Düsseldorf. Zum Auftakt der Tour de France will Radprofi Tony Martin das Zeitfahren gewinnen

Es hat keinen Tag im Jahr 2017 gegeben, an dem Tony Martin nicht an dieses Zeitfahren gedacht hat. Das lange Warten auf den vielleicht größten Moment seiner sportlichen Karriere hat endlich ein Ende. An diesem Sonnabend (15.15 Uhr/ARD und Eurosport) startet seine Gelb-Mission beim 14 Kilometer langen Rennen gegen die Uhr, mit dem die 104. Tour de France in Düsseldorf beginnt. Viermal hat der Cottbuser bereits den Weltmeistertitel im Zeitfahren gewonnen, aber dennoch ist der Tour-Auftakt für den 32-Jährigen etwas ganz Besonderes. „Das ist für mich das große Highlight“, sagt er. „Die Chance, als deutscher Radrennfahrer in Deutschland ins Gelbe Trikot zu fahren, wird nicht mehr wiederkommen.“

Tony Martin hat für die knappe Viertelstunde, die er am Sonnabend auf seinem Hightech-Rad am Düsseldorfer Rheinufer um jede Hundertstelsekunde fighten wird, nichts dem Zufall überlassen. Seit Monaten studiert er die Strecke. Erst per Google Earth und Videos, jetzt in den Tagen vor dem „Grand Départ“ auch auf dem Rad. Martin kennt jeden Kanaldeckel. Wichtig sind vor allem die Kurven. Ein falsches Ansteuern und entscheidende Sekunden sind futsch.

Nur eines kann der Mann, der in der Schweiz lebt und für das Team Katusha Alpecin fährt, nicht beeinflussen: das Wetter. „Es ist ein bisschen wie russisches Roulette“, sagt Martin. Die Prognose bei wetter.de für Düsseldorf am Sonnabend zwischen 15 und 18 Uhr: Regenwahrscheinlichkeit 74 bis 94 Prozent. „Ich bin wirklich schon zufrieden, wenn alle die gleichen Bedingungen haben“, hofft Martin.

Der Druck, der auf dem Zeitfahr-Spezialisten lastet, ist gewaltig. Alle Radsportfans erwarten Martins Sieg. Alles andere wäre enttäuschend, schließlich haben die Tour-Organisatoren mit der Festlegung auf das Zeitfahren zum Auftakt den roten Teppich für ihn als Spezialisten ausgelegt. Nach der Nichtnominierung des ehemaligen Stunden-Weltrekordlers Rohan Dennis (Australien) droht ihm vom ehemaligen Skispringer Primoz Roglic aus Slowenien oder dem Schweizer Stefan Küng die größte Gefahr für das „Unternehmen Gelb“. Martin hat einen Interview-Marathon hinter sich. Eine Frage fehlte nie, die nach dem Gelben Trikot in Düsseldorf. „Ja, ich will gewinnen und das Gelbe Trikot tragen“, so oder ähnlich lautete immer Martins Antwort. Trotz der immensen Erwartungshaltung – auch der eigenen – hat Martin sein strahlendes Lächeln nicht verloren. Ein wenig überrascht es ihn selbst, wie er zugibt: „Ich bin komplett relaxed und wirklich im Genuss-Stadium.“

Zeitfahren ist für Martin mehr als nur seine Spezialdisziplin im Radsport. Es sei kein Taktieren möglich wie bei einem Rennen auf der Straße. Auf einer normalen Etappe könne man auch mal die Beine hängen lassen und einfach im Windschatten mitrollen, sagte er in der „FAZ“. „Beim Zeitfahren gibt es keine Ausreden. Kein Verstecken. Keine Entschuldigung. Zeitfahren ist die reinste, ehrlichste Disziplin des Radsports. Man muss dafür nicht nur seinen Körper trainieren, sondern auch seinen Geist. Für mich ist es die Königsdisziplin.“

Die Familie ist auch angereist und drückt an der Strecke die Daumen. Sein jüngster Fan ist erst einige Monate alt und heißt Mia. „Meine Tochter lenkt mich maximal ab, das hatte ich in der Vergangenheit nicht“, sagt er. Wenn Martin am Sonnabend um 18.20 Uhr auf der Startrampe stehen wird, wird er sich allerdings von nichts ablenken lassen. Weder von der Familie noch von den Gegnern oder von den Hunderttausenden Zuschauern. „Ich bin dann im Tunnel“, sagt er. Wenn er aus dem Tunnel herausfährt, will er Gelb sehen.