London. Der frühere Daviscup-Teamchef Patrik Kühnen setzt bei den Herren auf Alexander Zverev und Roger Federer

Patrik Kühnen (51), von 2003 bis 2012 Daviscup-Teamchef, Turnierdirektor in München und in Wimbledon als „Sky“-Experte aktiv, analysiert für das Abendblatt die Teilnehmerfelder.

Die deutschen Herren: Alexander Zverev ist fraglos derjenige, der das Potenzial hat, am weitesten zu kommen. Dennoch warne ich davor, ihn zu sehr hochzujubeln. Der Junge ist erst 20 Jahre alt und braucht Zeit. Besonders beeindruckt mich seine Einstellung, dass er auch gegen die besten Spieler der Welt mit dem festen Glauben an einen Sieg auf den Platz geht. Nur mit diesem Willen kann man sich in der Weltspitze behaupten! Ich glaube, dass er in Wimbledon erstmals die zweite Woche eines Grand-Slam-Turniers erreicht.

Sein Bruder Mischa (29) kann mit seinem offensiven Serve-and-Volley-Spiel auf Rasen jeden Gegner aus dem Rhythmus bringen. Vor dem, was Tommy Haas (39) auf seiner Abschiedstournee leistet, ziehe ich den Hut. Dass er in Stuttgart Roger Federer geschlagen hat, war vielleicht schon die Krönung. Wie weit es für ihn geht, hängt davon ab, wie der Körper mitspielt. Philipp Kohlschreiber (33) und Florian Mayer (33) darf man angesichts ihrer Erfahrung nie abschreiben, beide standen in Wimbledon schon im Viertelfinale.

Die deutschen Damen: Alle schauen darauf, ob Angelique Kerber (29) in Wimbledon, wo sie 2016 erst im Finale Serena Williams unterlag, in die Erfolgsspur zurückfindet. Ich glaube, dass sie das schaffen wird. Der schnelle Untergrund kommt ihrem Spiel entgegen. Wenn sie gut ins Turnier hineinkommt und es schafft, die Nummer-eins-Position, die sie noch immer hat, nicht als Belastung, sondern als Herausforderung anzusehen, wird die Leistungskurve wieder nach oben weisen.

Julia Görges (28), die in der Rasen-Vorbereitung auf Mallorca im Finale stand, und Sabine Lisicki (27), die 2013 in Wimbledon Endspiel-Erfahrung sammelte, halte ich für fähig, ein paar Runden zu überstehen. Interessant ist außerdem, ob Carina Witthöft (22), bei den French Open beste Deutsche, erstmals bei einem Grand Slam die zweite Woche erreicht.

Die internationalen Favoriten: Bei den Herren sind die Top fünf der Weltrangliste, also Andy Murray (Schottland), Rafael Nadal (Spanien), Stan Wawrinka (Schweiz), Novak Djokovic (Serbien) und Roger Federer (Schweiz), die Titelkandidaten. Mein Favorit ist Federer, der die Sandplatzsaison ausgelassen hat und deshalb ausgeruht in London antreten kann. Nadal ist alles zuzutrauen, Murray dagegen leidet unter seiner Hüftblessur, Djokovic ist nicht in Topform. Im Blickfeld sind für mich noch der Australier Nick Kyrgios und der Kanadier Milos Raonic, der immerhin 2016 im Finale stand.

Viel spannender ist es bei den Damen, wo Titelverteidigerin Serena Williams (USA) schwanger fehlt. Auf meiner Favoritenliste stehen die Tschechin Petra Kvitova, Caroline Wozniacki aus Dänemark und die laufstarke Rumänin Simona Halep. Auch Kristina Mladenovic aus Frankreich hat mir in diesem Jahr sehr gut gefallen. Besonders gespannt bin ich aber auf Jelena Ostapenko. Wenn die Lettin, die in Paris völlig überraschend ihren ersten Grand-Slam-Titel gewann, mit der neuen Erwartungshaltung zurechtkommt und ihr unglaublich druckvolles Spiel auf Rasen umsetzen kann, hat sie gute Chancen, in Wimbledon weit zu kommen.