdol will taktische Varianten einstudieren

Es ist ein Satz, den Gisdol im Laufe seines Ausblicks auf die nahe Zukunft noch ein weiteres Mal sagen wird. Drei Wochen vor dem Pflichtspielstart im DFB-Pokal beim VfL Osnabrück und vier Wochen vor dem Bundesligaauftakt gegen den FC Augsburg beginnt für den HSV-Trainer in Längenfeld die wichtigste Phase der Vorbereitung: Das Einstudieren der taktischen Varianten. „Wir wollen variabler und flexibler werden“, sagt Gisdol über die Schwerpunktarbeit in Österreich. Doch im Gegensatz zu den Bedingungen auf dem Trainingsgelände ist der Chefcoach mit den Bedingungen in seiner Trainingsgruppe alles andere als zufrieden. Während ihm nach wie vor zwei Abwehrspieler fehlen, herrscht in der Offensive weiter ein Überangebot. Keine einfache Situation für Gisdol, um im Training an den fußballerischen Lösungen zu arbeiten. Zumal mit Douglas Santos der nominell einzige Linksverteidiger im Team in den ersten Tagen aufgrund einer Kniereizung nur individuell trainiert. „Die Situation ist unverändert angespannt“, sagt Gisdol. Heftige Querelen und schwere Verstimmungen sind beim HSV im Vergleich zum Vorjahr zwar nicht in Sicht, doch Gisdol lässt durchblicken, dass seine Optimalvorstellungen einer Trainingsgruppe anders aussehen – und kommentiert diese Lage mit diesem einen Satz: „Wir müssen es nehmen, wie es kommt.“

Sportchef Todt wartet auf Beruhigung des Marktes

Doch im Moment ist beim HSV nichts im Kommen. Zumindest nicht im Bereich der gewünschten Neuzugänge. Sportchef Jens Todt, der die Wünsche des Trainers umsetzen muss, ist sich der angespannten Lage bewusst. „Unser Kader ist gut aufgestellt, aber die Innenverteidigung bleibt unsere größte Baustelle“, sagt Todt. Seine Erklärung für die stockenden Transfers: „In diesem Sommer ist der Markt auf dieser Position extrem schwierig. Die Preise schießen durch die Decke. Hinzu kommen unsere wirtschaftlichen Zwänge.“ Todt hofft, dass noch neue Spieler auf den Markt kommen, wenn sich in den anderen Clubs im Laufe der Vorbereitung die Kader sortieren.

Dass der HSV ohne die Hilfe von Investor Klaus-Michael Kühne auch in dieser Transferperiode über keine finanziellen Möglichkeiten verfügt, ist die Folge der verfehlten Personalpolitik. Kein anderer Bundesligist hat in den vergangenen Jahren ein derart ungleiches Einnahmen/Ausgaben-Verhältnis erwirtschaftet wie der HSV. Selbst der im Januar 2016 ablösefrei verpflichtete Nabil Bahoui wird für die Hamburger nun zu einem Minusgeschäft. Der HSV musste dem Schweden gerade eine Abfindung von 400.000 Euro zahlen, damit er bei Grasshopper Zürich einen neuen Vertrag unterschreibt. In Hamburg soll Bahoui rund eine Million Euro pro Jahr verdient haben – obwohl er fast ausschließlich auf der Tribüne saß. Beispiele wie diese demonstrieren, warum die Clubführung um Heribert Bruchhagen den Gehaltsetat der Profis senken will. Allein die Umsetzung erweist sich als kompliziertes Unterfangen.

Trotz der bekannten Vakanzen sind die sportlichen Verantwortlichen überzeugt, dass der HSV endlich mal wieder ein ruhigeres Jahr erlebt. „Wir wollen eine stabilere Saison spielen. Dafür haben wir gute Chancen. Wir gehen bescheiden, aber mit Selbstvertrauen in die Saison“, sagt Sportchef Todt.

Es ist die große Sehnsucht nach Ruhe und Stille, die den HSV in der Vorbereitung umtreibt. Markus Gisdol hatte bereits nach der nervenaufreibenden Vorsaison gesagt, sein großes Ziel für die neue Spielzeit sei es, weniger Hollywood beim HSV zu erleben. Der Trainer würde die Vorbereitung am liebsten komplett unter Ausschluss der Öffentlichkeit bestreiten, um mit seinem Team bestmöglich zu arbeiten. Nach dem Wechsel des Standorts für das Trainingslager verfolgen rund 80 Fans die täglichen zwei Einheiten in Längenfeld. Ausschließen will Gisdol die Anhänger aber nicht – schon gar nicht nach dem Ärger über die Stornierung des Quartiers in Leogang. „Wir wünschen uns Ruhe, suchen aber auch die Nähe zu unseren Fans.“

Mit der Ruhe könnte es schon an diesem Montag vorbei sein. Dunkle Wolken werden zu Wochenbeginn im Öztal aufziehen, schwere Regenfälle sind vorausgesagt. Den krisenerprobten Hamburgern sollte das Wetter aber keine größeren Probleme bereiten. Und Trainer Gisdol hat ohnehin seine eigene Herangehensweise. Er nimmt es, wie es kommt.