St. Petersburg. Teammanager Oliver Bierhoff sieht den gewachsenen Konkurrenzkampf in der DFB-Auswahl positiv, warnt aber vor zu hohen Erwartungen

Oliver Bierhoff hat die Tage des Confed Cups dafür genutzt, sich Domizile anzuschauen. Der Teammanager der deutschen Nationalmannschaft begutachtete in Sotschi eine Hotel-Anlage auf ihre Tauglichkeit, in einem Jahr das Campo Russia zu werden. Eigentlich war alles vorhanden, um Deutschlands Fußballteam Nummer eins seines Standes angemessen zu beherbergen: Die Wellen des Meeres in Hörweite, Sonne über den Köpfen und gediegene Bungalows, auf die sich Fußballer-WGs verteilen ließen. Die Spieler und Trainer Joachim Löw waren begeistert. Und auch Bierhoff hat seine anfängliche Skepsis beigelegt. „Neben den Argumenten wie kurze Wege und ein Flughafen in unmittelbarer Nähe ist auch das Wohlbefinden wichtig. Das fließt in die Entscheidung mit ein.“

Ob tatsächlich Sotschi zum WM-Basiscamp 2018 wird, entscheidet sich spätestens nach der Auslosung am 1. Dezember. Bierhoff wird in den kommenden Monaten noch einmal auf Reisen gehen, um sich im Umfeld von Moskau Alternativen anzuschauen.

Im Grunde müsste Bierhoff eine Anlage der Kategorie Massentourismus finden, um all das zu beherbergen, was sich in diesem Sommer als geeignet für den amtierenden Weltmeister erwiesen hat. „Wir haben ein großes Reservoir an interessanten Spielern, die sich auch in verschiedenen Systemen schnell einfinden können“, zog Bierhoff ein vorweggenommenes Fazit von Confed Cup und zeitgleicher U-21-EM.

Deutschland hat jetzt nicht nur eine luxuriöse Auswahl, sondern mindestens drei. Und weil Bierhoff weiß, dass er zwar in Hotelanlagen vieles umbauen lassen kann, bei der Fifa aber nicht die zugelassene Kadergröße erhöhen kann, wenn es zur WM 2018 geht, erwartet er auf dem Weg dahin eine komplizierte Denkaufgabe für Bundestrainer Joachim Löw: „Das wird eine schöne Qual der Wahl“, sagt der 49-Jährige, „wir haben eine unglaublich große Qualität. Die etablierten Spieler merken: ,Hey, hier geht etwas ab.‘ Sie spüren, dass wir viele neue Spieler haben, die Druck auf sie ausüben. Das wird sie noch einmal zusätzlich antreiben. Denn: Es gibt nur wenige, die unantastbar sind.“

Es ist eine neue, deutsche Welle, die nun viele brauchbare Spieler angespült hat. Und das erzeugt eine unerwartete Kettenreaktion: Die Weltmeister um Mesut Özil und Sami Khedira liegen an den Stränden von Florida bis Dubai. Ihre freigewordenen Plätze in der Nationalelf wurden mit Männern nachbesetzt, die entweder noch in der eine Etage tiefer ansässigen U-21-Auswahl auflaufen könnten (genau genommen acht), oder kaum noch damit gerechnet haben, sich irgendwann Nationalspieler nennen zu dürfen (wie Lars Stindl oder Sandro Wagner).

Die U21 wiederum musste ihre für die A-Elf gelichteten Reihen mit dem zweitbesten Personal auffüllen. Und dennoch könnte es so kommen, dass nach dem errungenen EM-Titel vom Freitag an diesem Sonntag gegen Chile auch der Confed Cup gewonnen wird (Spiel bei Redaktionsschluss nicht beendet). Der DFB sammelt mit Stellvertretern die Pokale des Sommers ein – und die Welt wundert sich.

„Das ist pure Werbung für den deutschen Fußball“, hat Leon Goretzka gesagt, um die teamübergreifenden Erfolge zu klammern. Der 22-Jährige ist der Anführer der Emporkömmlinge, die sich nun anschicken, den urlaubenden Weltmeistern ihre sicher geglaubten WM-Plätze streitig zu machen. Mit drei Toren und beeindruckenden Auftritten gegen Australien und Mexiko hat sich der Schalker Alleskönner zum Spieler des Turniers aufgeschwungen. Zu seiner Confed-Cup-WG, die in die WM-WG umziehen könnte, gehören Stindl und Timo Werner (der ebenfalls drei Treffer hat und gemeinsam mit Goretzka die Torjägerliste anführt). Joshua Kimmich, Marc-André ter Stegen und Jonas Hector wohnen eh schon dort. Aber Löw dürfte auch keine Bauchschmerzen haben, Niklas Süle, Antonio Rüdiger oder Julian Brandt bei der WM einzusetzen.

Welche Spieler können es schon zur WM 2018 schaffen?

Interessanterweise gibt es auch hier eine Kettenreaktion: Denn den Druck, den die Confed-Cup-Akteure den Weltmeistern machen, bekommen sie gleichsam von den neuen U-21-Europameistern. Im Team von Trainer Stefan Kuntz haben sich Spieler hervorgetan, die ebenfalls gen A-Auswahl drängen: Serge Gnabry, Max Meyer, sowie der Linksverteidiger Yannick Gerhardt. Auch die Herthaner Niklas Stark und Mitchell Weiser haben ein gutes Turnier gespielt und Argumente für sich gesammelt. Stürmer Davie Selke ist im Blickfeld.

Zudem fehlten in den Teams des Sommers von 2017 ja auch noch bereits als tauglich erwiesene Talente wie Leroy Sané oder Jonathan Tah. Auf die erste folgte die nächste Welle. „Was die Ausbildung und die Anzahl von jungen Spielern angeht, haben wir eine sehr gute Basis“, sagt Löw. Er wollte den WM- und EM-freien Sommer nutzen, um zu experimentieren. Heraus kam ein Meer an Tauglichen.

Schon einmal gab es einen Sommer der Talente im deutschen Fußball. 2009 gewann nicht nur die U21 den EM-Titel mit Spielern wie Özil, Khedira, die dann fünf Jahre später Weltmeister wurden. Auch die U17 gewann die EM 2009 im eigenen Land – mit dabei damals waren ein gewisser Mario Götze, der WM-Final-Torschütze von 2014, und Shkodran Mustafi. Aus diesem Jahrgang erwuchs eine goldene Generation. Sie ist heute immer noch an der Macht, aber ihre Erbfolge scheint nach 2017 geklärt.

Ob es schon für die WM 2018 reicht, ist jenseits von Goretzka sowie zwei, drei anderen fraglich. Die EM 2020 jedoch dürfte das Turnier der 2017er-WGs werden.

Aber trotz dieser rosigen Aussichten tritt Bierhoff auch auf die Euphoriebremse. Schön und gut sei es, was da nun im deutschen Fußball geschieht, sagte er gestern. Aber: „Wir dürfen uns jetzt von den Erfolgen nicht blenden lassen. Mannschaften wie Frankreich, England, Brasilen, Argentinien oder Spanien sind ganz andere Kaliber wie Kamerun oder Australien. Wir dürfen jetzt bloß nicht denken, dass wir nichts mehr machen müssen und es ein Selbstläufer wird. Das könnte gefährlich werden.“