Hamburg. Andrasch Starke gehört zu den Publikumslieblingen auf der Horner Rennbahn – in der Jockeystube bekommt er seelische Unterstützung

Dieser Ort ist das Allerheiligste auf der Rennbahn, ein Refugium, in dem Fremde nur in absoluten Ausnahmefällen Zutritt haben. In der Jockeystube im Waagegebäude, die außerhalb des Derbymeetings als Kita fungiert, bereiten sich die Berufsrennreiter auf ihre Starts vor, erholen sich kurz, fachsimpeln oder verfolgen die Ritte der Konkurrenz auf den Monitoren. Kaffee, Wasser und ein Hefezopf stehen bereit. Die beiden ineinander übergehenden Räume, vor denen zwei uniformierte Ordner postiert sind, gelten als kleine Oase inmitten der Hektik auf dem Hippodrom. Die Amazonen haben einen abgetrennten Bereich.

Und wenn sich Starjockey Andrasch Starke heute kurz nach 20 Uhr vom Waagegebäude in den Führring begibt, ist der Service hinter den Kulissen vom Feinsten. Der weiße Reitdress mit den Schrägstreifen, die hellblaue Seidenkappe über dem Schutzhelm aus Kohlefaser, Brille und Satteldecke – alles liegt parat. So wie vor jedem Start. Quasi als Zugabe gibt’s von Betreuer Karl-Heinz Hoffmann seelische Streicheleinheiten. Jetzt muss Starke den sechsjährigen Wallach Forgino in der Hamburger Flieger-Trophy nur noch möglichst erfolgreich über die Runde bringen.

Mit mehr als 2370 Erfolgen ist Starke Rekordsieger

Wie immer wird der 43-jährige Berufsrennreiter das Gros des Publikums hinter sich haben. Weil es teilweise auf ihn gewettet hat und weil es den in Stade geborenen Sportler ob seiner gewinnenden Ritte und seines bodenständigen Naturells besonders schätzt. Von seinem dritten Lebensjahr bis zum Beginn seiner Lehre 1989 lebte der Lokalmatador in Hanstedt in der Nordheide. Die Eltern wohnen dort nach wie vor. Der „Heidjer Jung“ schnackt immer noch ein bisschen Platt.

Daheim im Rheinland versteht das keiner. Ehefrau Vanessa, ihrem Andrasch seit gut fünf Jahren angetraut, stammt aus Köln. Die Kinder Henning (5) und Greta (2) sind hier geboren. Längst ist Starke im Westen heimisch geworden – soweit das in seinem Beruf möglich ist. Praktisch jedes Wochenende und meist auch werktags ist der erfolgreichste Jockey Deutschlands auf Achse. In diesem Frühjahr war er mehrere Wochen auf Japans Kursen aktiv. Diese finanziell lukrativen Gastspiele gelten als große Ehre. Lediglich drei Lizenzen werden vergeben.

Dass Andrasch Starke zum vierten Mal ausgewählt wurde, ist alles andere als ein Wunder. Der Norddeutsche gewann in seiner Karriere siebenmal das Deutsche Derby und 2011 mit der Stute Danedream den Prix de l’Arc de Triomphe in Paris, Europas wichtigstes Turfereignis. Hierzulande holte er ein Championat nach dem anderen. Neuerdings ist Starke die Nummer eins in der Allzeit-Rangliste. Mit mehr als 2370 Siegen überholte er den bisherigen Rekordhalter Peter Alafi.

„Das Jockeyleben ist ein Knochenjob“, sagt Andrasch Starke. Auf den Kick jedoch, immer wieder von Neuem siegen zu können, möchte er nicht verzichten. Auch wenn der Preis für ein Leben im Sauseschritt und mit überwiegend Vollstress hoch ist. Gehirnerschütterungen, Rippen- und Kiefernfrakturen sind Stichworte eines Jobs am Limit – solange die Knochen halten.

Im Mai 2014 brach er sich mehrfach das Schlüsselbein und zog sich einen Lungenriss zu. Äußerlich sind ihm keine psychischen Narben anzumerken. Im Derby am vergangenen Sonntag sah er auf Enjoy Vijay schon wie der Sieger aus, bevor er auf den letzten Metern doch noch von Windstoß abgefangen wurde. Starke reagierte seiner Art entsprechend: gelassen, fair, professionell. So kennen ihn die Leute, so mögen sie ihn.

Jockeydiener Karl-Heinz Hoffmann kennt und schätzt er seit 25 Jahren. „Nicht nur in Hamburg ist er die gute Seele“, sagt Starke. „Er motiviert und baut einen auf.“ Schließlich versteht Profi Hoffmann die Bedürfnisse seiner Klientel aus eigener Erfahrung. Nach seiner Jugend in Landau in der Pfalz und der Lehre in Bremen ritt der gebürtige Stolberger (Harz) 18 Jahre selbst aktiv. Rund 500 Rennen hat er gewonnen. Vor etwa drei Jahrzehnten machte er sich mit seiner Ehefrau selbstständig.

Der Jockeyservice, den Hoffmann in Horn gemeinsam mit Mitarbeiterin Martina Jonen anbietet, ist umfassend. Um es auf den Punkt zu bringen, gehört alles dazu, was Rennreiter benötigen: saubere Berufskleidung, gewienertes Sattelzeug, Sicherheitswesten, geputzte Stiefel und so weiter. Vor 2.30 Uhr nachts ist selten Fofftein. In seinem Bus, mit dem Karl-Heinz Hoffmann von Hippodrom zu Hippodrom tourt, befinden sich drei Waschmaschinen. Die Jockeys zahlen gerne für diese Leistung.

In diesem Moment kommt Starke aus der Sauna nebenan zurück. Auf seiner Bank links in der Jockeystube ist alles vorbereitet. „Hals und Bein, Andrasch“, sagt Hoffmann. Auf der Rennbahn heißt das: Glück auf!